BGH,
Beschl. v. 23.2.2010 - 4 StR 599/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 599/09
vom
23. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gewerbsmäßiger Hehlerei u.a.
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag hin - und der
Beschwerdeführer am 23. Februar 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten H. -J. R. wird das Urteil des
Landgerichts Saarbrücken vom 28. Juli 2009 bezüglich
dieses Angeklagten aufgehoben, soweit die Strafkammer in den Ziffern
IV. und V. des Tenors festgestellt hat, dass der Anordnung des Verfalls
von Wertersatz Ansprüche Verletzter entgegenstehen und ein
Geldbetrag von 557.299,87 € dem Wert des durch die Taten
Erlangten entspricht.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des
Angeklagten H. -J. R. , an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten H. -J. R. und die
Revision des Angeklagten I. R. gegen das vorbezeichnete Urteil werden
verworfen.
4. Der Angeklagte I. R. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten H. -J. R. wegen
gewerbsmäßiger Hehlerei in sieben Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es
festgestellt, dass der Anordnung des Verfalls von Wertersatz
Ansprüche Verletzter entgegenstehen und - hinsichtlich dieses
Angeklagten - ein Geldbetrag von 557.299,87 € dem Wert des
durch die Taten Erlangten entspricht. Den Angeklagten I. R. hat die
Strafkammer wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen
Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil
richten sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung des
sachlichen Rechts gestützten Revisionen der beiden
Angeklagten. Das Rechtsmittel des Angeklagten H. -J. R. hat mit der
Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im
Übrigen ist es, wie die Revision des Angeklagten I. R.
insgesamt, unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die von beiden Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen, mit
denen sie eine Beschränkung der Verteidigung geltend machen,
weil der Antrag, Einblick in die gesamten TKÜ-Protokolle des
Ursprungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Koblenz zu
gewähren, zurückgewiesen worden sei, haben keinen
Erfolg.
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a) Den Verfahrensrügen liegt im Wesentlichen folgendes
Geschehen zugrunde:
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In dem gegen A. W. wegen des Verdachts des Diebstahls
geführten Ermittlungsverfahren wurde im Jahr 2007 - zuletzt am
18. Oktober - die
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- 4 -
Überwachung seiner Mobilfunkanschlüsse angeordnet und
durchgeführt. Auf Grund der dabei gewonnenen Erkenntnisse
wurde das Ermittlungsverfahren am 22. Oktober 2007 auf den Angeklagten
H. -J. R. und später auf I. R. als weitere Beschuldigte
erstreckt. Am 7. März 2008 trennte die Staatsanwaltschaft das
Verfahren gegen die beiden Angeklagten ab und verfügte, die
Akte "vollständig" zu fotokopieren, wobei vermerkt ist, dass
diese "derzeit" aus zwölf Stehordnern bestehe und - unter
anderem - der "LO TK-Maßnahmen" in der nächsten
Woche von der Polizei nachgereicht werde. In dem Ermittlungsverfahren
gegen A. W. (und dessen Bruder) wurde am 27. März 2008 Anklage
zum Landgericht Konstanz erhoben. Das gegen die Angeklagten
geführte Ermittlungsverfahren wurde - mit 4 Stehordnern
Hauptakten, 3 Stehordnern Finanzermittlungen, 2 Sonderbänden
KT-Maßnahmen, 8 Bänden Fallakten und 1 Karton mit
Asservaten - am 13. August 2008 an die Staatsanwaltschaft
Saarbrücken abgegeben, die den Verteidigern der Angeklagten am
30. Januar 2009 Akteneinsicht gewährte und unter dem Datum
dieses Tages die Anklageschrift verfasste.
In der Hauptverhandlung wurde zu mehreren überwachten
Telefongesprächen Urkundenbeweis erhoben. Einen "Beweisantrag"
des Verteidigers des Angeklagten H. -J. R. , mit dem er die Beiziehung
der vollständigen TKÜ-Protokolle des Strafverfahrens
gegen A. W. und dessen Bruder sowie Einsicht in diese Akten begehrte,
um festzustellen, "dass in der Ermittlungsakte des vorliegenden
Verfahrens die TKÜ Protokolle nur unvollständig
enthalten sind", lehnte die Strafkammer mit Beschluss vom 28. Juli 2009
wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit ab, wobei sie
ergänzend ausführte, dass sich - anders als vom
Verteidiger vorgetragen - aus der Nummerierung der
TKÜ-Protokolle (auf das Gespräch 1391 folgte das
Gespräch 1406) keine Rückschlüsse darauf
ziehen lassen, dass sich in der Akte des Landgerichts
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Konstanz weitere TKÜ-Protokolle befinden. Eine Beiziehung der
Akten des Landgerichts Konstanz erfolgte - auch in der Folgezeit -
nicht.
Sonstige Bemühungen um Akteneinsicht - auch in dem vor dem
Landgericht Konstanz durchgeführten Strafverfahren - wurden
nach dem Vortrag der Revisionsführer von den Angeklagten oder
ihren Verteidigern nicht bzw. nach dem 30. Januar 2009 nicht mehr
unternommen. Auch teilt die Revision nicht mit, welche konkreten
weiteren Erkenntnisse sich aus der Einsicht in die
TKÜ-Protokolle, die sich in den Akten des Landgerichts
Konstanz befinden, ergeben hätten.
