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BGH, Beschluss vom 22. Januar 2002 - 4 StR 392/01


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 22.1.2002 - 4 StR 392/01
StPO §§ 395 Abs. 2 Nr. 1, 472 Abs. 1
Dem Angeklagten sind nach Maßgabe des § 472 Abs. 1 StPO die notwendigen Auslagen des nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO zugelassenen Nebenklägers auch dann aufzuerlegen, wenn er aufgrund desselben Sachverhalts, der zur Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Totschlags führte, stattdessen wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wird.
BGH, Beschluß v. 22. Januar 2002 - 4 StR 392/01 - LG Saarbrücken
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 392/01
vom
22. Januar 2002
in der Strafsache gegen
wegen unterlassener Hilfeleistung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 22. Januar 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 25. Mai 2001, soweit es sie betrifft, dahin geändert, daß die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Kostenentscheidung in dem angefochtenen Urteil wird als unbegründet verworfen.
4. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihrer Rechtsmittel sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es angeordnet, daß die Angeklagte die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen hat.
Die Angeklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Ferner hat sie gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils sofortige Beschwerde eingelegt.
1. Das Rechtsmittel der Revision hat zum Strafausspruch teilweise Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
a) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kam hier ein Teilfreispruch nicht in Betracht. Zwar hat das Landgericht den gegen die Angeklagte mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage erhobenen Vorwurf des mittäterschaftlich mit dem früheren Mitangeklagten G. begangenen Totschlags für nicht erwiesen erachtet und eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Totschlags durch Unterlassen aus Rechtsgründen verneint. Soweit die Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt worden ist, liegt ihrer Verurteilung aber nicht nur derselbe geschichtliche Vorgang im Sinne des § 264 StPO zugrunde (vgl. BGHSt 39, 164, 165), sondern auch eine einheitliche Handlung im sachlich-rechtlichen Sinne. Ein Teilfreispruch mit Rücksicht auf die von der im Eröffnungsbeschluß abweichenden rechtlichen Qualifizierung derselben Tat kommt nicht in Betracht (vgl. Engelhardt KK 4. Aufl. § 260 Rdn. 19 m.N.).
b) Der Ausspruch über die Aussetzung der gegen die Angeklagte verhängten Freiheitsstrafe von sieben Monaten zur Bewährung kann nicht bestehen bleiben. Die Strafe war bereits im Zeitpunkt des Urteils durch die bis dahin seit dem 9. Juli 2000 erlittene Untersuchungshaft voll verbüßt, da diese gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf die Strafe angerechnet wird. Von der Möglichkeit, gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Anrechnung abzusehen, hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Ist aber die Strafe infolge der Anrechnung bereits voll verbüßt, scheidet eine Strafaussetzung begrifflich aus (BGHSt 31, 25 f.; BGH, Beschluß vom 25. November 1998 - 2 StR 514/98 m.w.N.). Durch die Strafaussetzung zur Bewährung ist die Angeklagte auch beschwert (vgl. BGH aaO). Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos.
2. Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg, da die Kostenentscheidung, insbesondere auch soweit der Angeklagten die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden sind, den gesetzlichen Vorgaben entspricht:
Die Angeklagte hat die der vom Landgericht nach § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO als Nebenklägerin zugelassenen Mutter des Getöteten im Verfahren vor dem Landgericht erwachsenen notwendigen Auslagen gemäß § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO zu tragen. Dem steht nicht entgegen, daß sie nicht wegen Totschlags, sondern wegen unterlassener Hilfeleistung und damit wegen einer Straftat verurteilt worden ist, deretwegen die Nebenklage nicht hätte erhoben werden können. Maßgeblich für die Frage, ob die Verurteilung wegen einer Tat erfolgt ist, die den Nebenkläger im Sinne des § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO "betrifft", ist in den Fällen des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO vielmehr, ob die Verurteilung eine strafbare Handlung ahndet, die sich gegen den Getöteten als Träger eines strafrechtlich geschützten Rechtsgutes richtete (BGH NJW 1960, 1311, 1312; BGH GA 1968, 184; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 472 Rdn. 7 m.w.N.). Das ist hier der Fall, weil die Verurteilung aufgrund desselben Sachverhalts erfolgte, der zur Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Totschlags führte, und weil sich die als unterlassene Hilfeleistung geahndete Tat gegen den Getöteten als Träger eines - auch durch die Vorschrift des § 323 c StGB - geschützten Rechtsguts richtete.
