BGH,
Beschl. v. 22.3.2007 - 4 StR 56/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 56/07
vom
22.3.2007
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 22.3.2007
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Münster vom 29. September 2006 im Maß-regelausspruch
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und
seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Mit seiner
Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch Erfolg; im
Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
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Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der
Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar hat das
Landgericht die formellen und materiellen Vorraussetzungen der
Unterbringung nach § 66 Abs. 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht.
Ebenso hat es - sachverständig beraten - von einer
Unterbringung gemäß § 64 StGB wegen deren
Aussichtslosigkeit abgese-
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hen. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet aber die
Entscheidung, von einer Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB
abzusehen, die nach den Grundsätzen des § 72 StGB die
Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entbehrlich
machen kann (vgl. BGHSt 42, 306, 308; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 2006
- 4 StR 530/06).
Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Unterbringung des
Angeklagten gemäß § 63 StGB deshalb
verneint, weil die für beide Taten angenommene erheblich
verminderte Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) jeweils
durch die hochgradige Tatzeit-Alkoholisierung des Angeklagten (3,0
‰ bei Begehung der gefährlichen
Körperverletzung) bewirkt wurde. Das schloss eine
Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach
§ 63 StGB indes noch nicht von vornherein aus. Zwar kommt die
Anwendung des § 63 StGB nur bei Personen in Betracht, deren
Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte
Schuldfähigkeit durch einen länger andauernden und
nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der
§§ 20, 21 StGB hervorgerufen worden ist (st. Rspr.;
BGHSt 34, 22, 27). In Fällen, in denen die Verminderung der
Schuldfähigkeit letztlich auf Alkoholgenuss
zurückzuführen ist, kann § 63 StGB aber
ausnahmsweise angewendet werden, wenn der Täter an einer
krankhaften Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise
alkoholüberempfindlich ist (st. Rspr.; BGHSt 34, 313, 314;
BGHR StGB § 63 Zustand 9). Nichts anderes gilt bei einer
Politoxikomanie, die auf einer krankhaften Sucht beruht. Das
Landgericht hätte sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen
müssen, ob bei dem Angeklagten eine krankhafte Sucht nach
Alkohol und anderen Drogen vorliegt.
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Anhaltspunkte dafür ergeben sich aus dem festgestellten
Verlauf des Al-kohol- und Drogenmissbrauchs, der bereits im Jahre 1995
zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB
führte, die - mit mehreren Unterbrechungen infolge des
Entweichens des Angeklagten - von Mitte 1996 bis Mitte Juli 1998
dauerte und im Ergebnis erfolglos blieb. Der Angeklagte setzte danach
seinen Alkohol- und Drogenmissbrauch (Heroin, Marihuana, Amphetamine,
Kokain und Medikamente) fort. Er befand sich im März 2006
einige Tage in stationärer Entzugsbehandlung und kurz danach
nochmals in stationärer Behandlung in einer psychiatrischen
Klinik. Dort wurden eine akute Intoxikation mit multiplen Substanzen
sowie eine Politoxikomanie diagnostiziert. Damit liegen
Umstände vor, die üblicherweise mit dem Begriff einer
Sucht verbunden werden.
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Die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen einer die
Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus
rechtfertigenden krankhaften Sucht nach Alkohol und anderen Drogen war
hier nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das Landgericht - auch darin
dem Sachverständigen folgend - das Vorliegen eines
überdauernden psychischen Sachverhalts, der als krankhaft
seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21
StGB einzuordnen wäre, und ebenso eine schwere andere
seelische Abartigkeit im Sinne dieser Vorschriften ausgeschlossen hat.
Soweit es letzteres Kriterium betrifft, hat das Landgericht
ausgeführt, es bestünden "zwar viele
Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des
Angeklagten", insoweit handele es sich aber bei dem Angeklagten
lediglich um eine "dissoziale" Persönlichkeit. Auch wenn diese
Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten in ihrer
Ausprägung noch nicht den Grad erreicht hat, der bereits
für sich genommen zu einer erheblichen
Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit
geführt hat, die vom Landgericht sicher angenommene
Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten letztlich
erst durch seine jeweils
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akute Alkoholintoxikation - möglicherweise in Verbindung mit
der Wirkung auch anderer Drogen - herbeigeführt worden ist,
kann darin nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein
Zustand gesehen werden, der die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus nach § 63 StGB zu rechtfertigen vermag (vgl. BGHSt
44, 338; 44, 369; Senatsbeschluss vom 18. Januar 2000 - 4 StR 583/99 -
NZV 2000, 213).
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht -
wäre es davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen
für eine Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB
vorliegen - von einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in
der Sicherungsverwahrung abgesehen hätte. Zwar ist die
Unterbringung nach § 63 StGB nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs kein "geringeres“, sondern ein
"anderes“ Übel als die Sicherungsverwahrung, zumal
beide Maßregeln zeitlich unbegrenzt sind. Jedoch erweist sich
die Unterbringung nach § 63 StGB schon deshalb
regelmäßig als die weniger beschwerende
Maßregel, weil ihr Vollzug grundsätzlich vor dem
Vollzug der Strafe stattfindet und auf die Strafe angerechnet wird
(§ 67 Abs. 1 und 4 StGB). Auch aus diesem Grund ist - und zwar
unabhängig von der Frage der Therapierbarkeit - der
Maßregelanordnung nach § 63 StGB in der Regel
gegenüber der Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung der Vorrang einzuräumen (BGHSt 42, 306,
308; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 2006 - 4 StR 530/06).
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Der Maßregelausspruch bedarf mithin insgesamt neuer
Prüfung und Entscheidung.
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Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible |