BGH,
Beschl. v. 23.5.2003 - 2 StR 141/03
2 StR 141/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
23. Mai 2003
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. Mai
2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bonn vom 5. November 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit
Versuch des schweren Raubes mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von
fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen
eingelegte, auf die Sachrüge gestützte Revision
führt zur Aufhebung des Urteils.
1. Die Beweiswürdigung, welche das Landgericht der
Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes zugrunde gelegt hat,
hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte unter
Mitführung einer Schußwaffe in ein
Ladengeschäft, um sich durch einen Raubüberfall Geld
zu verschaffen. Die Waffe hatte er aus einer erlaubnisfrei erworbenen
Gaspistole durch Umbau hergestellt, indem er den Lauf und einen Teil
des Patronenlagers absägte und durch eine
Kugelschreiberhülse ersetzte, welche er mit Klebeband
("Tesafilm") befestigte. Eine einzeln eingelegte Patrone, die
über das Patronenlager hinausragte, hatte er aus
Schreckschußmunition zu scharfer Munition umgebaut.
Daß er die so umgebaute Waffe vor der Tat auf ihre
Funktionstüchtigkeit geprüft hatte, ist nicht
festgestellt; dem Angeklagten war klar, "daß das mit dem Lauf
eine unsichere Sache war" (UA S. 7).
Der Angeklagte, eine auch im Äußeren
auffällige Person aus dem Obdachlosenmilieu, war der in dem
Ladengeschäft als Verkäuferin allein anwesenden
Nebenklägerin vom Ansehen bekannt, da er das Geschäft
oft betrat, um sich dort in einem Spiegel zu betrachten und seine
Garderobe in Ordnung zu bringen. Er begab sich nach dem Eintritt
wiederum in den hinteren Ladenbereich zu einem Spiegel; die
Nebenklägerin ließ ihn gewähren und fuhr
mit ihrer Arbeit fort. Als er sah, daß sie ihn nicht
beobachtete, zog der Angeklagte die Waffe hervor, zielte mit
ausgestrecktem Arm aus vier bis sechs Metern Entfernung
zunächst auf den Rumpf der Nebenklägerin, senkte dann
im letzten Moment den Arm noch ab und schoß; das Tatopfer
wurde am Oberschenkel getroffen. Als die Nebenklägerin
schreiend aus dem Laden lief, floh der Angeklagte ohne Beute.
Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat der Angeklagte, der seit etwa
20 Jahren an einer - ursprünglich möglicherweise
drogeninduzierten - halluzinatorischen Psychose leidet, angegeben, er
habe "eigentlich gar nicht richtig gezielt. Ihm sei klar gewesen,
daß die Verkäuferin hätte sterben
können. Er habe aber unbedingt an die Kasse gewollt. Er habe
gehofft, daß sie nicht stirbt. Er habe Glück gehabt"
(UA S. 13).
Bei der Exploration durch den Sachverständigen hat er
(unzutreffend) angegeben, er habe in dem Geschäft gelegentlich
gearbeitet. Er habe auf den Boden schießen wollen und die
Verkäuferin ins Bein geschossen; dann habe er 100.000 DM
geraubt, die er später verloren habe. In der Hauptverhandlung
hat der Angeklagte schließlich angegeben, er sei in dem
Geschäft fest angestellt und habe als Teilhaber "einsteigen"
wollen. Er habe gegen die Wand geschossen; daraufhin habe die
Nebenklägerin eine Waffe gezogen und sich selbst ins Bein
geschossen. Die Kasse sei leer gewesen; er habe einen Betrag eingetippt
und gewartet, bis sie sich mit 300.000 DM gefüllt habe; die
habe er mitgenommen. Man habe ihm gesagt, er könne in Urlaub
fahren und das Geld aus der Kasse nehmen.
b) Die Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes hat das
Landgericht zum einen auf das Ergebnis eines waffentechnischen
Sachverständigengutachtens gestützt, wonach eine
gezielte Schußabgabe mit der vom Angeklagten hergestellten
Waffe mangels jeglicher Stabilisierung weitgehend zufällig war
(UA S. 12, 17); darüber hinaus auf die Erwägung, das
Projektil sei objektiv geeignet gewesen, die Nebenklägerin
tödlich zu verletzen; es sei nicht vorhersehbar gewesen, wo
der Schuß sie treffen würde. Daß der
Angeklagte dies wußte, hat der Tatrichter aus seiner
Einlassung geschlossen, ihm sei klar gewesen, "daß das mit
dem Lauf eine unsichere Sache war".