Der Auffassung, bei einer Verurteilung nach § 323 c StGB entfalle die Erstattungspflicht, weil diese Vorschrift allein dem allgemeinen Interesse daran diene, daß bei Unglücksfällen geholfen werde (BGH, Urteil vom 12. Juni 1959 - 5 StR 163/59; OLG Nürnberg AnwBl 1971, 183; Franke KK 4. Aufl. § 472 Rdn. 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 472 Rdn. 6; vgl. auch OLG Hamm NJW 1962, 359 zu dem anders gelagerten Fall eines Teilfreispruchs hinsichtlich der die Nebenklage begründenden Tat), vermag der Senat nicht zu folgen. Sie beruht auf einem zu engen Verständnis des Schutzgutes dieser Vorschrift, das auf die zu § 330 c StGB a.F.vertretene Auffassung zurückgeht, Schutzobjekt der unterlassenen Hilfeleistung sei die öffentliche Sicherheit, während der gefährdete Einzelne nur als Teil des Publikums, nicht aber als individuell Berechtigter geschützt werde (so Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl. § 68 I [S. 470]; ähnlich zu § 323 c StGB auch Otto, Grundkurs Strafrecht Besonderer Teil, 5. Aufl. S. 355; Pawlik GA 1995, 360).
Allerdings ist Strafgrund dieser in den Abschnitt über die gemeingefährlichen Straftaten eingestellten Vorschrift die Verletzung der Hilfspflicht bei Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 323 c Rdn. 1). Von dem Zweck und Rechtsgrund dieser Vorschrift, die Nothilfe strafrechtlich zu sichern (vgl. Spendel LK 11. Aufl. § 323 c Rdn. 26 f. m.w.N.), sind jedoch die durch diese Vorschrift geschützten Rechtsgüter zu unterscheiden (vgl. Rudolphi SK-StGB § 323 c Rdn. 1 a.E.; Spendel aaO Rdn. 26). Dies sind nach nunmehr herrschender Meinung - jedenfalls auch - die bei einem Unglücksfall gefährdeten Individualrechtsgüter des in Not Geratenen (OLG Celle NStZ 1988, 568; OLG Düsseldorf NJW 1992, 2370, 2371; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 323 c Rdn. 1; Rudolphi aaO; Spendel aaO Rdn. 27; Tröndle/Fischer aaO jew. m.w.N.). Durch die Verurteilung der Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung wird mithin eine strafbare Handlung geahndet, die sich gegen den Getöteten als Träger eines durch diese Vorschrift geschützten Rechtsguts richtete. Insofern ist die Rechtslage in Bezug auf die notwendigen Auslagen der in dem Fall einer Verurteilung wegen Vollrausches vergleichbar (vgl. BGHSt 20, 284; BGH, Beschluß vom 19. Dezember 2001- 3 ARs 29/2001).
Da für eine Billigkeitsentscheidung nach § 472 Abs. 1 Satz 2 StPO unter den hier gegebenen Umständen kein Anlaß bestand, ist die Auferlegung der der Nebenklägerin erwachsenen notwendigen Auslagen nicht zu beanstanden.
Der 5. Strafsenat hat auf Anfrage des Senats (Beschluß vom 20. November 2001) mitgeteilt, daß er an seiner entgegenstehenden bisherigen Rechtsprechung nicht festhalte (Beschluß vom 13. Dezember 2001 - 5 ARs 36/01). Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofes steht ebenfalls nicht entgegen.
3. Die Angeklagte hat gemäß § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO die Kosten ihrer Rechtsmittel und - aus den vorgenannten Gründen - die der Nebenklägerin insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Dies ist, soweit es die Kosten des Revisionsverfahrens betrifft, mit Rücksicht auf den nur geringfügigen Teilerfolg dieses Rechtsmittels, nicht unbillig (§ 473 Abs. 4 StPO).
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