BGH,
Beschl. v. 23.4.2002 - 1 StR 100/02
1 StR 100/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
23. April 2002
in der Strafsache gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. April 2002
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München II vom 4. Dezember 2001 im gesamten Strafausspruch
aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete
Urteil wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung, Vergewaltigung und
Nötigung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei
Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte
Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des gesamten
Strafausspruchs, ist im übrigen indessen unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zum Schuldspruch bemerkt der Senat, daß die Verurteilung
des Angeklagten wegen Nötigung im Falle D. der
Urteilsgründe (Tat vom 17. Mai 2001) im Ergebnis keinen
durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Strafkammer nimmt
an, der Angeklagte habe den Tatbestand des § 240 StGB dadurch
verwirklicht, daß er die Zeugin P. durch Versperren der
Fahrbahn an der Weiterfahrt mit ihrem Pkw Fiat gehindert habe. Den
Feststellungen zufolge stellte sich der Angeklagte mit ausgebreiteten
Armen so auf die Fahrbahn, daß die Zeugin anhalten
mußte und keine Möglichkeit mehr hatte, mit ihrem
Fahrzeug an ihm vorbeizufahren, ohne ihn zu gefährden. Nachdem
der Angeklagte zunächst versucht hatte, die von innen
verriegelte Beifahrertür zu öffnen und die Zeugin
Anstalten machte, wieder loszufahren, stellte er sich erneut vor den
Pkw und legte sich dann mit seinem gesamten Körper auf die
Motorhaube, um nun auf diese Weise die Weiterfahrt zu verhindern. Die
Zeugin hielt erneut an, weil sie wiederum nicht in Kauf nehmen wollte,
den Angeklagten durch eine Weiterfahrt zu gefährden.
Allein durch das Versperren der Fahrbahn mit ausgebreiteten Armen ist
der Nötigungstatbestand indessen nicht erfüllt. Nach
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Auslegung des
Merkmals der Gewalt in § 240 Abs. 1 StGB liegt solche dann
nicht vor, wenn die Handlung lediglich in körperlicher
Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Betroffenen nur
psychischer Natur ist (BVerfGE 92, 1, 16 ff. = BVerfG NStZ 1995, 275,
276). Stellt sich also jemand auf die Straße und zwingt so -
ohne Gefährdung anderer (vgl. § 315b Abs. 1 Nr. 2
StGB) - den ersten herannahenden Autofahrer zum Anhalten, so ist dies
nicht strafbar. Daran ändert nichts, daß die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Zusammenhang mit
Sitzdemonstrationen ergangen ist. Die Auslegung des Merkmals der Gewalt
in § 240 Abs. 1 StGB kann nicht davon abhängen,
welche Ziele der Täter weiter verfolgt, ob er also von seinem
Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen oder den zum
Anhalten gezwungenen Autofahrer zu einem persönlichen
Gespräch veranlassen will.
Gleichwohl hat der Schuldspruch auch insoweit im Ergebnis Bestand. Der
Angeklagte hat sich anschließend, als die
Geschädigte wieder anfahren wollte, mit seinem Körper
auf die Motorhaube des Pkw Fiat gelegt. Damit hat er nun unter Einsatz
seines Körpers und unter Entfaltung gewisser
Körperkraft auch ein physisches Hindernis geschaffen, von dem
auf die Autofahrerin nicht nur psychische Zwangswirkung durch
bloße Anwesenheit ausging (vgl. im übrigen zur
Abgrenzung in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes BGH NJW 1995,
3131 - Ausbremsen im Verkehr; BGHSt 41, 182 - sog.
Zweite-Reihe-Rechtsprechung; BGH, Beschl. vom 1. August 1995 - 1 StR
334/95 - Kreuzungsblockade durch mehrere hundert Personen; BGHSt 41,
231 - "Spaziergangs-Demonstrant"; BGHSt 44, 34 - Gleisblockade mit
Stahlkasten).
2. Die Zumessung der Strafe wegen der Vergewaltigung ist indessen von
einem Rechtsmangel mitbestimmt. Die Strafkammer wertet
strafschärfend, daß der Angeklagte keine ernsthafte
Auseinandersetzung mit dem Unrecht seines Handelns habe erkennen
lassen. Der ablehnenden Haltung der Geschädigten
(gegenüber dem vom Angeklagten gewollten und erzwungenen
Geschlechtsverkehr) sowohl bei als auch nach der Tat habe er nach wie
vor mit Unverständnis gegenübergestanden. Er sei
davon überzeugt gewesen, wie er insbesondere durch seine
Vorhaltungen während der Vernehmung der Geschädigten
gezeigt habe, daß der erzwungene Geschlechtsverkehr dann
letztlich doch auch von der Geschädigten gewollt und als
angenehm empfunden worden sei (UA S. 23 unten).
Dem liegt folgendes zugrunde: Der Angeklagte hatte mit der Zeugin eine
auch intime, mittlerweile aber von der Zeugin beendete Beziehung. Er
hatte diese unter dem Versprechen, sie "nicht anzufassen"
veranlaßt, mit ihm in seine Wohnung zu gehen und sich mit ihm
ins Bett zu legen. Der Angeklagte hat den gewaltsamen Beginn des
Geschlechtsverkehrs eingeräumt, sich aber weiter dahin
eingelassen, die Zeugin sei während des andauernden
Geschlechtsverkehrs zum sexuellen Höhepunkt gekommen. Die
Geschädigte hingegen hat ausgesagt, während des
erzwungenen Geschlechtsverkehrs habe der Angeklagte ein entsprechendes
Verlangen geäußert und angekündigt "zu
warten", bis sie auch "komme". Deshalb habe sie einen
Höhepunkt vorgetäuscht, um das für sie nach
wie vor unerwünschte Geschehen möglichst rasch zu
beenden. Diese Angaben hat die Strafkammer ihren Feststellungen
zugrunde gelegt.
Danach ist zu besorgen, daß die Strafkammer dem Angeklagten
bei der Strafbemessung letztlich sein Verteidigungsverhalten angelastet
hat. Das ist nicht statthaft. Prozeßverhalten, mit dem ein
Angeklagter - ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu
überschreiten - den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden oder
die Tat sonst in einem milderen Licht erscheinen zu lassen versucht,
darf grundsätzlich nicht straferschwerend
berücksichtigt werden, weil hierin eine
Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge
(vgl. nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17
m.w.Nachw.). Da von der rechtsfehlerhaften Erwägung die
Einsatzstrafe betroffen ist, vermag der Senat nicht
auszuschließen, daß auch die Gesamtstrafe und die
anderen Einzelstrafen von dem Mangel beeinflußt sind. Die dem
Rechtsfolgenausspruch zugrundeliegenden Feststellungen werden von der
zu beanstandenden Erwägung indessen nicht berührt;
sie können bestehen bleiben, weil lediglich ein Wertungsfehler
in Rede steht. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen
nicht widersprechen, sind zulässig.
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