BGH,
Beschl. v. 23.11.2000 - 3 StR 225/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 225/00
vom
23. November 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
3.
4.
wegen zu 1., 2. und 3.: Betrugs
zu 4.: Beihilfe zum Betrug
hier: Revisionen der Angeklagten G. , Kr. und Dr. K.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der
Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu Ziff. 2.
auf dessen Antrag - am 23. November 2000 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten G. , Kr. und Dr. K. wird das
Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 16. Juli 1999 mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- hinsichtlich der Angeklagten G. , Kr. und R.
im Ausspruch über die Einzelstrafen wegen Betrugs im besonders
schweren Fall (sog. Organisationsdelikt; Einzelfreiheitsstrafen von
zwei Jahren und sechs Monaten bei G. , ein Jahr und neun Monaten bei
Kr. und ein Jahr und drei Monaten bei R. ) sowie im Ausspruch
über die Gesamtfreiheitsstrafe,
- hinsichtlich der Angeklagten G. und Kr. im Ausspruch über
das Berufsverbot und
- hinsichtlich des Angeklagten Dr. K. im Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen Betrugs in zehn
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, den
Angeklagten
Kr. wegen Betrugs in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von drei Jahren und drei Monaten, die Angeklagte R. wegen Betrugs in 32
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren,
ausgesetzt zur Bewährung, und den Angeklagten Dr. K. wegen
Beihilfe zum Betrug zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten,
ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt.
Nach den Feststellungen gründete der einschlägig
vorbestrafte Angeklagte G. die Firma D , um Anlagegelder unter dem
Vorwand von Warenterminoptionsgeschäften zu erlangen, diese
jedoch nicht an der Börse zu plazieren. Als "Strohfrau" setzte
er seine Schwester, die Angeklagte R. , ein. Der Angeklagte Dr. K.
stellte für die betrügerischen Operationen ein Konto
zum Abräumen der Gelder zur Verfügung. Der Angeklagte
Kr. kam später zu der Firma als Telefonverkäufer
hinzu und übernahm auch
Geschäftsführertätigkeiten. Insgesamt wurden
vierzig solcher "Anlagegeschäfte" in der Zeit von Juli 1995
bis April 1996 getätigt.
Die Strafkammer wertete alle "Anlagegeschäfte" für
diejenigen Angeklagten, die an ihnen unmittelbar beteiligt waren als
jeweils einen Einzelfall eines Betrugs nach § 263 Abs. 1 StGB,
während sie die organisatorische, mittäterschaftliche
Beteiligung der Angeklagten G. , R. und Kr. an den übrigen
Fällen als insgesamt eine weitere Tat des Betrugs in einem
besonders schweren Fall nach § 263 Abs. 3 StGB a.F., und den
Beitrag des Angeklagten Dr. K. als Beihilfe zu einem besonders schweren
Fall des Betrugs nach § 27, § 263 Abs. 3 StGB a.F.
abgeurteilt hat. Dabei ist sie davon ausgegangen, daß nach
§ 2 Abs. 1 StGB auf die "Organisationsfälle"
§ 263 Abs. 3 StGB a.F. (Freiheitsstrafe von einem bis zehn
Jahre) als Tatzeitrecht anzuwenden ist, weil diese Taten nach neuem
Recht mit der gleich hohen Strafdrohung des § 263 Abs. 5 StGB
(Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahre) bedroht wären, da
die Angeklagten G. , R. und später auch Kr.
eine Bande gebildet und zudem gewerbsmäßig gehandelt
hätten.
Die Strafrahmenwahl für diese Angeklagten hält einer
rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Annahme
bandenmäßigen Handelns wird durch die Feststellungen
nicht ausreichend getragen. Abgesehen von der Frage, ob schon zwei
Personen eine Bande bilden können (vgl. dazu den dies
verneinenden Anfragebeschluß des 4. Strafsenats vom 26.
Oktober 2000 - 4 StR 284/99), ist auch eine über
mittäterschaftliches Handeln im Individualinteresse
hinausgehende Unterordnung der Beteiligten unter ein
übergeordnetes
Interesse der bandenmäßigen Verbindung nicht belegt.
Es spricht viel dafür, daß sich die Angeklagte R.
lediglich ihrem Bruder, dem Angeklagten G. , als "Strohfrau"
unterordnete, nicht aber einem gemeinsamen übergeordneten
Interesse. Entsprechendes gilt für den Angeklagten Kr. , der
erst im Laufe der Betrugstätigkeit der Firma D als
Telefonverkäufer angestellt worden war.
Wenn aber nach neuem Recht nicht die Voraussetzungen der Qualifi-
kationsnorm des § 263 Abs. 5 StGB n.F., sondern nur die des
besonders schweren Falles nach § 263 Abs. 3 StGB n.F. gegeben
sind, stellt § 263 Abs. 3 StGB n.F. das mildere Recht dar, da
er eine niedrigere Mindeststrafe von sechs Monaten vorsieht. Die
Annahme eines besonders schweren Falles nach § 263 Abs. 3 Nr.
1, 2 und 3 StGB n.F. kommt deswegen in Betracht, weil die Angeklagten
G. , R. und Kr. einen Vermögensverlust großen
Ausmaßes herbeigeführt sowie
gewerbsmäßig in der Absicht gehandelt haben, eine
große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von
Vermögenswerten zu bringen.
