BGH,
Beschl. v. 23.2.2000 - 3 StR 15/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 15/00
vom
23. Februar 2000
in der Strafsache gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf
dessen Antrag - am 23. Februar 2000 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Duisburg vom 10. September 1999 mit den Feststellungen aufgehoben; von
der Aufhebung ausgenommen sind die Feststellungen zum
äußeren Sachverhalt, zum Tatvorsatz und zum
Nachtatverhalten, die bestehen bleiben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der
Angeklagte mit mehreren Verfahrensrügen und der
Sachrüge. Die Revision hat mit der Rüge der
fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines
psychiatrisch-psychologischen Sachverständigengutachtens im
Umfang der Entscheidungsformel Erfolg. Im übrigen ist sie
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der
Angeklagte ca. am 20. oder 21. Januar 1999, jedenfalls vor dem 24.
Januar 1999, den mit ihm gut bekannten S. in seiner Wohnung in der A.
straße in D. . . Dabei benutzte er unter anderem einen
Zimmermannshammer. Die Leiche beseitigte er dadurch, daß er
sie mit einer Handsäge zerteilte, die Leichenteile in
Müllsäcke verpackte und an mehreren Stellen in der
Nähe von K. versteckte. Er trennte das rechte Bein in
Höhe des oberen Oberschenkelknochens und den linken Arm im
Bereich des Oberarms vom Körper. Da er mit der Säge
den starken Oberschenkelknochen nicht durchtrennen konnte, brach er
diesen durch große Krafteinwirkung ab. Ein Motiv für
die Tat und Einzelheiten der Tatausführung konnte die
Schwurgerichtskammer nicht feststellen.
Der Angeklagte bestreitet die Tat. In der Hauptverhandlung hat die
Verteidigung folgenden Beweisantrag gestellt:
"In der Strafsache gegen J. beantragt die Verteidigung für den
Fall, daß das Gericht davon ausgehen sollte, Herr J. habe den
S. getötet, an dessen Tötung mitgewirkt und alsdann
die Leiche mittels einer Metallsäge zerstückelt - mit
ausdrücklicher Zustimmung des Angeklagten - die Einholung
eines psychiatrisch-psychologischen Sachverständigengutachens
zum Beweis der Tatsache, daß der Angeklagte die ihm
vorgeworfenen Straftaten im Zustand und aufgrund einer krankhaften
seelischen Störung bzw. schweren anderen seelischen
Abartigkeit begangen hat, die seine Fähigkeit, sein Handeln
aus Einsicht in das Unerlaubte zu steuern, aufgehoben hat, und die
anschließende Erstattung des Gutachtens in der
mündlichen Hauptverhandlung. Als Gutachter schlage ich vor,
Herrn Prof. Dr. L. .
Begründung:
Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Sachverständigen ergibt
sich vorliegend schon aus den Besonderheiten der Tat - Tötung
und Zerstückelung -, so sie dem Angeklagten zugerechnet werden
kann. In der zur Frage der Leichenzerstückelung und
Leichenbeseitigung veröffentlichten Literatur werden
Täter, die alsdann als zur Leichenzerstückelung
fähig sind, ausnahmslos als psychisch abnorme
Persönlichkeiten charakterisiert, bei denen schwere Neurosen
bzw. Schizophrenie festgestellt wurden.