Zum anderen hat das Landgericht den Tötungsvorsatz aus der
Äußerung des Angeklagten bei seiner polizeilichen
Vernehmung geschlossen, er habe gehofft, daß die
Nebenklägerin nicht sterben werde; er habe insoweit
Glück gehabt. Hieraus gehe hervor, "daß der
Angeklagte selbst nicht der Ansicht war, berechtigterweise zu hoffen,
die Zeugin würde nicht tödlich verletzt" (UA S. 18).
c) Diese Beweiswürdigung ist unzureichend, weil der Umstand,
daß der Angeklagte die Waffe kurz vor der
Schußabgabe "abgesenkt" hat, unerörtert bleibt. Die
Feststellungen sowie die vom Landgericht wiedergegebenen Einlassungen
des Angeklagten legen den Schluß nahe, daß es sich
bei dem "Absenken" nicht um ein unwillkürliches Geschehen,
sondern um eine bewußte Änderung der Zielrichtung
gehandelt haben kann. Dann mußte das Landgericht, wie die
Revision zu Recht rügt, Feststellungen zu dem Grund
hierfür treffen. Möglich erscheint, daß der
Angeklagte im letzten Augenblick Bedenken bekam, mithin einen
tödlichen Ausgang nicht mehr billigte. Damit hätte
sich das Landgericht auseinandersetzen müssen. Dies war nicht
schon deshalb entbehrlich, weil das Landgericht die
Unzuverlässigkeit der Waffe und damit die objektive Gefahr
einer tödlichen Verletzung fast unabhängig von der
Zielrichtung als bewiesen angesehen hat. Die
Äußerungen des Angeklagten, die Waffe sei "eine
unsichere Sache" gewesen und er habe "Glück gehabt", belegen
nicht schon ohne weiteres, daß er mit der
Möglichkeit eines solchen Verlaufs rechnete. Zutreffend weist
die Revision insoweit darauf hin, die erste Äußerung
könne sich auch auf die Funktionsfähigkeit insgesamt
bezogen haben; die zweite Äußerung könne
auch eine nachträgliche Bewertung des Geschehens sein. Diese
Auslegungen sind nicht so fernliegend, daß sie
gänzlich unerörtert bleiben konnten, namentlich auch
weil der Angeklagte die Funktionsfähigkeit der offenkundig
kaum schußtauglichen Waffe nicht geprüft hatte. Auch
wenn er mit der Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs
rechnete, so betraf dies zudem allein das kognitive Element des
Vorsatzes, läßt aber hier keine unmittelbaren
Schlüsse auf das Willenselement zu. Wenn der Angeklagte statt
auf den Rumpf der Nebenklägerin auf ihr Bein zielte, kann die
Feststellung, er habe gleichwohl ihren Tod billigend in Kauf genommen,
jedenfalls dann nicht ohne weiteres schon auf die objektive
Gefährlichkeit eines Schusses in den Oberschenkel
gestützt werden, wenn Kenntnis- und Vorstellungslage des
Angeklagten im übrigen offen bleiben.
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Prüfung. Der Senat
weist darauf hin, daß gegen die Annahme tateinheitlichen
Zusammentreffens des Mordmerkmals der Ermöglichungsabsicht und
des Versuchs eines Raubs mit Todesfolge Bedenken bestehen
könnten, weil § 211 Abs. 2 StGB die Absicht der
Ermöglichung einer anderen Straftat voraussetzt (vgl. dazu
Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 26a).
4. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, sich mit der Frage einer
möglichen Beeinträchtigung der
Schuldfähigkeit des Angeklagten sorgfältiger als
bisher geschehen auseinanderzusetzen. Daß das Landgericht die
offenkundig wirren und fantastischen Einlassungen des Angeklagten einer
Beweiswürdigung im einzelnen mit dem Ergebnis unterzogen hat,
es handele sich um "Erinnerungsfehler" oder den "Versuch, seine
Tatbeteiligung zu leugnen" (UA S. 16), und dies darauf
gestützt hat, die angeblich in der zunächst leeren
Ladenkasse erschienene Geldsumme sei "hinsichtlich der
Größenordnung unrealistisch", und eine Tatzeugin
habe beobachtet, daß sich die Nebenklägerin nicht
selbst ins Bein schoß, wird der möglichen
Indizwirkung dieser eher wahnhaft erscheinenden Bekundungen nicht
gerecht. Im Hinblick auf die seit Jahrzehnten beim Angeklagten
vorliegende halluzinatorische Psychose hätte es nahegelegen,
sich auch mit dem Sinn seiner vom Landgericht wiedergegebenen
Einlassung auseinanderzusetzen, "es habe einfach nicht
aufgehört" (UA S. 14 f.), denn eine mögliche
halluzinatorische Symptomatik ("Stimmen hören") zur Tatzeit
kann nicht schon mit den Erwägungen des Landgerichts
ausgeschlossen werden, Tatanlaß sei "nicht eine wahnhafte
Verkennung der Geschehnisse, sondern der Wunsch nach Geld" gewesen, und
der Angeklagte sei bei Planung und Durchführung "zielgerichtet
vorgegangen" (UA S. 21). Umstände in der
Persönlichkeit des Angeklagten und der Tat legen es auch nahe,
der Frage einer möglicherweise neben der
paranoid-halluzinatorischen Psychose vorliegenden
Persönlichkeitsstörung im Sinne einer anderen
schweren seelischen Abartigkeit genauer als bisher geschehen zu
prüfen.
Rissing-van Saan Otten Rothfuß Fischer Roggenbuck- . .
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