BGH,
Beschl. v. 22.4.2003 - StB 3/03
StB 3/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StE 2/02-5 (1)
vom
22. April 2003
in dem Strafverfahren
gegen
1.
2.
3.
wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.
a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und der Angeklagten am 22. April 2003
gemäß § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4
Satz 2 Halbs. 2 Nr. 2 StPO beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts wird der
Beschluß des Kammergerichts in Berlin vom 27. Januar 2003
aufgehoben, soweit es abgelehnt hat, das Hauptverfahren gegen die
Angeklagten R. und M. hinsichtlich des Tatvorwurfs zu
eröffnen, diese Angeklagten hätten im Jahre 1993 eine
kriminelle Vereinigung gegründet und sich an dieser bis
März 1996 mitgliedschaftlich beteiligt, der Angeklagte R. als
Rädelsführer.
Die Anklage des Generalbundesanwalts vom 9. September 2002 wird auch zu
diesem Tatvorwurf unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem
Kammergericht zur Hauptverhandlung zugelassen.
Gründe:
Der Generalbundesanwalt hat in seiner unter dem 9. September 2002 zum
Kammergericht erhobenen Anklage den Angeklagten R. und M.
unter anderem zur Last gelegt, sie hätten im Jahre 1993 eine
kriminelle Vereinigung gegründet und sich an dieser bis
März 1996 mitgliedschaftlich beteiligt (§ 129 Abs. 1
StGB), der Angeklagte R. in der Form der
Rädelsführerschaft (§ 129 Abs. 4 StGB). Das
Kammergericht hat insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens
mangels hinreichenden Tatverdachts abgelehnt. Die hiergegen gerichtete
sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts hat Erfolg.
1. Der Generalbundesanwalt wirft den Angeklagten R. und M.
in diesem Anklagepunkt vor, sie hätten zusammen mit dem
anderweitig verfolgten S. als Mitglieder der im Jahr 1992 entstandenen
Skinhead-Musikgruppe "Landser" ab 1993 das Ziel verfolgt, aus dem
Verborgenen heraus durch die Produktion und den Vertrieb von Musik-CDs
politische Botschaften in der rechtsradikalen Jugendszene zu
verbreiten. Hierbei sei es ihnen vor allem darauf angekommen, die
Bundesrepublik Deutschland und ihre pluralistische Ordnung als
untragbar zu diffamieren, Juden und Ausländer, vor allem
solche mit dunkler Hautfarbe, zu minderwertigen Haßobjekten
herabzuwürdigen und ihre "Beseitigung" durch Mord und
Vertreibung zu propagieren. In Umsetzung dieser Idee habe die Band ab
1993 auf öffentliche Auftritte verzichtet, sei in den
Untergrund abgetaucht und habe heimlich, konspirativ und nach
außen abgeschottet an der Verfolgung ihrer Ziele gearbeitet.
Unter der Leitung des Angeklagten R. sei sodann bei interner
Aufgabenverteilung das CD-Album "Republik der Strolche" produziert
worden. Der gesamte Herstellungsprozeß, das Verfassen der
Liedtexte durch den Angeklagten R. , das Einüben der
Stücke ab 1993 in einem Kellerraum in B. , die Aufnahme und
Verbreitung eines "Demo-Tapes", die Einschaltung eines Produzenten, die
Einspielung eines Masterbandes Ende 1995 in einem Tonstudio in
Schweden, die Fertigung der CDs in einem ausländischen
Preßwerk in zunächst 5000 Exemplaren und deren
spätere Nachpressung, die Lagerung der CDs in Schweden, die
Gestaltung und der Druck von Booklet und Cover nach Vorgaben der Band,
die Einfuhr der CDs und deren Absatz in der Bundesrepublik
über ein entsprechendes Vertriebsnetz, seien in konspirativer
Weise arbeitsteilig organisiert worden.
In verschiedenen Liedern der CD "Republik der Strolche" werde die
Vernichtung des politischen Gegners im Stile der NSDAP propagiert und
zum Aufstand gegen die Repräsentanten der als "irre" und
"korrupt" geschmähten Bundesrepublik Deutschland aufgefordert.
Die hier lebenden Vietnamesen und Menschen mit dunkler Hautfarbe
würden als kriminell und minderwertig verunglimpft. Es werde
dazu aufgefordert, sie zu ermorden.
Die Aktivitäten der Band seien dann zunächst zum
Erliegen gekommen, als der anderweitig verfolgte S. im März
1996 bei der Einfuhr von 2000 Exemplaren der CD verhaftet worden sei
und sich daraufhin von der Band gelöst habe.
