BGH,
Beschl. v. 22.8.2006 - 1 StR 293/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 293/06
vom
22.8.2006
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
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StGB § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1; StPO § 261,
§ 354 Abs. 1a Satz 1
Zur Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO bei einer
Urteilsabsprache, die eine "Punktstrafe" zum Gegenstand hatte.
BGH, Beschl. vom 22.08.2006 - 1 StR 293/06 - LG Stuttgart
wegen unerlaubten bandenmäßigen Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22.08.2006 beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung
der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts Stuttgart vom 31. Januar 2006 Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gewährt.
Damit ist der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 12. April 2006,
mit dem die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil
als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird
als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines
Rechtsmittels und der Wiedereinsetzung.
Gründe (zu 2.):
Der Angeklagte gehörte einer Bande an, die in erheblichem
Umfang mit großen, aus den Niederlanden eingeschmuggelten
Rauschgiftmengen Handel getrieben hat. Die abgeurteilten Taten beziehen
sich auf insgesamt mehr als 25 kg Marihuana sowie in geringerem Umfang
auch auf Kokain. Deshalb wurde
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er zu acht Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, wobei das
Strafmaß auf einer verfahrensbeendenden Absprache beruht.
I.
Dem liegt, so die Revision, folgender Verfahrensgang zu Grunde: Nach
mehrtägiger Beweisaufnahme hatte das Gericht erstmals im
Verfahren die Möglichkeit einer verfahrensbeendenden Absprache
angesprochen. Bei einem danach außerhalb der Hauptverhandlung
geführten Gespräch lagen „die Vorstellungen
über das mögliche Strafmaß …
zunächst erheblich auseinander“. Der
„Vorschlag“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht
Jahren kam seitens des Gerichts. In der Hauptverhandlung wurde der
Inhalt dieses Gesprächs bekannt gegeben; ausweislich der
Niederschrift der Hauptverhandlung bezeichnete das Gericht die genannte
Strafe als „angemessen“, was unter
Abwägung für und gegen den Angeklagten sprechender
Umstände näher begründet wurde.
Anschließend fand nur noch in sehr geringem Umfang
Beweisaufnahme statt. Letztlich waren alle Verfahrensbeteiligten mit
dem Vorschlag des Gerichts einverstanden. In seinen
Schlussausführungen stellte der Verteidiger des Angeklagten
keinen konkreten Antrag zur Strafhöhe.
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Mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision macht
der Angeklagte geltend, das Gericht habe sich bereits vor der
Urteilsberatung auf eine exakte Strafhöhe
(„Punktstrafe“) festgelegt.
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II.
1. Ob der geschilderte Protokollinhalt den Revisionsvortrag, das
Gericht habe sich schon vor der Urteilsberatung letztlich
unwiderruflich auf eine bestimmte Strafe festgelegt, zwingend belegt,
mag dahinstehen. Immerhin könnte der Umstand, dass der
Verteidiger in seinen Schlussausführungen keinen kon-
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kreten Antrag zur Strafhöhe gestellt hat, dahin deuten, dass
er die Strafe in das seiner Ansicht nach noch bestehende Ermessen des
Gerichts stellen wollte. Der Senat sieht jedoch von an sich
möglichen freibeweislichen Ermittlungen (vgl. BGH NStZ 1999,
571, 572) ab. Er geht, ebenso wie die Generalbundesanwältin,
vom Vorbringen der Revision aus: Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer
Revisionsgegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO)
dem Vorbringen der Revision nicht widersprochen, und auch das Gericht
hat sich zu keiner dienstlichen Erklärung veranlasst gesehen
(vgl. BGH StV 2000, 652, 653; StraFo 2003, 379, 380).
2. Revision und Generalbundesanwältin legen zutreffend dar,
dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier § 261
StPO ebenso verletzt ist wie § 46 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1
StGB. Das Gericht kann zwar bei verfahrensbeendenden Absprachen eine
Strafobergrenze nennen, es darf sich aber nicht auf eine exakte
Strafhöhe („Punktstrafe“) festlegen (BGHSt
50, 40, 51 <Großer Senat>; 43, 195, 206 f.;
NStZ 1999, 571, 572; ebenso KG NStZ-RR 2004, 175, 178); in der Regel
wird auch nicht völlig auszuschließen sein, dass der
Strafausspruch auf einer solchen schon vor den
Schlussvorträgen der Verfahrensbeteiligten (§ 258
StPO) und der nachfolgenden Urteilsberatung (§ 260 Abs. 1
StPO) vorgenommenen Selbstbindung des Gerichts beruht (vgl. BGHSt 43,
195, 211). Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn, wie
hier, der Absprache eine längere Beweisaufnahme voranging und,
wie hier ebenfalls, ihr Ergebnis mit abwägenden
Erwägungen näher begründet wurde.
