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BGH, Beschluss vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 21.9.2004 - 3 StR 333/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 333/04
 vom
21. September 2004
in der Strafsache
gegen



wegen versuchten Mordes
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 21. September 2004 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Osnabrück vom 2. Juni 2004 mit den Feststellungen aufge-
hoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.

 

 Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten des versuchten Mordes schuldig
gesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an-
geordnet und wegen der Maßregel gemäß § 5 Abs. 3 JGG von der Verhängung
einer Jugendstrafe abgesehen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit sei-
ner Revision, mit der er das Ver fahren beanstandet und die Verletzung materi-
ellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf
die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.

1. Nach den Feststellungen stieß der Angeklagte seinem arg- und wehr-
losen Bruder, nachdem er nach einer verbalen Auseinandersetzung zwischen
seiner Mutter und dem Br uder "Heavy-Metal-Musik" gehört und sich mit PC-
Spielen beschäftigt hatte, einen Dolch mit erheblicher Wucht in die Brust, wo-
bei er dessen Tod billigend in Kauf nahm.
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Das - sachverständig beratene - Landgericht hat festgestellt, daß die
Steuer ungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat wegen einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit erheblich vermindert war (§ 21
StGB), weil dieser an einer "schizoiden Persönlichkeitsstörung" (Distanziertheit
in sozialen Beziehungen, eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeiten)
leide, die - unterstützt dur ch die gehörte Musik - den massiven Impulsdur ch-
bruch bei der Tat ermöglicht habe. Der Angeklagte sei infolge seines Zustan-
des für die Allgemeinheit gefährlich (§ 63 StGB). Da ihm wegen der Persön-
lichkeitsstörung keine anderen Strategien zur Konfliktlösung zur Verfügung
stünden, um Kränkungen aufzufangen, neige er zu Impulsdurchbrüchen; ohne
die erforderliche ther apeutische Behandlung der Persönlichkeitsstörung seien
in Zukunft beim Auftauchen emotionaler Probleme weitere vergleichbare erheb-
liche Straftaten zu erwarten (UA S. 9, 13).

2. Die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Kran-
kenhaus ( § 63 StGB) kommt nur bei einem Täter in Betracht, dessen Schuld-
unfähigkeit oder er heblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21
StGB auf einem positiv festgestellten, länger bestehenden und nicht nur
vorübergehenden Zustand ber uht (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27; Trönd-
le/Fischer, StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 6). Sie bedarf einer sorgfältigen Begrün-
dung, weil sie eine schwerwiegend und gegebenenfalls langfristig in das Leben
des Beschuldigten eingreifende Maßnahme darstellt. Das angefochtene Urteil
genügt den danach zu stellenden Anforderungen an die Begründung nicht. Es
enthält Feststellungsmängel, Lücken und Widersprüche und ist daher nicht
geeignet, die Anordnung der Unterbr ingung des Angeklagten in einem psychia-
trischen Krankenhaus zu tragen. Im einzelnen:
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Für die Auffassung der Jugendkammer , die Steuerungsfähigkeit des An-
geklagten sei bei Tatbegehung wegen der vom Sachverständigen diagnosti-
zierten "schizoiden Persönlichkeitsstörung" gemäß § 21 StGB erheblich ver-
mindert gewesen, fehlt es bereits an ausreichenden Darlegungen. Schließt sich
- wie hier - das Landgericht ohne weitere eigene Erwägungen den Ausführun-
gen eines Sachverständigen an, muß es bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung
die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständi-
gen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und
zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH NStZ-RR 2003,
232 m. w. N.). Hierzu r eichen die sich mehrmals wiederholenden, sehr knappen
tatsächlichen Angaben in den Urteilsgründen (UA S. 9, 11, 13) nicht aus.

