BGH,
Beschl. v. 23.10.2007 - 4 StR 358/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 358/07
vom
23.10.2007
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23.10.2007
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bielefeld vom 12. März 2007 mit den Feststellungen aufgehoben,
soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen
Krankenhaus und in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
Jugendkammer als Jugendschutzkammer des Landgerichts Münster
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "schweren sexuellen
Missbrauchs eines Kindes in kinderpornografischer Absicht und wegen
vorsätzlicher Körperverletzung" zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und
seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie in der
Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der
Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und
materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der
Sachrüge nur zu den Maßregeln Erfolg; im
Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 StPO.
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1. Sowohl die angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus als auch seine Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung halten rechtlicher Nachprüfung nicht
stand.
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a) Das Landgericht hat angenommen, die Steuerungsfähigkeit des
Angeklagten sei bei den abgeurteilten Taten auf Grund einer dissozialen
Persönlichkeitsstörung - einer schweren anderen
seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB -
erheblich vermindert gewesen. Es hat diese Bewertung - dem
gehörten Sachverständigen folgend - im Wesentlichen
auf folgende Umstände gestützt:
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Sämtliche "Kriterien der Weltgesundheitsorganisation ICD 10"
für eine dissoziale Persönlichkeitsstörung
seien beim Angeklagten als erfüllt anzusehen (UA 47 f.
[gemeint ist: ICD-10 F 60 und F 60.2]). Der Ablauf der vom Angeklagten
als Heranwachsenden begangenen Tat der Vorverurteilung vom 14. November
1997 (Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung,
Mord und Brandstiftung) lege die Diagnose einer schweren dissozialen
Störung nahe, weil bei dieser Tat die Schwelle "gesunder
Kriminalität" deutlich und manifest überschritten
worden sei (UA 49). Bei dem Angeklagten seien "defizitäre
Verhaltensmuster" tief verwurzelt, weil bereits nach dem ersten
Schultag seine "schulische Karriere" gestört gewesen sein
solle und er "reelle Hilfsangebote" in der Haft nicht zu nutzen
vermocht habe. Auch auf der "Beziehungsebene" seien gestörte
Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster deutlich sichtbar, weil sich der
Angeklagte kaum in der Lage sehe, persönliche Eigenschaften
anderer Menschen, auch aus seinem näheren familiären
Umfeld, einfühlbar zu beschreiben. Bei der Begehung der
nunmehr zur Aburteilung stehenden Taten habe beim Angeklagten eine
erhöhte Impulsivität vorgelegen. Die Folgen der
Vorverurteilung von 1997 (die Verbüßung einer
mehrjährigen Jugendstrafe und die Anord-
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nung von Führungsaufsicht) hätten ihn nicht
nennenswert beeindruckt. In beiden angeklagten Fällen sei
keinerlei Mitgefühl mit den Opfern oder ein Gewissenskonflikt
Bestandteil der Entscheidungsabwägung beim Angeklagten
gewesen. Man könne bei ihm "quasi von einer 'moralischen
Sehbehinderung' " sprechen (UA 51). Gewissen und Mitgefühl
seien bei ihm nur so rudimentär ausgebildet, dass ihm dadurch
allenfalls eine schemenhafte Orientierung möglich sei. Neben
der dissozialen Persönlichkeitsstörung sei beim
Angeklagten auch die Diagnose einer Störung der
Sexualpräferenz (Voyeurismus und “pädophile
Züge“, UA 54, 63) zu stellen (UA 55). Die erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit habe allerdings ihren
Grund in der dissozialen Persönlichkeitsstörung des
Angeklagten (UA 56).
Diese Begründung belegt nicht, dass beim Angeklagten bei
Begehung der Taten eine schwere andere seelische Abartigkeit vorlag.
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Allein die Diagnose "dissoziale
Persönlichkeitsstörung" lässt für
sich genommen eine Aussage über die Frage der
Schuldfähigkeit eines Täters nicht zu (vgl. BGHSt 44,
338, 342; 49, 45, 52). Selbst die Diagnose einer schweren
Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit
derjenigen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der
§§ 20, 21 StGB. Eine solche Störung kann
immer auch als - möglicherweise extreme - Spielart
menschlichen Wesens einzuordnen sein, die sich noch innerhalb der
Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegt
(vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGHR StGB § 63 Zustand 24). Der
sachverständig beratene Tatrichter muss daher prüfen,
ob die Persönlichkeitsstörung Symptome aufweist, die
in ihrer Gesamtheit das Leben eines Angeklagten vergleichbar schwer und
mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen
wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 77,
78; BGHR StGB § 63 Zustand 34 m.w.N.). Bei der gebotenen norma-
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tiven Bewertung ist weiter zu beachten, dass auf der Grundlage der
Diagnose "dissoziale Persönlichkeitsstörung" ein so
schwer wiegender Eingriff, wie ihn die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus darstellt, nur unter engen Voraussetzungen
und nur dann gerechtfertigt ist, wenn feststeht, dass der
Täter aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang
heraus gehandelt hat (vgl. BGHSt 42, 385, 388; BGH NStZ-RR 2003, 165,
166; StV 2005, 20; BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 36).
Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist nicht erkennbar, dass
die psychischen Auffälligkeiten des Angeklagten dem
Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit entsprechen
(zu den Kriterien hierzu vgl. BGHSt 49, 45, 50 ff.) und es sich nicht
nur um Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die übliche
Ursachen für strafbares Verhalten darstellen.
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Soweit die Strafkammer die Strafen wegen des Vorliegens der
Voraussetzungen des § 21 StGB gemildert hat (UA 57), ist der
Angeklagte hierdurch nicht beschwert. Soweit jedoch seine Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus auf das sichere Vorliegen
verminderter Schuldfähigkeit gestützt ist, ist der
Angeklagte beschwert. Die Unterbringungsanordnung bedarf daher erneuter
Überprüfung.
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b) Auch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die das
Landgericht auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützt hat,
kann nicht bestehen bleiben.
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Die Strafkammer hat - sachverständig beraten - einen Hang des
Angeklagten zu erheblichen Straftaten (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB)
bejaht und seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit
damit begründet, dass zu besorgen sei, dass es durch den
Angeklagten zukünftig "zu massiv gewaltbesetzten Sexualstrafta-
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ten" kommen könne (UA 65). Diese Prognose, die sowohl den Hang
des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten als auch seine
Gefährlichkeit berührt, ist nicht belegt und bedarf
näherer Erörterung: Zwar hat der Angeklagte bei der
Vorverurteilung aus dem Jahre 1997 als Heranwachsender massive Gewalt
angewandt, bei den hier abgeurteilten Taten war das aber nicht der
Fall. Im Fall II. 1 (vorsätzliche Körperverletzung)
war den Körperverletzungshandlungen des Angeklagten, die zu
keinen schwer wiegenden Folgen beim Tatopfer geführt haben,
ein direkter körperlicher Angriff der später
Geschädigten vorausgegangen und im Fall II. 2 (schwerer
sexueller Missbrauch eines Kindes) hat der Angeklagte
überhaupt keine Gewalt angewandt. Die Prognoseentscheidung
erweist sich damit lediglich als nicht tragfähige Vermutung,
selbst wenn der Angeklagte "statistisch" (UA 60)
rückfallgefährdet sein sollte.
2. Die Sache bedarf daher im Hinblick auf die
Maßregelanordnungen erneuter Verhandlung und Entscheidung.
Hierzu wird es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen
hinzuzuziehen.
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Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein
anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2
Satz 1 2. Alt. StPO).
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Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Ernemann |