BGH,
Beschl. v. 23.2.2000 - 5 StR 38/00
5 StR 38/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 23. Februar 2000
in der Strafsache gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Februar 2000
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 31. August 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zum
äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten; die
weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes an seinem Vater zu
einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner Revision
beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die
Verletzung sachlichen Rechts. Die Sachrüge führt zur
Aufhebung des Schuldspruchs in dem aus dem Beschlußtenor
ersichtlichen Umfang, so daß es auf die mit gleicher
Zielrichtung erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
Aufgrund rechtlich bedenklicher Erwägungen hält das
sachverständig beratene Landgericht den zur Tatzeit 16 Jahre
alten Angeklagten für uneingeschränkt
schuldfähig. Eine "krankhafte psychische Anomalie" im Sinne
des § 20 StGB liege nicht vor. Der
überdurchschnittlich intelligente Angeklagte weise zwar eine
auffällige narzistische und zwanghafte
Persönlichkeitsstruktur auf, die jedoch keinen Krankheitswert
besitze. Zum Tatzeitpunkt habe er vor der Entscheidung gestanden, von
dem als schwach und negativ bewerteten Vater selbst abgewertet,
gekränkt und psychisch verletzt zu werden oder sich gegen
diesen Vater zur Wehr zu setzen, um seine Selbstachtung und psychische
Balance zu erhalten. Die Gefahr einer Identitätskrise habe
aber die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht erheblich
gemindert oder aufgehoben, da er aufgrund seiner guten intellektuellen
Ausstattung durchaus (andere) Entscheidungsmöglichkeiten
gehabt hätte.
Diese Ausführungen begegnen schon deshalb rechtlichen
Bedenken, weil sie nicht erkennen lassen, daß das Landgericht
zwischen einer krankhaften seelischen Störung und einer -
nicht pathologisch bedingten - schweren anderen seelischen Abartigkeit
unterschieden hätte (vgl. BGHSt 34, 22, 24; BGHR StGB
§ 21 - seelische Abartigkeit 1, 3, 6, 9, 14). Letztere setzt
nicht voraus, daß Persönlichkeitsstörungen
des Täters auf einer Krankheit beruhen oder Krankheitswert
haben. Ob eine Persönlichkeitsstörung den Grad einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit erreicht, ist aufgrund einer
umfassenden Gesamtbetrachtung zu beurteilen, in die neben dem
Persönlichkeitsbild des Angeklagten und den
Tatumständen auch sein Verhalten vor und nach der Tat
einzubeziehen ist (vgl. BGH aaO).
An einer solchen Gesamtschau fehlt es hier. Zumindest das
Nachtatverhalten des Angeklagten hätte Anlaß zu
weiterer Erörterung gegeben: Der Angeklagte war etwa vier
Stunden nach der Tat zu dem von ihm mit einer Hantel im Schlaf
erschlagenen Vater zurückgekehrt, hatte ihm Gabeln unter die
Augäpfel gesteckt und eine Vielzahl weiterer sadistischer
Handlungen an der Leiche vorgenommen. Ferner hatte er ihm einen Zettel
in den Mund gesteckt, auf dem sinngemäß stand, der
Vater habe sterben müssen, weil er seinen Sohn "genervt" habe.
Später hatte der Angeklagte unter ständigem Lachen
seinen Freunden von der Tötung des Vaters sowie den
anschließenden "Mißhandlungen" berichtet und sie zu
der Leiche geführt. Jedenfalls angesichts dieser
Besonderheiten, mit denen sich das Landgericht nicht auseinandersetzt,
reicht der Hinweis auf die intellektuellen Fähigkeiten des
Angeklagten nicht aus, um Rückschlüsse darauf zu
ziehen, inwieweit seine Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit
beeinflußt gewesen sein könnte.
Der Senat hebt das Urteil - mit Ausnahme der rechtsfehlerfrei
getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen
- in vollem Umfang auf, um dem neuen Tatrichter die
Möglichkeit zu geben, die Schuldfähigkeit des
Angeklagten umfassend neu zu prüfen. Dabei wird es sich -
schon angesichts der Spannungen zwischen Verteidigung und bisheriger
Sachverständiger - empfehlen, einen weiteren
Sachverständigen mit der Begutachtung des Angeklagten zu
beauftragen.
Harms Basdorf Nack
Dr. Tepperwien Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Gerhardt ist infolge Urlaubs
an der Unterschriftsleistung
gehindert.
Harms |