BGH,
Beschl. v. 22.8.2001 - 1 StR 333/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 333/01
vom
22. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. August 2001
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Waldshut-Tiengen vom 23. März 2001
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der
Angeklagte des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 22
Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem
Mißbrauch von Schutzbefohlenen, sowie des sexuellen
Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in weiteren 22
Fällen schuldig ist,
b) im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in 44 Fällen, davon
in 22 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch
von Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun
Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die die Verletzung
von Verfahrensrecht und sachlichem Recht rügt, hat teilweise
Erfolg. Sie führt zu einer Änderung des Schuldspruchs
und zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs; im übrigen ist
sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlichen sexuellen
Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in 21 Fällen
(Fallgruppen II B.1 bis II B.3 der Urteilsgründe; §
174 Abs. 1 Nr. 3 StGB) kann keinen Bestand haben, weil hinsichtlich
dieser Gesetzesverletzungen Strafverfolgungsverjährung
eingetreten ist.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht
hervorhebt, hat der Angeklagte die insoweit festgestellten Taten (II
B.1 bis II B.3 der Urteilsgründe) in der Zeit von Herbst 1992
bis Sommer 1995 begangen. Die Verjährungsfrist für
sexuellen Mißbrauch von Schutzbefohlenen beträgt
fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Die erste zur
Unterbrechung der Verjährung geeignete Handlung lag in dem
richterlichen Durchsuchungsbeschluß vom 24. Januar 2000 (Bd.
I Bl. 53 der Strafakte). Die nach dem 24. Januar 1995 beendeten
Vergehen nach § 174 StGB können mithin nicht mehr
verfolgt werden. Auch bei Tateinheit unterliegt jede Gesetzesverletzung
einer eigenen Verjährung (st.Rspr.; vgl. nur BGH NStZ 1990,
80, 81).
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann danach lediglich
für eine Tat des sexuellen Mißbrauchs von
Schutzbefohlenen in den genannten Tatkomplexen davon ausgegangen
werden, daß sie in unverjährter Zeit begangen wurde.
Das Landgericht hat festgestellt (Fallgruppe II B.2), daß es
ab Herbst 1992 bis zum Sommer 1995 in mindestens 20 Fällen zu
sexuellen Handlungen des Angeklagten an seiner von ihm adoptierten
Stieftochter kam. Diese seien in einem Abstand von jeweils
höchstens drei Wochen erfolgt (UA S. 7). Im Rahmen der
Beweiswürdigung (UA S. 20) hat die Strafkammer jedoch
für die Berechnung der Gesamtzahl einen
"großzügigen Sicherheitsabschlag" vorgenommen.
Nachdem sie zunächst eine Tat pro Monat zugrunde gelegt und 36
Einzelfälle errechnet hat, ist sie dann - um sicher zu gehen,
daß der Angeklagte durch die summarische Feststellung nicht
beschwert wird - von lediglich 20 Fällen ausgegangen, ohne
diese zeitlich genauer zu konkretisieren (vgl. dazu BGH NStZ 1994,
502). Bei dieser Sachlage kann aufgrund der Begrenzung des
Tatzeitraumes bis zum Sommer 1995 lediglich sicher davon ausgegangen
werden, daß in der unverjährten Zeit, also nach dem
24. Januar 1995, wenigstens eine Tat begangen wurde. Da der Senat
ausschließt, daß in diesem Punkte eine weitere
Klärung des Sachverhalts erfolgen kann, vermag er den
Schuldspruch selbst zu ändern.
2. Schon die Schuldspruchänderung wegen teilweiser
Verjährung muß zur Aufhebung des Ausspruchs
über die Gesamtstrafe und die Einzelstrafen in den Fallgruppen
II B.1 bis 3 führen. Das Landgericht hat bei der Zumessung der
Strafen für diese Taten (Fallgruppen II B.1 bis 3) aus dem
Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB ausdrücklich
berücksichtigt, daß der Angeklagte zwei
Straftatbestände verwirklicht hat (UA S. 28). Der Senat kann
daher nicht sicher ausschließen, daß dieser
Gesichtspunkt die Straffindung mit beeinflußt hat.
Darüber hinaus unterliegen auch die Einzelstrafen in den
Fallgruppen II B.4 bis 6 der Aufhebung, weil die
Überprüfung der Ablehnung einer
Strafrahmenverschiebung nach den Grundsätzen des
Täter-Opfer-Ausgleichs durchgreifenden rechtlichen Bedenken
begegnet (UA S. 30). Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin,
daß das Landgericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 46a Nr. 2 StGB ausgegangen ist, sich jedoch vor allem die
Vorschrift des § 46a Nr. 1 StGB auf den Ausgleich der
immateriellen Folgen einer Straftat bezieht (BGH NStZ 1999, 610; 2000,
205 f.; BGH, Beschluß vom 25. Mai 2001 - 2 StR 78/01). Nach
§ 46a Nr. 1 StGB genügt das ernsthafte
Bemühen des Täters um Wiedergutmachung, wobei die
Vorschrift als Rahmenbedingung fordert, daß das
Bemühen darauf gerichtet sein muß, einen Ausgleich
mit dem Verletzten zu erreichen, was das Gesetz mit dem Klammerzusatz
"Täter-Opfer-Ausgleich" stichwortartig charakterisiert. Die
Vorschrift setzt einen kommunikativen Prozeß zwischen
Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich
der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein
muß. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den
Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht. Durch die
engen Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB soll eine
Privilegierung reicher Täter verhindert werden, die jederzeit
zur Wiedergutmachung in der Lage sind und sich ohne weiteres - auch
ohne Berücksichtigung der Opferinteressen - "freikaufen"
könnten. § 46a Nr. 1 StGB verlangt allerdings keinen
"Wiedergutmachungserfolg". Erforderlich ist, daß der
Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu
erreichen, die Tat "ganz oder zum überwiegenden Teil"
wiedergutgemacht hat; ausreichend ist aber auch, daß der
Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt (st.Rspr.; BGH NStZ 1995,
492, 493; BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2001 - 4 StR 551/00
- und vom 25. Mai 2001 - 2 StR 78/01).
Das Landgericht geht zwar davon aus, daß die Voraussetzungen
des § 46a (Nr. 2) StGB gegeben sind, erläutert dies
aber nicht näher. Es hebt lediglich hervor, der Angeklagte
habe mit seiner Verpflichtung zur Leistung von Schmerzensgeld auf einen
Teil seiner Alterssicherung verzichtet. Demgegenüber
wögen die zu Lasten des Angeklagten wirkenden Gesichtspunkte
derart schwer, daß eine Schadenswiedergutmachung sie "nicht
aufwiegen" könne (UA S. 30 unten). Dies
läßt besorgen, daß das Landgericht zu hohe
Anforderungen an die Milderungsmöglichkeit nach
§§ 46a, 49 Abs. 1 StGB gestellt hat, zumal
Feststellungen dazu fehlen, wie sich die Geschädigte zu den
Bemühungen des Angeklagten stellt und welche Folgen die
Schmerzensgeldverpflichtung für den Angeklagten hat, aber auch
wie sicher deren Erfüllung ist.
3. Die getroffenen Feststellungen können bestehenbleiben, da
lediglich Wertungsfehler in Rede stehen. Ergänzende
Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind
zulässig. Dies wird in der neuen Hauptverhandlung namentlich
hinsichtlich des Täter-Opfer-Ausgleichs in Betracht zu ziehen
sein.
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