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b) Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
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Dabei kann dahinstehen, ob bei einem zeitweise gegen mehrere
Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren nach der
Abtrennung des Verfahrens gegen einen oder mehrere Beschuldigte das
Akteneinsichtsrecht im anhängigen Verfahren auch solche Akten
oder Aktenteile umfasst, die dem Gericht tatsächlich nicht
vorliegen, die aber in dem (auch und noch) gegen die Angeklagten
geführten Ermittlungsverfahren wegen der Taten angefallen
sind, die letztlich Gegenstand der Anklageschriften geworden sind (vgl.
BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09). Dem könnte
entgegenstehen, dass sich nach der bisherigen Rechtsprechung der
Anspruch auf Akteneinsicht nur auf die dem Gericht tatsächlich
vorliegenden Akten bezieht (BGH, Urt. vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81,
BGHSt 30, 131, 138, 141, und Beschl. vom 11. November 2004 - 5 StR
299/03, BGHSt 49, 317, 327 m.w.N.; ähnlich ["bei Gericht
vorliegende Unterlagen"] BGH, Beschl. vom 10. Oktober 1990 - StB 14/09,
BGHSt 37, 204, 206), also Aktenbestandteile aus anderen Verfahren dem
Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO selbst dann nicht
unterliegen, wenn die Verfahren
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zeitweise gemeinsam geführt, später aber getrennt und
diese im formellen Sinne "fremden" Akten nicht beigezogen wurden (BGH,
Beschl. vom 4. Oktober 2007 - KRB 59/07, BGHSt 52, 58, 62; vgl. auch
BGH, Urt. vom 26. August 2005 - 2 StR 225/05, BGHSt 50, 224, 229).
Den Rügen ist der Erfolg jedenfalls deshalb zu versagen, weil
es für die Annahme, die Verteidigung sei in einem für
die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt worden, nicht
genügt, dass diese Beschränkung nur generell
(abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen.
Vielmehr ist § 338 Nr. 8 StPO nur dann gegeben, wenn die
Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem
Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (vgl. die
Nachweise bei Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 338 Rdn.
59 und KK-Kuckein StPO 6. Aufl. § 338 Rdn. 101). Bei der
Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem
wesentlichen Punkt durch Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von
Akten bzw. eines Akteneinsichtsantrags ist daher ein substantiierter
Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau
bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche
Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten (vgl. BGH,
Urt. vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 138, 143, und
Beschl. vom 2. Februar 1999 - 1 StR 636/98, StV 2000, 248, 249 m. Anm.
Ventzke). Damit korrespondiert das Erfordernis möglichst
konkreten Vortrags bei einer Rüge wegen unterlassener
Beiziehung von Akten unter dem Aspekt der Verletzung der
Aufklärungspflicht (BGH, Beschl. vom 11. November 2004 - 5 StR
299/03, BGHSt 49, 317, 328 m.w.N.; vgl. auch BGH, Beschl. vom 21.
Oktober 2004 - 1 StR 324/04). Sollte eine solche konkrete Bezeichnung
wesentlichen vorenthaltenen Aktenmaterials dem Verteidiger nicht
möglich sein, weil ihm die Akten, in die er Einsicht nehmen
will, verschlossen geblieben sind, so muss er sich - damit die Ausnahme
von der an sich nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden
Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt
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wird - jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der
Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht
haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem
Revisionsgericht auch dartun (BGH, Beschl. vom 11. November 2004 - 5
StR 299/03, BGHSt 49, 317, 328, und Urt. vom 23. August 2006 - 5 StR
151/06, StraFo 2006, 459, 460).
An einem solchen zumutbaren und jedenfalls nach § 475 StPO
Erfolg versprechenden (vgl. BGH, Urt. vom 26. August 2005 - 2 StR
225/05, BGHSt 50, 224) Bemühen um Einsicht in die Akten der
Staatsanwaltschaft oder des Landgerichts Konstanz fehlt es vorliegend.
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2. Hinsichtlich des Angeklagten H. -J. R. hat dagegen die
Sachrüge teilweise Erfolg. Denn das Landgericht hat - wie der
Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
ausführt - nicht berücksichtigt, dass eine teilweise
bereits durchgeführte Schadenswiedergutmachung (hier durch
Rückgabe eines Teils der Hehlerware an den
Eigentümer) bezogen auf diesen Teil einer Feststellung nach
§ 111i Abs. 2 StPO entgegensteht (vgl. Senat Beschl. vom 10.
November 2009 - 4 StR 443/09).
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Dies führt zur Aufhebung von den Ziffern IV. und V. des Tenors
des angefochtenen Urteils. Dem Senat ist eine Korrektur dieser
Entscheidung verwehrt, da es sich bei § 111i Abs. 2 StPO um
eine Ermessensentscheidung
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handelt, die dem Tatrichter vorbehalten ist (vgl. BGH, Beschl. vom 18.
Dezember 2008 - 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, 242). Einer Aufhebung
der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedarf es indes nicht
(vgl. Meyer-Goßner aaO § 353 Rdn. 12, 15).
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Mutzbauer |