BGH,
Beschl. v. 22.8.2007 - 2 StR 263/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 263/07
vom
22.8.2007
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 22.8.2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Köln vom 14. Februar 2007 im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von
Kindern in zwei Fällen und wegen exhibitionistischer
Handlungen in einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren
und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich die
Revision des Angeklagten, die sich insbesondere gegen die
Unterbringungsanordnung wendet.
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Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang
Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte im
September 2005 auf einem Kinderspielplatz, auf dem sich zu diesem
Zeitpunkt allein der fünfjährige Marvin G. aufhielt,
seine Hose geöffnet und ein Kondom über sein
entblößtes Glied gezogen. Dabei bat er den
Fünfjährigen um Hilfe, die dieser aber ablehnte.
Sodann entfernte sich der Angeklagte (Fall 1. der
Urteilsgründe). Am 29. September 2005 öffnete der
Angeklagte seine Hose und mani-pulierte an seinem
entblößten Glied, als ein geistig behinderter
neunzehnjähriger Mann auf dem Spielplatz zu ihm hinblickte
(Fall 2. der Urteilsgründe). Einen Tag später
öffnete er seine Hose und manipulierte an seinem
entblößten Glied vor zwei neunjährigen
Jungen, wobei er die Jungen mitunter ansah (Fall 3. der
Urteilsgründe).
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Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen,
dass der Angeklagte an einer ausgeprägten lang anhaltenden und
tief verwurzelten unreifen Persönlichkeitsstörung mit
selbstunsicheren, paranoiden, zwanghaften und histrionischen
Zügen leide, die zu einer massiven sozialen
Anpassungsstörung geführt habe. Diese
Störung sei als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne
von §§ 20, 21 StGB zu sehen, die zwar nicht zur
Einschränkung seiner Einsichtsfähigkeit wohl aber zu
einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei den Taten
geführt habe. Der Angeklagte sei allgemeingefährlich.
Er sei bereits 1991 wegen an Kinder gerichteter obszöner
Telefonanrufe und im Jahr 2000 wegen Onanierens vor drei Kindern
bestraft worden. Es seien vor allem weitere exhibitionistische
Handlungen vor Kindern zu erwarten, die als erhebliche Straftaten
anzusehen seien.
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Die Ausführungen des Landgerichts zur
Maßregelanordnung begegnen - wie in der Stellungnahme des
Generalbundesanwalts zu recht ausgeführt ist -
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durchgreifenden Bedenken. Die den Betroffenen erheblich belastende
Maßregel bedarf einer besonders kritischen Prüfung
der Gefährlichkeitsprognose unter Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Dabei kann
- wie der Bundesgerichtshof sowohl für die Anordnung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als auch in der
Sicherungsverwahrung entschieden hat - nicht unbeachtet bleiben, dass
der Gesetzgeber für exhibitionistische Handlungen - auch vor
Kindern - mit § 183 Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 StGB eine
Sonderregelung geschaffen hat. (Soweit in § 183 Abs. 4 Nr. 2
StGB auf § 176 Abs. 3 Nr. 1 StGB statt auf § 176 Abs.
4 Nr. 1 StGB verwiesen wird, handelt es sich um einen redaktionellen
Fehler, vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 183
Rd. 1). Sie erlaubt eine Bewährungsaussetzung auch dann, wenn
dem Täter erst nach einer längeren Heilbehandlung
eine günstige Prognose gestellt werden kann. Für
einen längeren Zeitraum wird daher die Gefahr der Wiederholung
derartiger Taten hingenommen. Mit dieser gesetzlichen Wertung ist es
unvereinbar, diese Taten stets als erhebliche, für die
Allgemeinheit gefährliche Straftaten anzusehen (BGH NStZ-RR
1999, 298 f.; NStZ 2005, 11 f.). Von der Gefahr erheblicher Straftaten
ist aber dann auszugehen, wenn nach den Umständen des
Einzelfalls zu besorgen ist, dass der Täter auch
schwerwiegendere Sexualdelikte begehen wird, etwa weil er aktiv auf
Kinder zugeht und Körperkontakt mit ihnen sucht.
Dafür fehlt es - auch wenn der Angeklagte im Fall 1 den
Geschädigten angesprochen hat - nach den bisherigen
Feststellungen an ausreichenden Belegen.
Dies hat das Landgericht verkannt, wenn es die vor allem zu erwartenden
Straftaten nach § 176 Abs. 4 Nr. 1 StGB ohne weiteres als
erhebliche Straftaten im Sinne der für § 63 StGB
maßgeblichen Kriterien und Gefährlichkeitsprognose
ansieht. Da das Landgericht die Prüfung unterlassen hat, ob
nach den Umständen der Anlasstaten und den als Symptomtaten
heranzuziehenden
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Taten der einschlägigen Vorverurteilungen die
Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Angeklagte auch gewichtigere
Delikte begehen wird, kann die Maßregelanordnung keinen
Bestand haben. Im Übrigen wird der neue Tatrichter in diesem
Zusammenhang auch genauer als bisher zu prüfen haben, ob der
Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert
ist, wie es § 21 StGB voraussetzt.
Auch der Strafausspruch hat keinen Bestand. Der Senat hebt die
Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf, um dem neuen Tatrichter eine
umfassende eigene Strafzumessung zu ermöglichen.
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Rissing-van Saan Bode Otten
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