BGH,
Beschl. v. 22.8.2001 - 2 StR 311/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 311/01
vom
22. August 2001
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 22. August
2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Köln vom 8. März 2001 mit den Feststellungen
aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Die Ausführungen des Urteils zur Schuldfähigkeit des
Angeklagten halten rechtlicher Überprüfung nicht
stand.
1. Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte habe am Tattag etwa
ab 8.00 Uhr bis 19.00 Uhr "20 bis 25 Dosen Bier à 0,5 l"
getrunken (UA S. 19). Bei der gegen 19.00 Uhr begangenen ersten
Körperverletzungstat sei die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten daher erheblich vermindert, jedoch nicht aufgehoben
gewesen. Für die gegen 1.30 Uhr begangene weitere
Körperverletzung sowie das Tötungsdelikt hat das
Landgericht uneingeschränkte Schuldfähigkeit
angenommen und dies unter anderem auf die Erwägung
gestützt, eine Bestimmung der Blutalkoholkonzentration zu den
genannten Tatzeitpunkten sei nicht möglich, da es an Angaben
zum Trinkverlauf, zu Trinkunterbrechungen und zum Trinkende fehle; die
Berechnung einer möglichen Blutalkoholkonzentration
würde sich daher als "reine Spekulation" darstellen (UA S.
37). Angaben zum Körpergewicht und zur Konstitution des
Angeklagten, der von Polizeibeamten um 22.30 Uhr als "sehr stark
alkoholisiert" beschrieben wurde (UA S. 42), enthält das
Urteil nicht; ebensowenig Feststellungen darüber, ob der
Angeklagte nach 19.00 Uhr weiteren Alkohol zu sich nahm.
2. Diese Erwägungen sind nicht rechtsfehlerfrei. Da das
Landgericht den Angaben des Angeklagten gefolgt ist und festgestellt
hat, er habe im Verlauf des Tattags bis zu 25 Dosen Bier, also etwa 500
Gramm Alkohol zu sich genommen, konnte eine hierauf gestützte
Berechnung möglicher Blutalkoholkonzentrationen nicht von
vornherein als "reine Spekulation" beiseite gelassen werden. Vielmehr
hätten - unter Zugrundelegung alternativer Werte für
das Resorptionsdefizit und die Abbaugeschwindigkeit (vgl.
Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl., Rn. 9 e, 9 g zu § 20
m.w.N.) - die höchstmögliche sowie im Wege einer
Kontrollberechnung die geringstmögliche
Blutalkoholkonzentration errechnet werden müssen, um zum einen
die Trinkmengenangaben des Angeklagten überprüfen,
zum anderen unter Hinzuziehung sachverständiger Hilfe
beurteilen zu können, welcher Beweiswert dem festgestellten
Leistungs- und Nachtatverhalten des Angeklagten zukommen konnte. Auf
den vom Landgericht erwähnten genauen Trinkverlauf kam es auf
der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht an.
Soweit das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, als
Anhaltspunkte für ein "nicht zwangsläufiges"
Vorliegen eines schweren Rausches unter anderem gewertet hat,
daß der Angeklagte sich "situationsadäquat und
zielgerichtet" verhalten habe, weil er in der Lage war, das Tatmesser
aus der Küche zur Wohnungstür zu holen, weil er im
Krankenhaus den Weg in eine andere Abteilung allein fand und weil er
nach der Tat "zielgerichtet" bei einem Zechkumpan Unterschlupf suchte
(UA S. 20, 41), begegnet dies im Hinblick auf die geringe
Aussagefähigkeit dieser Kriterien bei dem
alkoholabhängigen und in hohem Maß
rauschgewöhnten Angeklagten Bedenken. Zwar sprechen die
sonstigen vom Landgericht festgestellten Umstände im Verhalten
des Angeklagten vor und nach den Taten erheblich für die
Annahme zumindest eingeschränkt erhaltener
Steuerungsfähigkeit; gleichwohl machte ihre Feststellung eine
vom Revisionsgericht überprüfbare Auseinandersetzung
mit der möglicherweise vorliegenden Blutalkoholkonzentration
nicht entbehrlich. Ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler kann
nicht ausgeschlossen werden, so daß das Urteil aufzuheben
war. Die rechtsfehlerfreien Feststellungen zum
äußeren Tathergang können aufrechterhalten
werden.
3. Der neue Tatrichter wird, sollte er auf der Grundlage neuer
Feststellungen zu den Trinkmengen, zur Blutalkoholkonzentration sowie
zu deren Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten zu der Annahme erheblich verminderter
Schuldfähigkeit gelangen, die Trinkgewöhnung und die
Erfahrungen des Angeklagten insbesondere aus vorangegangenen
Verurteilungen im Zusammenhang mit
übermäßigem Alkoholkonsum bei der
Ermessensentscheidung nach § 21 StGB i.V.m. § 49 Abs.
1 StGB zu berücksichtigen haben.
4. Der Senat weist darauf hin, daß die vom Landgericht zur
Begründung der Maßregelanordnung
ausgeführte, auf das Gutachten des Sachverständigen
gestützte Erwägung, eine Erfolgsaussicht der
Unterbringung nach § 64 StGB sei "nicht von vornherein zu
verneinen" und die Voraussetzungen des § 64 StGB "daher"
gegeben (UA S. 51 f.), rechtlichen Bedenken begegnet. § 64
Abs. 2 StGB verlangt die Feststellung einer hinreichend konkreten
Aussicht eines Behandlungserfolges; dies wird der neue Tatrichter zu
beachten haben.
Jähnke Otten Rothfuß
Fischer Elf |