2. Das Kammergericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens zu
diesem Anklagevorwurf aus tatsächlichen Gründen
abgelehnt. Durch die in der Anklageschrift benannten Beweismittel werde
ein hinreichender Tatverdacht, daß es sich bei der Musikband
"Landser" um eine kriminelle Vereinigung gehandelt habe, nicht
begründet. Es fehle an hinreichenden Belegen für
einen verbindlichen Gemeinschaftswillen sowie für eine
festgefügte Organisationsstruktur innerhalb der Gruppe, die
für die Annahme einer Vereinigung im Sinne des § 129
Abs. 1 StGB erforderlich seien. Dies beanstandet der
Generalbundesanwalt im Ergebnis mit Recht.
a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des
Kammergerichts. Eine Vereinigung im Sinne des § 129 Abs. 1
StGB ist ein auf Dauer angelegter organisatorischer
Zusammenschluß von mindestens drei Personen, die bei
Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit
gemeinsame kriminelle Ziele verfolgen und unter sich derart in
Beziehung stehen, daß sie sich untereinander als
einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; vgl. die Nachw. bei
Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 129 Rdn. 2). Soweit
das Kammergericht jedoch den danach erforderlichen gemeinsamen
Gruppenwillen und ein darauf aufbauendes Mindestmaß an fester
Organisation durch das Ermittlungsergebnis nicht als hinreichend belegt
erachtet, vermag ihm der Senat nicht zu folgen.
b) Für die Prüfung des dringenden Tatverdachts durch
den Senat ist hier ohne Belang, ob an der Rechtsprechung festgehalten
werden kann, daß bei der Entscheidung über die
sofortige Beschwerde gegen einen Beschluß des erstinstanzlich
tätig werdenden Oberlandesgerichts, durch den die
Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, der vom
Oberlandesgericht angelegte - rechtlich unbedenkliche -
Maßstab tatrichterlicher Überzeugungsbildung nicht
außer Betracht gelassen werden kann (BGHSt 25, 39). Ihr
könnte nunmehr bereits § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG
entgegenstehen. Als Folge dieser Vorschrift ist heute nicht mehr
gewährleistet, daß die Besetzung des Strafsenats des
Oberlandesgerichts bei der Entscheidung über die Zulassung der
Anklage mit derjenigen in der Hauptverhandlung identisch ist. Gerade
auf die Identität der Besetzung bei der
Eröffnungsentscheidung und in der Hauptverhandlung, wie sie
nach damaliger Gerichtsverfassung vorgesehen war, sowie auf die nach
dem Urteil des Oberlandesgerichts allein mögliche rechtliche
Überprüfung der von diesem vorgenommenen
Beweiswürdigung in der Revision hat der Senat in der genannten
Entscheidung jedoch maßgeblich abgehoben (vgl. BGHSt 35, 39,
40 ff.).
Das Kammergericht hat bei seiner Eröffnungsentscheidung
wesentliche Besonderheiten des ermittelten Sachverhalts außer
Betracht gelassen und die Anforderungen überspannt, die an die
Bejahung des hinreichenden Tatverdachts im Sinne des § 203
StPO zu stellen sind. Schon sein Prüfungsmaßstab
unterliegt daher rechtlichen Bedenken.
c) Hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei
vorläufiger Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) auf Grundlage
des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung
mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGH NJW
1970, 1543, 1544). Hierbei wird ein geringerer Grad der
Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht
im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 oder § 126 a Abs. 1
StPO der Fall ist (BGH aaO; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl.
§ 203 Rdn. 2 m. w. N.). Nach diesen
Maßstäben sind die Angeklagten R. und M. hinreichend
verdächtig, sich im Zeitraum von 1993 bis März 1996
nach § 129 StGB strafbar gemacht zu haben; denn das
Ermittlungsergebnis liefert hinreichende Anhaltspunkte dafür,
daß es sich bei den Mitgliedern der Musik-Band "Landser" um
eine kriminelle Vereinigung handelte, insbesondere der hierfür
erforderliche gemeinsame Gruppenwille und das Mindestmaß an
fester Organisation vorlagen.
Für diese, das Tatbestandsmerkmal der Vereinigung
konkretisierenden Kennzeichen wird im Regelfall ein direkter Beweis
nicht vorhanden sein. Sie können daher im allgemeinen nur aus
anderweitigen (Indiz-)Tatsachen erschlossen werden. Derartige Indizien
können dem ermittelten Sachverhalt hier in einem die
Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Umfang
entnommen werden.
