BGH,
Beschl. v. 21.5.2008 - 5 StR 197/08
5 StR 197/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
21.5.2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21.5.2008
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Görlitz vom 30. November 2007 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendschutzkammer
des Landgerichts Chemnitz zurückverwiesen.
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen
Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
und drei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.
Außerdem hat es seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit
der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Kurz nach seiner Entlassung aus der Strafhaft lernte der damals 67
Jahre alte Angeklagte die Familie R. kennen. Dabei suchte er vor allem
den Kontakt zur neun Jahre alten Tochter S. , indem er ihr
Flötenunterricht erteilte und der Familie ausgiebige Besuche
abstattete. Zwischen August und Dezember 2006 küsste er S.
einmal auf den Mund, der Versuch eines Zungenkusses scheiterte, da S.
ihre Lippen zusammenpresste. Ebenfalls in diesem Zeitraum fasste er S.
um die Hüfte und führte seine Hand in Richtung ihres
Geschlechtsteils, bis die angekleidete
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S. seine Hand wegstieß. Einmal fasste er sich in Gegenwart S.
s in vollständig bekleidetem Zustand an sein Geschlechtsteil
und rieb daran.
Das Landgericht hat die ersten beiden Taten als schweren sexuellen
Missbrauch von Kindern und den dritten Vorfall als sexuellen Missbrauch
von Kindern gewertet. Den versuchten Zungenkuss hat es mit einer
Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, das Bewegen
der Hand in Richtung des Geschlechtsteils des Mädchens mit
einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten geahndet,
dabei hat es minder schwere Fälle nach § 176a Abs. 4
StGB im Hinblick auf die nicht nur geringfügige
Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle abgelehnt.
Für den Ansatz zum Onanieren hat es eine Einzelfreiheitsstrafe
von zwei Jahren und vier Monaten verhängt. Im Hinblick auf die
Erheblichkeit der Taten hat es die Sicherungsverwahrung des Angeklagten
nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB angeordnet.
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2. Schon die Beweiswürdigung des Landgerichts weist
Rechtsfehler auf (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387 insoweit in BGHSt 51, 144
nicht abgedruckt). Der Angeklagte hat eingeräumt, S. auf den
Mund geküsst zu haben, hingegen habe er nicht versucht, seine
Zunge in ihren Mund einzuführen. Er fasse sich ab und zu an
sein Geschlechtsteil, ohne dass dies eine sexuelle Bedeutung habe. Er
habe S. von der Hüfte über den Nabel gestreichelt,
aber nicht in Richtung ihres Geschlechtsteils. Soweit er die
Vorwürfe bestreitet, stützt sich das Landgericht bei
seiner Überzeugungsbildung auf die Angaben der
Nebenklägerin S. R. , die es in Übereinstimmung mit
einer Glaubhaftigkeitssachverständigen für glaubhaft
erachtete. Die Darlegungen, mit denen es seine Überzeugung
für das Revisionsgericht nachvollziehbar zu begründen
sucht, sind jedoch lückenhaft und in sich
widersprüchlich.
So hat das Landgericht als wesentlichen, für die
Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin sprechenden
Umstand hervorgehoben, „im
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Kernbereich aller drei Handlungen, wegen derer der Angeklagte
verurteilt wurde, blieb die Aussage der Geschädigten immer
konstant“ und sei „widerspruchsfrei“.
Diese Wertung findet jedoch in den Urteilsfeststellungen keine
Stütze. Danach hat die Nebenklägerin vielmehr
hinsichtlich des Tatgeschehens um den versuchten Zungenkuss bei zwei
von drei Vernehmungen geschildert, der Angeklagten sei mit seiner Zunge
in ihren Mund gelangt, während sie dies bei der ersten
Vernehmung auch auf entsprechende Nachfrage noch anders geschildert
hatte. Auch die Behauptung, sie habe von einem Kuss blutige Lippen
davongetragen, hat sie nur einmal erhoben. Hinsichtlich des Vorfalls,
sich an das Geschlechtsteil gefasst zu haben, schildert S. erst in der
Hauptverhandlung, dass der Angeklagte auch daran gerieben habe,
während sie bei den früheren Vernehmungen stets nur
ein Anfassen - zumal beim Aufstehen und Hinsetzen - geschildert hat.
Auch den Vorfall um das Streicheln schildert S. bei allen drei
Vernehmungen abweichend, insbesondere hat sie nur bei der Vernehmung in
der Hauptverhandlung den Vorwurf erhoben, der Angeklagte habe mit dem
Streicheln an ihrer Brust begonnen, sie nach dem Wegstoßen
seiner Hand „böse angeschaut“ und sie
trotz ihrer Angst weiter gestreichelt.
Die Bewertung des vom Tatrichter selbst als wesentlich angesehenen
Glaubhaftigkeitskriteriums der Konstanz ist danach fehlerhaft. Von
diesem Fehler beeinflusst ist überdies möglicherweise
auch die Würdigung anderer Beweisanzeichen. Soweit die
Glaubhaftigkeit mit der Schilderung „stimmiger
Details“ in „hinreichender
Ausführlichkeit“ begründet wird, wird dabei
übersehen, dass diese Kriterien für abweichende,
teilweise widersprüchliche Versionen ebenfalls Geltung
beanspruchen.
