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BGH, Beschluss vom 23. März 2000 - 4 StR 50/00


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 23.3.2000 - 4 StR 50/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 50/00
vom
23. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. März 2000
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil
des Landgerichts Dessau vom 6. September 1999
mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die
Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten ”wegen gefährlicher Körperverletzung
und wegen gemeinschaftlichen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt”
und seine ”Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt” angeordnet.
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und
formellen Rechts rügt, hat teilweise Erfolg.
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1. Mit der Verfahrensrüge beanstandet der Beschwerdeführer, daß die
Zeugen Le. und L. unter Verletzung des § 59 StPO nicht vereidigt worden
seien. Es kann dahin gestellt bleiben, ob diese Rüge, wie der Generalbundesanwalt
meint, nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO
entspricht und deswegen unzulässig ist. Sie ist jedenfalls unbegründet. Die
Zeugen Le. und L. waren nach den Urteilsfeststellungen an der abgeurteilten
Tat beteiligt, so daß von ihrer Vereidigung gemäß § 60 Nr. 2 StPO abzusehen
war.
2. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat - trotz der
teilweise nur aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe verständlichen
Feststellungen - zum Schuldspruch und zu den Strafaussprüchen keinen
Rechtsfehler ergeben. Insofern ist die Revision unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
3. Dagegen kann die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus keinen Bestand haben.
Nach den Feststellungen beging der Angeklagte, der alkoholabhängig
ist, die Taten unter Alkoholeinfluß. Die sachverständig beratene Strafkammer
hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und den Grund
für die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit in seiner ”dissozialen Persönlichkeitsstruktur
i.V.m. Alkoholgenuß und daraus sich ergebender Enthemmung”
gesehen. Auf diesen Befund kann die getroffene Maßregel nicht gestützt
werden.
Um die Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen, muß die Schuldunfähigkeit
oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf einer nicht nur
vorübergehenden, sondern länger andauernden und damit einen Zustand bildenden
Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB beruhen; denn diese Maßregel
- 4 -
dient dem Zweck, Menschen mit krankhaften oder vergleichbar schweren seelischen
Störungen zu heilen oder - falls dies nicht möglich erscheint - in ihrem
Zustand zu pflegen. Grundsätzlich verbietet sich daher die Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus, wo der Ausschluß oder die erhebliche
Minderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen, länger
andauernden Defekt, sondern erst durch aktuell hinzutretenden Genuß berauschender
Mittel, insbesondere Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen
Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in
Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an
einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder auf Grund eines psychischen Defektes
alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad
einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB
gleichsteht (st. Rspr., BGHSt 44, 338, 339). Dabei ist ein die Maßregel nach §
63 StGB rechtfertigender Zustand auch dann gegeben, wenn der Täter an einer
Alkoholsucht leidet, deren Fortbestand auf einer Persönlichkeitsstörung
beruht, die sich als eine - wenn auch als solche keine erhebliche Verminderung
der Schuldfähigkeit bewirkende - schwere andere seelische Abartigkeit
darstellt (BGHSt 44, 338, 343 f.).
Daß bei dem Angeklagten ein solcher für die Anordnung der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus ausreichender Zusammenhang
zwischen Persönlichkeitsstörung und Alkoholsucht vorliegt, läßt sich den Urteilsgründen
nicht entnehmen:
Allerdings nimmt die Strafkammer an, daß das Scheitern der bisherigen
Entziehungsversuche und damit der Fortbestand seiner Alkoholsucht ”eine wesentliche
Ursache in der gestörten Persönlichkeit des Angeklagten” habe. Auch
hat der Sachverständige, dessen Beurteilung die Strafkammer sich anschließt,
- 5 -
dem Angeklagten eine schwere andere seelische Abartigkeit attestiert. Das
Urteil enthält aber keine Feststellungen, die eine Überprüfung dieser Bewertung
ermöglichen. Die zusammenfassende Bezeichnung der von der Strafkammer
(Urteil, Seite 21) aufgelisteten Auffälligkeiten als ”dissoziale Persönlichkeitsstörung”
reicht als Beleg für die Annahme einer ”schweren anderen
seelischen Abartigkeit” im Sinne der §§ 20, 21 StGB nicht aus (BGHSt 44, 338,
342). Diese Auflistung läßt zudem auch nicht erkennen, ob sie bei dem Angeklagten
festgestellte Wesenszüge und Verhaltensweisen wiedergibt oder - wie
es nach dem Zusammenhang der Ausführungen eher den Anschein hat - eine
Zusammenstellung von Eigenschaften ist, die, wiewohl einzeln betrachtet teilweise
noch in der Bandbreite normalen menschlichen Verhaltens, in ihrer Addition
abstrakt das Bild einer dissozialen Persönlichkeitsstörung prägen.
Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß sich bei genauerer Kenntnis der
persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und insbesondere unter Berücksichtigung
der von ihm begangenen zahlreichen Straftaten eine Persönlichkeitsstörung
feststellen läßt, die Ursache für den Fortbestand seiner Alkohol-
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sucht ist und sich als schwere andere seelische Abartigkeit darstellt. Das angefochtene
Urteil, das sich hinsichtlich der Vortaten mit der Wiedergabe des
Strafregisterauszugs begnügt, ermöglicht eine solche Feststellung aber nicht.
Meyer-Goßner Tolksdorf Athing
Solin-Stajonovic Ernemann



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