Da die für die sogenannten "Organisationsfälle"
verhängten Einzelstrafen insbesondere bei den Angeklagten R.
(ein Jahr und drei Monate) und Kr. (ein Jahr und sechs Monate) dem
unteren Bereich des Strafrahmens des § 263 Abs. 3 StGB a.F.
entnommen worden sind, vermag der Senat nicht auszuschließen,
daß sich der fehlerhafte Strafrahmen auf die Höhe
der an sich relativ milden Einzelstrafen ausgewirkt hat.
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs
über die dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB a.F.
entnommenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe. Bei dieser Sachlage
kann offenbleiben, ob die in diesen Fällen verhängten
Einzelstrafen auch auf einer unzureichenden Gesamtwürdigung
eines besonders schweren Falles beruhen können. Da sich der
Fehler in gleicher Weise bei der Mitangeklagten R. , die selbst keine
Revision eingelegt hatte, ausgewirkt hat, war die Aufhebung
gemäß § 357 StPO auch auf ihre Person zu
erstrecken.
Auch der Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten Dr. K. ist
rechtsfehlerhaft. Da dieser nach den Feststellungen der Strafkammer
selbst nicht Bandenmitglied war, kam für ihn die Anwendung des
nach §§ 27, 49 StGB gemilderten Strafrahmens nach
§ 263 Abs. 3 StGB a.F. i.V. mit § 2 Abs. 1,
§ 263 Abs. 5 StGB ohnehin nicht in Betracht. Im
übrigen lassen die Ausführungen des Landgerichts, das
auch bei ihm ohne jede nähere, auf seine Person und seinen
Tatbeitrag bezogene Prüfung von einem besonders schweren Fall
des § 263 Abs. 3 StGB a.F. ausgegangen ist, besorgen,
daß ihm die Notwendigkeit einer eigenen
Gesamtwürdigung der Beihilfehandlung als solcher nicht
bewußt war. Entscheidend ist danach nicht, daß sich
die Tat des Haupttäters, zu der Beihilfe geleistet wird, als
besonders schwerer Fall erweist; zu prüfen ist vielmehr, ob
das Gewicht der Beihilfehandlung selbst die Annahme eines besonders
schweren Falles rechtfertigt (st. Rspr., vgl. Lackner/Kühl,
StGB 23. Aufl. § 46 Rdn. 16).
Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils zum
Schuldspruch und zur Festsetzung der verbleibenden Einzelstrafen keinen
Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
Keinen Bestand kann auch die Anordnung eines Berufsverbotes
für die Angeklagten G. und Kr. haben. Die Verhängung
einer Maßregel nach § 70 StGB setzt voraus,
daß der Täter den Beruf, bei dem ihm
Mißbrauch oder grobe Pflichtverletzung vorgeworfen wird, bei
Begehung der Straftat tatsächlich ausübt; es
genügt nicht, daß Betrügereien nur im
Zusammenhang mit einer vorgetäuschten Berufstätigkeit
stehen (BGHSt 22, 144, 145; BGHR StGB § 70 I Pflichtverletzung
4; BGH wistra 1999, 222). So liegt es aber hier. Die Angeklagten haben
sich tatsächlich nicht als Anlagevermittler betätigt,
sondern als schlichte Betrüger, die von vornherein das
ertrogene Geld nicht anlegen, sondern für sich verwenden
wollten.
Für die neue Hauptverhandlung geben die
Revisionsbegründungen Anlaß zu folgenden Hinweisen:
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Stellungnahme vom 5. Juni 2000
(hinsichtlich des Angeklagten G. ) zu Recht ausgeführt,
daß bei einer Verfahrensdauer von etwa drei Jahren zwischen
der Bekanntgabe der Beschuldigung und der Aburteilung, die nunmehr im
Schuldspruch und auch hinsichtlich der meisten Einzelstrafen
rechtskräftig geworden ist, nicht von einer mit Art. 6 Abs. 1
Satz 1 MRK unvereinbaren unangemessen langen Verfahrensdauer gesprochen
werden kann. Auch eine gewisse Untätigkeit während
eines bestimmten Verfahrensabschnittes führt nicht ohne
weiteres zu einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK,
sofern die angemessene Frist insgesamt nicht überschritten
wird (vgl. BGHR MRK Art. 6 I 1 Verfahrensverzögerung 9). Auch
die Verfahrensverlängerung, die dadurch entsteht,
daß auf die Revision der Angeklagten das Urteil teilweise
aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
zurückverwiesen wird, begründet
regelmäßig keine rechtsstaatswidrige
Verfahrensverzögerung (BGHR StGB § 46 II
Verfahrensverzögerung 15).
Die Verbüßung von Untersuchungshaft stellt
grundsätzlich nur bei solchen Angeklagten einen
Strafmilderungsgrund dar, gegen die keine ohnehin zu
verbüßende Freiheitsstrafe verhängt wird
(BGHR StGB § 46 II Lebensumstände 18). Auch die
Tatsache der Erstverbüßung einer Freiheitsstrafe
bekommt in
der Regel erst dann das Gewicht eines bestimmenden
Strafzumessungsgrundes, wenn besondere Gründe wie Alter oder
Krankheit hinzukommen (BGHR StGB § 46 I Schuldausgleich 7, 13,
19, 20).
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
Winkler Becker |