BGH,
Beschl. v. 22.2.2006 - 3 StR 479/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 479/05
vom 22.2.2006
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
- 2 -
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 22.02.2006 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Auf die
Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom 13.
September 2005 im Maßregelausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung
wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende
Revision wird verworfen. Gründe: Das Landgericht hat den
Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit
gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren
Freiheitsstrafe verurteilt, seine Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet sowie
Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die Revision des
Angeklagten hat lediglich hinsichtlich des Maßregelausspruchs
Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet. 1 Zu seinem
Antrag, den Maßregelausspruch aufzuheben, hat der
Generalbundesanwalt ausgeführt: 2 "Das Landgericht hat dem
Sachverständigen folgend bei dem Angeklagten eine schwere
kombinierte Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und
3
- 3 -
histrionen Zügen festgestellt (UA S. 12), die in Verbindung
mit einem hochgradigen Erregungszustand am Tattag zu einer erheblichen
Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit geführt habe
(UA S. 14f). Der Tatrichter hat insoweit die Voraussetzungen des
§ 21 StGB angenommen. Das Landgericht ist der Auffassung, dass
auch die Voraussetzungen des § 63 StGB gegeben seien, da der
Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit infolge seiner schweren
Persönlichkeitsstörung wieder aggressive Gewalttaten
begehen werde (UA S. 17). Diese Ausführungen halten
rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Eine
Gesamtwürdigung des Zustandes des nicht vorbestraften
Angeklagten lässt das angefochtene Urteil im Hinblick darauf
vermissen, dass der erst zur Bejahung des § 21 StGB
führende Affekt situativer Natur war und die
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten für
sich genommen noch nicht zu einer erheblichen Verminderung seiner
Steuerungsfähigkeit geführt hat. Voraussetzung
für die Anwendung des § 63 StGB ist aber nicht nur
die Feststellung, dass der Täter im Zustand der
Schuldunfähigkeit oder der verminderten
Schuldfähigkeit eine Straftat begangen hat, sondern auch, dass
von ihm "infolge seines Zustandes" erhebliche rechtswidrige Taten zu
erwarten sind. Daher scheidet die Unterbringung aus, wenn der
Täter nur vorübergehend vermindert
schuldfähig gewesen ist, etwa wenn er aufgrund eines
hochgradigen Affektes gehandelt hat, der zwar die
Schuldfähigkeit zur Tatzeit aufgehoben oder vermindert hat,
der aber nicht als darüber hinausgehende Störung zu
bewerten ist (ständige Rechtsprechung; vgl. BGHSt 34, 22, 27
m.w.N.; BGHR StGB § 63 Zustand 27). Der Umstand, dass der
Angeklagte bereits früher in seinen Paarbeziehungen
gegenüber Frauen tätlich geworden ist, vermag die
Unterbringung nicht zu rechtfertigen. Nach den Feststellungen des
Urteils handelt es sich hierbei zwar
- 4 -
um ein tief verwurzeltes Verhaltensmuster aufgrund der vorhandenen
Persönlichkeitsstörung, begründet jedoch
noch keine Störung im Sinne der §§ 20, 21
StGB (vgl. hierzu BGH StV 1990, 260). Es ist nicht
auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere
Feststellungen getroffen werden, die die Einweisung des Angeklagten in
eine psychiatrische Anstalt gemäß § 63 StGB
rechtfertigen. Nach den Feststellungen könnte die
Persönlichkeitsstörung des Angeklagten eine
Unterbringung dann rechtfertigen, wenn sie nicht unmittelbar
tatauslösend, aber Ursache für die Entstehung des
schuldmindernden Affektes gewesen sein sollte, sofern mit bestimmter
Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, dass sie in Zukunft
erneut einen derartigen Affekt und eine darauf beruhende Straftat
auslöst (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 15; BGHSt 34,
22, 28)." Dem kann sich der Senat nicht verschließen. 4
Winkler Pfister von Lienen Becker Hubert |