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Zudem greift die Sicht des Landgerichts, die Abweichungen im
Aussageverhalten im Übrigen hätten keinen Bezug zum
Anklagevorwurf und seien daher für die Beurteilung der
Glaubhaftigkeit belanglos, zu kurz. Denn hierbei übersieht es,
dass es vom Fehlen eines Belastungsmotivs als einem weiteren
Glaubhaftigkeitsfaktor ausgegangen ist. Ein solches Motiv kann jedoch
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mit den Angeklagten zu Unrecht belastenden Angaben, die sich zwar nicht
auf den Anklagevorwurf beziehen, aber hiermit im Zusammenhang stehen,
eindrucksvoll belegt werden. Nach den Urteilsfeststellungen hat die
Nebenklägerin in ihrer ersten Vernehmung geschildert, der
Angeklagte habe sie einmal in ihrem Zimmer überrascht. Sie sei
nackt gewesen, der Angeklagte habe „ihre
Brüste“ mit seinen beiden Händen angefasst
und mit einer Hand an ihr Geschlechtsteil gegriffen. Bei der folgenden
Vernehmung schilderte sie die Situation insoweit abweichend, als dass
sie teilweise bekleidet war und der Angeklagte sie nur von der
Zimmertür aus angeguckt, aber keinesfalls angefasst habe. Er
habe sie überhaupt nie nackt angefasst. In der
Hauptverhandlung schließlich erhob sie den Vorwurf, der
Angeklagte habe sie an der nackten Brust gestreichelt, dies sei im
Badezimmer gewesen, als sie nur ein Handtuch um ihre Hüfte
gewickelt habe. Das Landgericht kommt im Anschluss an die
Sachverständige zu dem Schluss, dass diese Angaben nicht
erlebnisfundiert seien. Mit dem sich daraus ergebenden Umstand, dass
die Nebenklägerin unwahre belastende Vorwürfe erhoben
hat, setzt sich das Landgericht nicht auseinander.
Zwar wird die von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung
aufgestellte Behauptung, der Angeklagte habe sein Geschlechtsteil nicht
nur angefasst, sondern daran gerieben, von ihrer Mutter
bestätigt. Diese will mehrmals beobachtet haben, wie der
Angeklagte sich sein Geschlechtsteil massiert habe und dabei rot und
verschwitzt gewesen sei, dies sei ein „Aufgeilen“
gewesen. Dies steht jedoch in einem - zwar aufklärbaren - aber
nicht erörterten Spannungsverhältnis zu den
Feststellungen, die Mutter habe dem Angeklagten vertraut; sie habe erst
durch die späte Offenbarung ihrer Tochter Kenntnis erlangt und
sich um Abhilfe bemüht.
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Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass der Tatrichter
ohne die genannten Rechtsfehler zu einer anderen Beurteilung der
Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin gelangt
wäre und dadurch nur Feststellungen hätte treffen
können, die weder als erhebliche sexuelle Handlung (§
184f Nr. 1
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StGB) noch als sexuelle Handlung vor der Nebenklägerin
(§ 184f Nr. 2 StGB) zu werten gewesen wären.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin,
dass weder die Strafzumessung noch die Anordnung der Maßregel
revisionsrechtlicher Überprüfung standgehalten
hätten.
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a) Schon die Ablehnung minder schwerer Fälle nach §
176a Abs. 4 StGB für den versuchten Zungenkuss und das
Streicheln begegnet durchgreifenden Bedenken. Denn die hierfür
maßgebliche, nicht näher begründete
Strafzumessungserwägung, es handele sich um nicht nur
geringfügig über der Erheblichkeitsschwelle liegende
Handlungen, wird durch die Urteilsfeststellungen zum Tatgeschehen nicht
belegt und lässt besorgen, dass das Landgericht den
Schuldgehalt der Taten unzutreffend gewichtet hat. Soweit es in diesem
Zusammenhang ausführt, dass der Angeklagte nicht im Zustand
verminderter Schuldfähigkeit gehandelt habe, hätte es
bedenken müssen, dass das Nichtvorliegen eines
Milderungsgrundes nicht zu seinem Nachteil gewertet werden darf.
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Auch die Bemessung der verhängten Einzelfreiheitsstrafen ist
nicht nachvollziehbar dargelegt. Insbesondere die erhebliche
Überschreitung der Mindeststrafe für den versuchten
Zungenkuss - für den, wie die Strafkammer zutreffend erkennt,
die Vorstrafen nicht weiter strafschärfend
berücksichtigt werden durften - und die annähernd in
der Mitte des Strafrahmens angesiedelte Einzelfreiheitsstrafe
für das Reiben des bekleideten Geschlechtsteils sind nicht
tragfähig begründet. Es ist zu besorgen, dass die
moralisierende, einer Tatsachengrundlage entbehrende Wertung des
Landgerichts, der Angeklagte sei ein „hartnäckiger
und unbelehrbarer Sexualstraftäter, bei dem jede Milde fehl am
Platze“ sei, die Strafzumessung maßgeblich
beeinflusst hat.
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b) Auch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach §
66 Abs. 3 Satz 2 StGB hätte keinen Bestand, da zu besorgen
ist, dass sich auch hierbei die rechtsfehlerhafte Gewichtung der
Anlasstaten - insbesondere bei der Frage der Erheblichkeit der durch
den Angeklagten drohenden Taten - ausgewirkt hat.
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4. Der Senat sieht Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht
zurückzuverweisen. Das neue Tatgericht wird
unverzüglich über die Haftfrage zu entscheiden haben.
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