BGH,
Beschl. v. 23.3.2001 - 3 StR 59/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 59/01
vom
23. März 2001
in dem Sicherungsverfahren
gegen
alias:
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 23.
März 2001 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 8. September 2000 mit den Feststellungen aufgehoben; von
der Aufhebung ausgenommen sind die Feststellungen zur
Anlaßtat und zum Vortatverhalten, die bestehen bleiben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision, mit der er das
Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts
rügt, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
1. Nach den Feststellungen griff der Beschuldigte eine Prostituierte
an, die Hilfe holen wollte, nachdem sie ihn mehrmals vergeblich
aufgefordert hatte, das Bordell zu verlassen. Während eines 10
bis 15 Minuten dauernden Kampfes drückte der Beschuldigte
seine Hand so fest auf den Mund und die Nase der Frau, daß
diese kaum Luft bekam und deshalb in Todesangst geriet.
Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine krankhafte
seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21
StGB bejaht, weil der Beschuldigte entweder an einer
paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem Formenkreis der
Schizophrenie oder möglicherweise auch an einem
Borderline-Syndrom mit psychotischen Inhalten leide. Auf der Grundlage
der paranoid-halluzinatorischen Psychose sei von einer
Schuldunfähigkeit auszugehen. Bei der möglicherweise
vorliegenden Borderline-Erkrankung müsse eine erhebliche
Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit angenommen
werden. Da zudem eine psychotische Grenzüberschreitung
wahrscheinlich sei, sei auch in diesem Fall eine
Schuldunfähigkeit nicht ausschließbar.
2. Die bisherigen Erwägungen des Landgerichts rechtfertigen
die angeordnete Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus nicht, weil sein Krankheitszustand
widersprüchlich beschrieben wird.
Die Ausführungen der Strafkammer, im Falle einer
Borderline-Erkrankung sei eine erhebliche Verminderung der Einsichts-
und der Steuerungsfähigkeit gegeben, belegen nicht
zweifelsfrei, daß der Beschuldigte die Tat - was
Voraussetzung für eine Unterbringung gemäß
§ 63 StGB ist (vgl. BGHSt 34, 22, 26;
Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 6) -
zumindest im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen hat.
Beide Alternativen des § 21 StGB können nicht
gleichzeitig angewandt werden (st.Rspr., vgl. BGHSt 40, 341, 349;
Tröndle/Fischer, aaO § 21 Rdn. 3). Zunächst
hätte die Strafkammer zweifelsfrei klären
müssen, ob die möglicherweise vorliegende
Borderline-Erkrankung die erhebliche Verminderung der Einsichts- oder
der Steuerungsfähigkeit bewirkt hat. Denn erst nach einer
solchen Klärung kann sich eine nachprüfbare
Erörterung anschließen, ob von dem Beschuldigten
infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu
erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit
gefährlich ist (vgl. BGHR StGB § 63
Schuldunfähigkeit 1 und 3). Dies hat das Landgericht mit einer
krankheitsbedingten Affektlabilität sowie einer emotionalen
Impulsivität des Beschuldigten und dessen fehlender Akzeptanz
gesellschaftlicher Normen bejaht und somit fehlerhaft auf beide
Alternativen der §§ 20, 21 StGB abgestellt.
Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich jedoch
erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der
Einsichtsfähigkeit zur Folge hat, während die Schuld
des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner
erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines
Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (BGHSt 40,
341, 349; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6
m.w.Nachw.). Auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe
läßt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit
entnehmen, wie sich die im Falle einer Borderline-Erkrankung
verminderte Einsichtsfähigkeit beim Beschuldigten ausgewirkt
hat. Solange die Verminderung der Einsichtsfähigkeit nicht das
Fehlen der Einsicht ausgelöst und dadurch zu Straftaten
geführt hat, ist unter diesem Gesichtspunkt die Sicherung der
Allgemeinheit durch eine Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus nicht veranlaßt (vgl. BGHSt 34, 22, 26 f.). Es
käme dann nur eine Unterbringung wegen
- bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht - erheblicher Verminderung
oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit in Betracht.
3. Durch die aufgezeigten Rechtsfehler bei der Anwendung des §
63 StGB werden die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur
Anlaßtat und zum Vortatverhalten nicht betroffen, so
daß sie bestehen bleiben können. Die
Verfahrensrügen sind aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
Kutzer Rissing-van Saan Pfister von Lienen Becker |