Darüber hinaus sind die Ausführungen des Landgerichts zur erheblich
verminder ten Schuldfähigkeit wider sprüchlich. Einerseits führ t es bei den
Feststellungen aus, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei zur Tatzeit
- unterstützt durch die gehörte Musik - wegen der "schizoiden Persönlichkeits-
störung", die als eine schwere andere seelische Abartigkeit anzusehen sei,
erheblich vermindert gewesen, weil ihm infolge der Persönlichkeitsstörung kei-
ne anderen Strategien zur Verfügung gestanden hätten, um die Kränkung der
Mutter und die persönliche Kränkung seitens des Bruders aufzufangen (UA
S. 9). Andererseits legt es im Rahmen der Beweiswürdigung dar, ursächlich für
die erheblich verminder te Steuerungsfähigkeit seien die Persönlichkeitsstörung
als schwere andere seelische Abartigkeit und eine (tranceähnliche) tiefgreifen-
de Bewußtseinsstörung, zu der  das Hören der "Heavy-Metal-Musik" und die
PC-Spiele geführt hätten (UA S. 11). Im weiteren schließt die Jugendkammer
eine Schuldunfähigkeit mit der Begründung aus, es habe in der Vergangenheit
ber eits mehrere Konfliktsituationen gegeben, die der Angeklagte auf andere Art
und Weise habe bewältigen können (UA S. 11), was wiederum mit dem be-
 
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haupteten Fehlen anderer Konfliktlösungsstrategien nicht in Einklang steht.
Danach ist - von der Widersprüchlichkeit der Feststellungen abgesehen - nicht
eindeutig festgestellt, auf welchem der in §§ 20, 21 StGB genannten biologi-
schen Eingangsmerkmale der für die Unterbringung nach § 63 StGB notwendi-
ge länger andauernde Zustand des Angeklagten beruht und wie sich die Per-
sönlichkeitsstörung auf die Schuldfähigkeit im einzelnen ausgewirkt hat (vgl.
Tr öndle/Fischer , aaO § 63 Rdn. 7 f.).

Die Diagnose einer "schizoiden Persönlichkeitsstörung" durch den Sach-
verständigen belegt für sich allein den für die Anordnung der Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten Zustand zumindest er-
heblich verminderter Schuldfähigkeit nicht. Bei einer nicht pathologisch be-
gründeten Persönlichkeitsstörung liegt eine schwere andere seelische Abartig-
keit nur dann vor, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Stö-
rung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben
des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder
einengen. Dazu bedar f es einer - hier fehlenden - Gesamtschau auf der Grund-
lage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und deren
Entwicklung, der Vorgeschichte, dem unmittelbar en Anlaß und der Ausführung
der Tat sowie seines Verhaltens nach der Tat (vgl. BGHSt 37, 397, 401; BGHR
StGB § 63 Zustand 24; BGH NStZ 2004, 437, 438). Die beim Vorliegen der
Eingangsvoraussetzungen darüber hinaus erforderliche Wertung, ob die
Schuldfähigkeit des Täters im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war,
ist eine vom Richter ohne Bindung an die Auffassung des Sachverständigen zu
beantwortende Rechtsfrage (vgl. BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ 2004, 437,
438), zu der sich das Urteil nicht verhält.
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Daß bei dem Angeklagten die dauerhafte Disposition besteht, in be-
stimmten, ihn belastenden emotionalen Situationen wegen der für sich nicht
die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllenden behandlungsbedürftigen
"schizoiden Persönlichkeitsstörung" in einen Zustand erheblich verminderter
Schuldfähigkeit zu geraten, in dem von ihm erhebliche, der abgeurteilten Tat
vergleichbare rechtswidrige Taten zu erwarten sind ( UA S. 13) , genügt für die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht, weil diese Disposi-
tion allein keinen Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit auslöst (vgl.
BGHR StGB § 63 Zustand 27; BGH NStZ 2002, 142).

3. Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler hebt der Senat das Urteil nicht
nur hinsichtlich der angeordneten Maßregel gemäß § 63 StGB, sondern insge-
samt mit den Feststellungen auf. Zwar ist der Schuldspruch wegen versuchten
Mordes an sich rechtsfehlerfrei begründet. Der Senat kann jedoch - auch wenn
dies nicht nahe liegt und eine seltene Ausnahme darstellt (vgl. BGH NJW
1998, 2752; Tröndle/Fischer, aaO § 20 Rdn. 42) - angesichts der unklaren und
widersprüchlichen Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht
völlig ausschließen, daß in der neuen Hauptverhandlung, für die ein ander er
oder weiterer Sachverständiger hinzugezogen werden sollte, eine Schuldunfä-
higkeit gemäß § 20 StGB bejaht werden könnte.

Tolksdorf                         Winkler                von Lienen
                 Becker                       Hubert



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