Schon allgemein setzt das Zusammenwirken in einer Musikband mit der
Absicht, in Eigenregie CDs zu produzieren und auf den Markt zu bringen,
ein nicht unbeträchtliches Maß an organisatorischem
Aufwand und an gemeinschaftlicher Willensbildung unter Hintanstellung
der jeweiligen Vorstellungen des einzelnen Bandmitgliedes voraus, da
ansonsten das gemeinsame Ziel nicht erreichbar ist. Dies allein reicht
zwar nicht aus, um eine Musikgruppe, die ein derartiges Ziel verfolgt,
generell als Organisation einzuordnen, die - abgesehen von ihrem
legalen Verbandszweck - die Merkmale einer Vereinigung im Sinne des
§ 129 Abs. 1 StGB erfüllen würde. Insoweit
ist dem Kammergericht beizupflichten. Es hat jedoch die hier
vorliegenden Besonderheiten nur unzureichend bedacht: 28
Nach dem Ermittlungsergebnis tauchten die Angeklagten R. und M. sowie
der anderweitig verfolgte S. als Musikband "Landser" im Jahre 1993 in
den Untergrund ab, um unbehelligt von strafrechtlicher Verfolgung CDs
mit Liedern produzieren zu können, die in erheblichem
Maße strafbaren, insbesondere volksverhetzenden und die
Bundesrepublik Deutschland verleumdenden Charakter hatten. Die Wahrung
der Heimlichkeit der Aktivitäten der Band erforderte ein hohes
Maß an Konspiration, das von der Komposition der Lieder und
den ersten Proben im Jahre 1993 bis zu dem Vertrieb der ersten CD
"Republik der Strolche" im Jahre 1996 aufrechterhalten wurde.
Darüber hinaus verband die Gruppenmitglieder nicht nur das
gemeinsame Interesse an der Musikproduktion, sondern die
gemeinschaftliche rechtsradikale Ideologie, deren Verbreitung ihr
musikalisches Wirken als Endzweck dienen sollte.
All dies unterscheidet die Musik-Band "Landser" in hohem Maße
von sonstigen Musikgruppen und liefert zwar keine zwingenden, jedoch
hinreichende Indizien dafür, daß es sich bei ihr um
einen organisatorisch festgefügten, auf Dauer angelegten
Zusammenschluß handelte. Ebenso ergeben sich aus dem
mehrjährigen erfolgreichen konspirativen Zusammenwirken und
der ideologischen Übereinstimmung durchaus Anhaltspunkte
dafür, daß sich die Bandmitglieder einem gemeinsamen
Gruppenwillen unterordneten und sich als einheitlicher Verband
fühlten. Soweit das Kammergericht hier allein darauf abhebt,
es fehle an ausreichenden Beweisen dafür, daß ein
Gruppenwille in der Form der absprachegemäßen
Unterordnung unter den Willen des Angeklagten R. als "Bandleader"
bestanden habe, greift seine Prüfung zu kurz. Der Umstand,
daß der Angeklagte R. wegen seiner herausgehobenen Position
innerhalb der Gruppe als Rädelsführer nach §
129 Abs. 4 StGB in Betracht kommt, bedeutet nicht, daß der
gemeinschaftliche Gruppenwille nur in der Form einvernehmlicher
Unterordnung unter die "Leitungsgewalt" R. s hätte gebildet
werden können. In diesem Sinne ist auch die Anklageschrift
nicht zu verstehen. Vielmehr kann auch dann, wenn in einer Organisation
ein Rädelsführer vorhanden ist, die Willensbildung in
anderer Weise als durch das von allen Gruppenmitgliedern anerkannte
Prinzip von Befehl und Gehorsam stattfinden. Denn die Existenz eines
Rädelsführers schließt nicht aus,
daß dieser die Verbandstätigkeit zwar
maßgeblich beeinflußt, sich aber ebenfalls
beispielsweise der Entscheidung der Mehrheit unterwirft, die aufgrund
entsprechender Vereinbarung der Gruppenmitglieder von allen als
maßgeblich akzeptiert wird.
Bei Würdigung aller ermittelten Indiztatsachen ist
demgemäß nach Ansicht des Senats ein hinreichender
Tatverdacht dafür vorhanden, daß die Angeklagten R.
und M. sowie der anderweitig verfolgte S.
mit dem Abtauchen der Band "Landser" in den Untergrund im Jahre 1993
eine kriminelle Vereinigung gründeten und sich an dieser bis
zum Ausscheiden des S. im März 1996 mitgliedschaftlich - der
Angeklagte R. als Rädelsführer - beteiligten. Hierbei
hat der Senat auch berücksichtigt, daß die Band
"Landser", nachdem der Mitangeklagte W. Anfang 1997 für S. in
die Gruppe eingetreten war, ihre früheren Aktivitäten
sofort unverändert fortführte und bis zum September
2001 mehrere weitere CDs mit Liedern strafbaren Inhalts produzierte;
denn auch hieraus lassen sich Schlüsse auf den
Organisationsgrad der Gruppe im Zeitraum bis März 1996 ziehen.
Ob sich der Tatverdacht zu einer für die Verurteilung der
Angeklagten erforderlichen Überzeugung verdichten
läßt, wird das Kammergericht nunmehr auf Grundlage
der durchzuführenden Beweisaufnahme zu entscheiden haben.
Tolksdorf Winkler Pfister Richter am Bundesgerichtshof Becker von
Lienen ist krankheitsbedingt an der Unterzeichnung
gehindert.
Tolksdorf |