BGH,
Beschl. v. 23.6.2010 - 2 StR 222/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 222/10
vom
23. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. Juni
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Erfurt vom 18. Januar 2010 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von
Kindern in drei Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von
Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten
verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision
des Angeklagten führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im
Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von §
349 Abs. 2 StPO.
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1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der Angeklagte
veranlasste "in der Nacht vom 18.7.2009 auf den 19.7.2009"
während einer Hochzeitsfeier den siebenjährigen Sohn
des Brautpaares in zwei Fällen den unbedeckten Penis des
Angeklagten mit den Händen zu manipulieren (Fälle 1
und 2), in einem Fall manipulierte er mit den Händen am
unbedeckten Penis des Kindes (Fall 3), und in einem weiteren Fall
führte er einen Finger in den Anus des Kindes ein (Fall 4).
Die Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zehn Monaten hat das
Landgericht aus Einzelfreiheitsstrafen von je acht Monaten
(Fälle 1-3) und von zwei Jahren (Fall 4) gebildet.
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2. Die Annahme einer erheblich verminderten
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in allen vier
Fällen begegnet zwar insoweit rechtlichen Bedenken, als die
Strafkammer sie allein mit der "höchstmöglichen
Blutalkoholkonzentration von 2,27 Promille für den Zeitpunkt
4.00 Uhr des 19.7.2009" begründet hat, ohne auf weitere
für die Anwendung des § 21 StGB relevante Faktoren
wie das Leistungsverhalten des Angeklagten einzugehen. Auch ist mit
Rücksicht auf den sich über die ganze Nacht
erstreckenden Tatzeitraum nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, warum
das Gericht die angenommene Blutalkoholkonzentration dem Angeklagten
"bei Begehung aller Straftaten zugebilligt hat". Hierdurch ist der
Angeklagte jedoch nicht beschwert.
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3. Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer im Fall 4 der
Urteilsgründe das mögliche Vorliegen eines
minderschweren Falles im Sinne des § 176a Abs. 4 2. Halbsatz
StGB nicht geprüft. Eine ausdrückliche
Erörterung ist jedenfalls dann erforderlich, wenn sie nach
Lage der Dinge nicht fern liegt (vgl. Fischer StGB § 46 Rdn.
86 m.N.). Davon ist hier - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend
hinweist - schon deshalb auszugehen, weil allein die vom Landgericht
festgestellte eingeschränkte Steuerungsfähigkeit im
Sinne des § 21 StGB zu der Annahme eines minderschweren Falles
führen kann; dies hätte vorrangig vor einer etwaigen
Reduzierung des Strafrahmens nach §§ 21, 49 StGB
geprüft werden müssen.
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4. Darüber hinaus begegnet die Ablehnung einer
Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB in allen
vier abgeurteilten Fällen rechtlichen Bedenken. Zwar erfordert
das Schuldprinzip bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 21
StGB keine obligatorische Strafmilderung. Bei verminderter
Schuldfähigkeit ist jedoch grundsätzlich davon
auszugehen, dass der Schuldgehalt und damit die
Strafwürdigkeit der Tat verringert ist. Deshalb ist
regelmäßig eine Strafrahmenverschiebung vorzunehmen,
wenn nicht andere schulderhöhende Umstände, die im
Urteil konkret und widerspruchsfrei festgestellt werden
müssen, entgegenstehen (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 161; NStZ 2004,
619).
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Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die
strafschärfende Erwägung eines Vertrauensbruches des
Angeklagten "gegenüber dem Opfer, das im Angeklagten seinen
Freund sah", findet in den rudimentären Feststellungen, aus
denen allenfalls gefolgert werden kann, dass der Angeklagte und das
Opfer sich erst am Tattag kennen lernten, keine Stütze. Ebenso
ist ohne weitere Feststellungen nicht nachzuvollziehen, warum die
Tatbegehung in der Kegelbahn des Vereinshauses (Fälle 2-4) vom
Landgericht als eine solche "an versteckter Stelle" gewertet wird,
welche eine "gesteigerte Handlungsintensität"
begründet.
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Im Übrigen ist es nicht widerspruchsfrei, dem nicht
vorbestraften Angeklagten einerseits zugute zu bringen, dass er durch
den genossenen Alkohol "erheblich enthemmt war und die Taten nicht
vorgeplant waren", andererseits die "ganz erhebliche
Tatschuld…, die eine Strafminderung ausschloss" mit der
"Begehung mehrerer Delikte innerhalb kurzer Zeit" zu
begründen. Mit Rücksicht darauf sowie auf die
zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände - vor allem die
bisherige Unbestraftheit sowie das umfassende Geständnis -
tragen die Ausführungen im Urteil die Versagung der
Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB nicht.
Namentlich zu Fall 4 der Urteilsgründe begegnet zudem die
Erwägung, "der bereits ebenfalls verwirklichte schwere Fall
eines sexuellen Missbrauchs" spreche gegen eine Strafrahmenverschiebung
(UA 7), rechtlichen Bedenken. Diese nicht in anderem Sinne
interpretierbare Formulierung lässt besorgen, dass die
Strafkammer die Strafrahmenreduzierung nach §§ 21, 49
StGB rechtsfehlerhaft mit der Verwirklichung des
Qualifikationstatbestandes als solchem begründet hat.
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5. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass es eines
Mindestmaßes an Sorgfalt bei der Abfassung der
Urteilsgründe auch dann bedarf, wenn das Urteil auf einer in
der Hauptverhandlung getroffenen Absprache beruht.
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Schmitt Krehl |