BGH,
Beschl. v. 23.7.2002 - 4 StR 170/02
4 StR 170/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
23. Juli 2002
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 23.
Juli 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Halle vom 15. Oktober 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als
Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die
Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Nach den Feststellungen stach die Angeklagte mit einem 32 cm langen
Brotmesser auf ihren früheren Lebenspartner M. F. ein, um
diesen für sein "ihr unerträgliches Verhalten zu
bestrafen". Dabei handelte sie mit bedingtem Tötungsvorsatz.
M. F. konnte den Stich abwehren. Die Angeklagte forderte sodann die bei
dem Tatgeschehen anwesende K. S. auf zu "verschwinden", um zu
verhindern, daß sie M. F. zu Hilfe kam. Die Angeklagte ging
zwar davon aus, "daß K. S. die Hilfe Dritter herbeiholen
werde, die ihr verbleibende Zeit bis zu deren etwaigen Eintreffen
jedoch für die Vollendung der Tat ausreichend sei" (UA 13).
Als K. S. daraufhin die Wohnung fluchtartig verließ,
stieß die Angeklagte dem M. F. - wiederum mit bedingtem
Tötungsvorsatz - das Messer wuchtig in den linken Brustraum.
Diese Verletzung führte zu einem sofortigen starken
Blutverlust; der Todeseintritt blieb jedoch "aufgrund des
zufälligen glücklichen Umstandes (aus), daß
das Blut nicht in den eröffneten Brustraum, sondern
außerhalb des Körpers austrat". M. F. gelang es
noch, der Angeklagten das Messer zu entreißen, bevor er
infolge des massiven Blutverlustes stark benommen zusammensackte. Die
Angeklagte versuchte sodann, über ein Mobiltelefon
ärztliche Hilfe herbeizuholen. Als ihr dies nicht gelang, lief
sie "auf der Suche nach anderweitiger Hilfe" auf die Straße
zu einem Taxi, in dem K. S. "Schutz gesucht und bereits - wie von der
Angeklagten erwartet - die Polizei verständigt hatte". Die
Angeklagte wartete vor dem Taxi die nach wenigen Minuten eintreffenden
Polizei- und Rettungskräfte ab und führte sie zu dem
Verletzten, der daraufhin ärztlich versorgt und dessen Leben
gerettet werden konnte.
Das Landgericht hat einen Rücktritt vom
Tötungsversuch abgelehnt, weil "die Angeklagte durch das
Entreißen ihres Messers durch den Geschädigten an
der weiteren Tatausführung gehindert (gewesen sei)" (UA 23).
Damit ist - wie die Revision zu Recht beanstandet - die Ablehnung
strafbefreienden Rücktritts nicht rechtsfehlerfrei
begründet.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kommt es
für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch und
damit für die Voraussetzungen strafbefreienden
Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten
von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des
tatbestandlichen Erfolgs für möglich hält
oder nicht ("Rücktrittshorizont"; vgl. nur BGHSt 39, 221, 227;
Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 24 Rdn. 14 ff.).
Feststellungen dazu enthält das Urteil nicht. Auch die
Voraussetzungen eines fehlgeschlagenen Versuchs, der vorliegt, wenn der
Erfolgseintritt - für den Täter
erkanntermaßen - objektiv nicht mehr möglich ist
oder er ihn nicht mehr für möglich hält, und
bei dem ein Rücktritt ausgeschlossen ist (BGHSt 39, 221, 228,
232; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 6 ff.), sind dem Urteil nicht zu
entnehmen; denn es ist weder festgestellt, daß die Angeklagte
weiter auf das Opfer einstechen wollte noch, daß ihr dies
nach dem Zusammenbrechen des Opfers mit dem bereits eingesetzten Messer
oder anderen Mitteln nicht möglich gewesen wäre.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Falls der
nunmehr entscheidende Tatrichter - was naheliegt - feststellen sollte,
daß der Totschlagsversuch beendet war, wird er im Hinblick
auf das Nachtatverhalten der Angeklagten auch zu prüfen haben,
ob sie sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die
Tatvollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).
Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um eine neue
Entscheidung ohne Bindung an rechtskräftige Feststellungen zu
ermöglichen.
Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanovic Ernemann
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