Mustert man die zahlreichen, seit Beginn der Hauptverhandlung zu den
Akten gereichten handschriftlichen Erklärungen des
Angeklagten, in denen er u.a. zu seinen Ideen und Vorstellungen von den
Ereignissen ausführt, so läßt dies den
Verdacht zu, es habe sich bei dem Angeklagten eine stärkere,
bisher latent gebliebene seelische Gestörtheit oder
Schizophrenie manifestiert. Man kann zu der Auffassung gelangen, der
Angeklagte glaube, daß anderen seine innersten Gedanken,
Gefühle und Handlungen bekannt seien. Man kann zu der
Auffassung gelangen, der Angeklagte messe alltäglichen
Situationen eine besondere, bedrohliche Bedeutung zu. Man kann zu der
Auffassung gelangen, der Angeklagte, dessen Interessenverlust am
Erscheinungsbild seiner Wohnung evident geworden ist, rücke
nebensächliche und unwichtige Dinge in den Vordergrund an
Stelle wichtiger und situationsentsprechender Elemente. Man kann zu der
Auffassung gelangen, in den schriftlichen Erklärungen des
Angeklagten dokumentiere sich ein vages, schiefes und verschwommenes
Denken bei Brüchen und Einschiebungen in den
Gedankenfluß.
Nicht unbeachtet bleiben sollte schließlich das doch schon
recht hohe Alter des Angeklagten."
Die Strafkammer hat diesen Beweisantrag zurückgeweisen, weil
aufgrund der Biographie und des persönlichen Eindrucks der
Kammer vom Angeklagten sowie dessen Einlassung, keinerlei Anhaltspunkte
für die Annahme einer psychischen Erkrankung oder sonstigen
wesentlichen Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit
bestehen.
2. Die Ablehnung des Hilfsbeweisantrags auf Einholung eines
psychiatrisch-psychologischen Sachverständigengutachtens
begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die unter Beweis gestellte Tatsache, der Angeklagte habe die Straftat
im Zustand einer krankhaften seelischen Störung oder einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit begangen, die seine
Steuerungsfähigkeit aufgehoben habe, ist nicht auf das
Geratewohl behauptet worden. Wegen der im Beweisantrag im einzelnen
dargestellten Besonderheiten der Tatbegehung und der
Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten, auf die der
Inhalt seiner Schreiben hindeutet, vor allem aber wegen der
Leichenzerstückelung, liegen Anzeichen vor, die Zweifel an der
vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten aufkommen lassen. Als
Täter, die zu einer Leichenzerstückelung
fähig sind, kommen u.a. psychisch abnorme Personen mit
schweren Neurosen oder Schizophrene in Betracht. Denkbar sind auch
psychisch abnorme Erlebnisphasen mit sthenisch gefärbter
Durchhaltereaktion (vgl. Joachim in Balduin Forster, Praxis der
Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen, 1986, 236 ff., 238).
Unter diesen Umständen konnte das Landgericht nicht von der
beantragten Vernehmung eines medizinischen Sachverständigen
absehen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl.
§ 244 Rdn. 76 m.w.Nachw.; Herdegen in KK 4. Aufl. §
244 Rdn. 29). Eine eigene Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten liegt fern (vgl. Gollwitzer
aaO Rdn. 300, 305 m.w.Nachw.) Ob bei dem Angeklagten eine psychische
Erkrankung tatsächlich vorliegt und in welchem Maße
sie gegebenenfalls die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bei
der Tatbegehung beeinträchtigt hat, vermag nur ein
Sachverständiger mit einem medizinischen Spezialwissen anhand
des konkreten Falles zuverlässig zu beurteilen.
3. Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags kann das Urteil
sowohl im Schuldspruch als auch im Strafausspruch beruhen. Der Senat
kann auch eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht sicher
ausschließen. Durch die unterlassene Vernehmung eines
medizinischen Sachverständigen werden die rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt,
zum Tatvorsatz und zum Nachttatverhalten nicht betroffen, so
daß sie bestehen bleiben können.
Sollte sich in der neuen Hauptverhandlung die
Schuldunfähigkeit des Angeklagten ergeben oder nicht
ausschließen lassen, kann von einem natürlichen
Vorsatz ausgegangen werden (BGHR StGB § 63 Tat 1 und 2;
Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 63 Rdn. 2 a). Im
Falle einer Schuldunfähigkeit oder verminderten
Schuldfähigkeit käme auch seine Unterbringung in
einem psych-
iatrischen Krankenhaus in Betracht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
Winkler von Lienen |