Schließlich ändert sich auch nicht dadurch etwas,
dass hier die Strafzumessungserwägungen des Urteils, die im
Kern der Begründung des gerichtlichen Vorschlags entsprechen,
so auch die Revision „für sich allein gesehen
… wohl nicht beanstandet werden“ können
(vgl. BGHSt 43, 195, 211; KG aaO).
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3. Gleichwohl hat der Strafausspruch Bestand (§ 349 Abs. 2
StPO), da der Senat, entsprechend dem Antrag der
Generalbundesanwältin, die Strafe trotz des aufgezeigten
Mangels für angemessen hält, § 354 Abs. 1a
Satz 1 StPO.
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a) Die Revision macht demgegenüber geltend, hier
stünden schon grundsätzliche Erwägungen
einer Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO entgegen.
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(1) So meint sie, wenn der Tatrichter „das ihm obliegende
abschließende Beurteilungsermessen nicht
ausgeübt“ habe, sei „es
grundsätzlich erforderlich, die Sache an ihn zur Nachholung
der rechtlich gebotenen Entscheidung zurückzugeben“.
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Einen derartigen Rechtsgrundsatz gibt es nicht. Der Anwendung von
§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO steht nicht entgegen, dass nicht
festgestellt werden kann, dass der Tatrichter ohne den Fehler auf
dieselbe Strafe erkannt hätte (vgl. BTDrucks. 15/3482 S. 21
f.; BGH NJW 2005, 913, 914; BGH, Beschl. v. 17. März 2006 - 1
StR 577/05 m.w.N.). Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob hier
die Strafkammer, hätte sie ihr
„abschließendes Beurteilungsermessen“
ausgeübt, zu demselben oder zu einem anderen Ergebnis gekommen
wäre. Deshalb ist es auch nicht erforderlich, die Sache zur
Nachholung dieses Ermessens an den Tatrichter
zurückzuverweisen.
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(2) In ihrer Erwiderung auf den Antrag der
Generalbundesanwältin (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO)
führt die Revision aus, obwohl die Entscheidung des
Gro-ßen Senats für Strafsachen (BGHSt 50, 40)
„Gegenstand intensivster rechtlicher Diskussion (war,)
… verhält sich die … Strafkammer
…, als habe es den Beschluss des Großen Senats
(und die vorangegangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
…) überhaupt nicht gegeben. Unter solchen
Umständen
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verbietet sich die ‚alles verzeihende’ Anwendung
von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO.“
Der Senat kann dem nicht folgen.
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Einen Rechtssatz, dass § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nicht
anwendbar wäre, wenn der Tatrichter revisionsgerichtliche
Rechtsprechung außer Betracht gelassen hat, gibt es nicht.
Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass diese
Rechtsprechung (ebenso wie ihre zu erwartende Übernahme in
eine künftige gesetzliche Regelung, wie die Revision im
Einzelnen dargelegt hat) in der Fachöffentlichkeit breit
diskutiert wird.
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Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof wiederholt und in
unterschiedlichen Zusammenhängen ausgesprochen, dass das
Revisionsgericht den Tatrichter nicht zu
„sanktionieren“ (BGH StV 2004, 196) oder zu
„maßregeln“ (BGH NStZ-RR 2006, 112, 114
f.) hat. Dies gilt auch hier. Dementsprechend kann es für die
Anwendbarkeit von § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO auch nicht darauf
ankommen, ob der dem Tatrichter bei der Rechtsfolgenbestimmung
unterlaufene Rechtsfehler „verzeihlich“ erscheint
oder nicht.
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b) Auch sonst steht einer Entscheidung gemäß
§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nichts entgegen. Die im Urteil
mitgeteilten Strafzumessungsumstände sind nicht
lückenhaft oder unklar und ermöglichen dem
Revisionsgericht die Prüfung und Beantwortung der Frage, ob
die Rechtsfolge angemessen ist (vgl. Senge in FS für Hans Dahs
2005, 475, 486). Ebenso wenig ist erkennbar, dass es hier im Einzelfall
besonders auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten
ankäme (vgl. BGH, Beschl. v. 17. März 2006 - 1 StR
577/05; BGH NJW 2005, 1813, 1814). Schließlich gibt es auch
keine Anhaltspunkte für erst nach der Hauptverhandlung
eingetretene und dementsprechend bisher nicht berücksichtigte
Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend
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feststellen und zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigen
würde (vgl. BGH StV 2005, 426).
c) Unter Abwägung aller für die Strafzumessung
bedeutender Urteilsfeststellungen und unter Berücksichtigung
des gesamten hierauf bezogenen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten
hält der Senat aus den von der Generalbundesanwältin
zutreffend im Einzelnen dargelegten Gründen sowohl die von der
Strafkammer verhängten Einzelstrafen als auch die daraus von
ihr gebildete Gesamtstrafe für angemessen.
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