BGH,
Beschl. v. 23.10.2008 - 1 StR 526/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 526/08
vom
23. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge u.a.
zu 2.: unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge
- 2 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2008
beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 19. März 2008 werden als
unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils
auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum
Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Ergänzend zum Vorbringen des Generalbundesanwalts in seiner
Stellungnahme vom 18. September 2008 bemerkt der Senat zu der allein
den Angeklagten M. betreffenden Frage des Strafklageverbrauchs das
Folgende:
1. a) Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren
und acht Monaten verurteilt. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen
hatte der Angeklagte - überwiegend gemeinsam mit dem
Angeklagten L. - Anfang Januar 2007 (Fall II. 1. der
Urteilsgründe), im Zeitraum vom 27. Januar bis Anfang April
2007 (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie im Juni 2007 (Fall
II. 3. der Urteilsgründe) von dem gesondert verfolgten A.
jeweils Marihuana im Kilogrammbereich erworben, in zwei Fällen
zudem 350 Gramm Amphetamin. Die Bezahlung des Kaufpreises erfolgte im
Fall II. 1. am 26. Januar 2007, im Fall II. 2. nicht vor dem 12.
März 2007 sowie im Fall II. 3. im Juni 2007. Ein Teil des zu
zahlenden Betrages diente jeweils der „Tilgung von
Altschulden aus früheren Rauschgift-
- 3 -
geschäften“. Diese hat das Landgericht nicht
näher spezifiziert, sondern sich lediglich im Rahmen der
Prüfung, ob beim Angeklagten L. die Voraussetzungen des
§ 31 BtMG zu bejahen sind, überzeugt gezeigt, dass A.
bereits Ende 2006/Anfang 2007 an den Angeklagten M. (und einen weiteren
Mittäter) vier Kilogramm Marihuana geliefert hatte.
b) Durch seit dem selben Tag rechtskräftiges Urteil des
Amtsgerichts München ist gegen den Angeklagten M. am 5.
Februar 2007 wegen unerlaubten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei
Fällen sowie wegen gewerbsmäßigen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln eine - nicht
gesamtstrafenfähige (vgl. BGHSt 36, 270) - Jugendstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten verhängt und deren Vollstreckung
zur Bewährung ausgesetzt worden. Dem lag zugrunde, dass er
seit Mitte April 2006 mit Marihuana gehandelt hatte, bis am 4. August
2006 in einem von ihm angemieteten Zimmer fast 800 Gramm des Stoffes
sichergestellt wurden. Zur Herkunft dieser Betäubungsmittel
hat weder das Amtsgericht noch das Landgericht Feststellungen getroffen.
2. Die Revision des Angeklagten M. macht geltend, das Urteil des
Amtsgerichts München vom 5. Februar 2007 habe auch
für die vom Landgericht verurteilten Fälle des
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zum
Strafklageverbrauch geführt. Denn mit der
Revisionsbegründung behauptet sie erstmalig, Lieferant des im
Zeitraum von April bis 4. August 2006 gehandelten Marihuanas sei
ebenfalls A. gewesen. Die vom Landgericht festgestellten Tilgungen von
„Altschulden“ hätten sich auf die
damaligen Lieferungen bezogen. Durch die gemeinsame Zahlung auf die vom
Amtsgericht München und die nunmehr vom Landgericht
verurteilten Rauschgiftgeschäfte wür-
- 4 -
den diese in einem Handlungsteil zusammentreffen und wären
daher tateinheitlich verwirklicht.
3. Der geltend gemachte Strafklageverbrauch ist nicht eingetreten.
a) Für die Fälle II. 2. und 3. der
Urteilsgründe folgt dies bereits aus dem Umstand, dass selbst
dann, wenn man unterstellt, dass mit den Zahlungen tatsächlich
Schulden getilgt worden sein sollten, die aus im Zeitraum von April bis
spätestens 4. August 2006 von A. vorgenommenen
Rauschgiftlieferungen herrührten, diese nicht mehr zu diesen
Fällen des Handeltreibens gehören konnten. Denn diese
waren wenn nicht schon durch die dem Angeklagten M. bekannte
Sicherstellung des verbliebenen Marihuanas am 4. August 2006 (vgl. BGH
NStZ 2008, 573), so doch jedenfalls - durch das rechtskräftige
Urteil des Amtsgerichts München beendet worden. Eine solche
Zäsurwirkung ist für Dauerdelikte wie etwa den
unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln oder Waffen anerkannt
(vgl. BGH, Urt. vom 31. Juli 1980 - 4 StR 340/80; Rissing-van Saan in
Leipziger Kommentar 12. Aufl. Vor § 52 Rdn. 50, 56). Auch bei
einer fortgesetzten Handlung wurden nur vor einem Urteil liegende
Teilakte von der Rechtskraft erfasst (vgl. Rissing-van Saan aaO Rdn.
67). Nichts anderes kann aber für das unerlaubte Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln gelten, bei dem im Wege der
Bewertungseinheit mehrere auf den selben Güterumsatz
gerichtete, zeitlich aber gestaffelte Teilakte zusammen gefasst werden
(vgl. BGHSt 30, 28). Denn der gerichtlichen Kognitionspflicht kann
jedenfalls kein strafbares Verhalten unterfallen, welches dem Urteil
zeitlich nachfolgt (vgl. Stree/Sternberg-Lieben in
Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. Vorbem
§§ 52 ff. Rdn. 87).
b) Aber auch der Verurteilung im Fall II. 1. der Urteilsgründe
steht ein Strafklageverbrauch nicht entgegen. Anders könnte es
sein, wenn es der von
- 5 -
Amts wegen zur Prüfung des genannten Verfahrenshindernisses
berufene Senat zumindest für möglich hielte, A.
könnte auch bereits Mitte des Jahres 2006 dem Angeklagten M.
für dessen Handeltreiben die Betäubungsmittel
geliefert haben. Dann wäre unter Anwendung des Zweifelssatzes
das Verfahren einzustellen, sofern eine weitere Sachaufklärung
nicht zu erwarten wäre, oder anderenfalls die Sache an das
Landgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH NStZ 1998, 360, 361;
2008, 42, 43). Diese Voraussetzung verneint der Senat jedoch.
Die Anwendung des Zweifelssatzes gebietet es nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Tatgericht nicht, zu Gunsten
des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen
das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte
erbracht hat (vgl. BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.w.N.; NStZ 2004, 35, 36;
2008, 508, 509). Nicht anders verhält es sich aber bei einer
Entscheidung des Revisionsgerichts. Auch dieses kann deshalb
insbesondere zur weiteren Aufklärung im Freibeweisverfahren
nur bei vorhandenen realen Anknüpfungstatsachen
gedrängt sein. An solchen Umständen fehlt es
vorliegend: Weder das Amtsgericht noch das Landgericht hat A. als
Lieferanten des Marihuanas festgestellt, mit dem der Angeklagte M. im
Zeitraum von April bis 4. August 2006 Handel getrieben hat. Der -
umfassend geständige - Angeklagte hat derartiges in der
landgerichtlichen Hauptverhandlung auch nicht behauptet, wie sich der
Wiedergabe seiner Einlassung in den Gründen des angefochtenen
Urteils entnehmen lässt. Der als Zeuge gehörte, vom
Landgericht u.a. wegen Depravationserscheinungen als
„schlichtweg katastrophal“ bewertete A. hat sich
insofern ersichtlich ebenfalls nicht geäußert.
Vielmehr hat er nach der landgerichtlichen Überzeugung um den
Jahreswechsel 2006/2007 herum dem Angeklagten (und einem
Mittäter) vier Kilogramm Marihuana geliefert. Im Hinblick
darauf liegt
- 6 -
- wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - die
Annahme nahe, dass die vom Angeklagten zu tilgenden
„Altschulden“ aus diesem Geschäft und
nicht aus zeitlich erheblich vorgelagerten entstanden sind. Angesichts
dessen vermag die von dem auch in der landgerichtlichen
Hauptverhandlung aufgetretenen Verteidiger erstmals mit der
Revisionsbegründung aufgestellte Behauptung, A. sei bei
früheren Betäubungsmittelgeschäften
Lieferant des Angeklagten M. gewesen, den Senat nicht zu weiterer
Aufklärung zu drängen.
c) Nach alledem kann der Senat die Frage offen lassen, ob er unter
Berücksichtigung der hiergegen vom 3. Strafsenat (StraFo 2008,
397) und 4. Strafsenat (NStZ 1999, 411) erhobenen gewichtigen Bedenken
weiterhin der (ständigen) Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 29;
BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2007 - 2 StR 376/07 - und 9.
Januar 2008 - 2 StR 527/07) folgen würde, nach der an sich
selbständige Betäubungsmittelgeschäfte durch
bloße gemeinsame Bezahlung der Lieferungen tateinheitlich
verbunden werden können.
Nack Kolz Hebenstreit
Jäger Sander |