BGH,
Beschl. v. 23.9.2009 - 5 StR 287/09
5 StR 287/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 23. September 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. September 2009
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hamburg vom 11. Februar 2009 gemäß § 349
Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird gemäß § 349
Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen
Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit
seiner Revision, die mit der Sachrüge begründet ist.
Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen
Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne
des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Am 2. Juli 2008 nahm der Angeklagte zunächst das
Substitutionsmittel Polamidon zu sich. Sodann erwarb er für
etwa 100 Euro Drogen und Alkohol. Er konsumierte im Laufe des Tages
Crack-Kokain und ein Heroingemenge. Zudem nahm er fünf bis
sechs Tabletten Diazepam und zwei Tabletten Flu-
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ninoc. Zwischen Mittag und 22.00 Uhr trank er sodann 40 cl Boonekamp
Magenbitter und 10 Dosen Bier. Gegen 22.00 Uhr traf er auf den ihm seit
Jahren bekannten K. . Dieser hatte ihn bis dahin in
vielfältiger Weise unterstützt, von dem nicht
homosexuell veranlagten Angeklagten jedoch sexuelle Gegenleistungen
gefordert. 2007 und 2008 war es zu keinen sexuellen Kontakten zwischen
K. und dem Angeklagten mehr gekommen. Der Angeklagte fuhr gemeinsam mit
K. in dessen Wohnung und trank auf dem Wege dorthin eine weitere Dose
Bier. In der Wohnung begann K. , sich selbst zu befriedigen, und
forderte den Angeklagten zur oralen Stimulation auf. Als der Angeklagte
dies ablehnte, drohte K. damit, der Freundin des Angeklagten von dessen
homosexuellen Leistungen gegen Geld zu berichten. Der Angeklagte, der
durch die angedrohte Offenbarung seine Beziehung gefährdet
sah, beschloss, K. zu töten. Er ging in die Küche, um
dort ein Messer zu holen; K. hielt er mit der Bemerkung, er wolle sich
noch etwas zu trinken holen, hin. Er trat sodann mit dem Messer
seitlich von hinten an K. heran, der mit herunter gelassener Hose den
Angeklagten in der Annahme erwartete, dieser wäre ihm nun
sexuell zu Diensten. Der Angeklagte nahm K. mit einem
kräftigen Würgegriff in den Schwitzkasten und hielt
ihm den Mund zu. Anschließend schnitt er ihm mit dem Messer
die Kehle durch. K. verstarb alsbald. Der Angeklagte versuchte, die
Spuren zu beseitigen; bevor er flüchtete, nahm er noch
Wertgegenstände aus der Wohnung an sich.
2. Die Erwägungen, mit denen das sachverständig
beratene Schwurgericht eine erhebliche Beeinträchtigung der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausschließt,
offenbaren namentlich im Blick auf die Verhängung der
absoluten Strafe Fehler und Lücken der Subsumtion.
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a) Im Anschluss an die Ausführungen des
Sachverständigen hat es festgestellt, dass der Angeklagte an
einer Persönlichkeitsstörung leide, die
„generell geeignet sei, die Eingangsvoraussetzungen einer
anderen schweren seelischen Abartigkeit zu
begründen“. Angesichts der Tatumstände, die
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„psychosewertige Symptome“ nicht erkennen
ließen, sei aber auszuschließen, dass die
Störung den erforderlichen Schweregrad aufweise, um die
Voraussetzungen des § 21 StGB zu erfüllen. Zudem ist
es von einer „akuten - wenngleich objektiv nicht genau
feststellbaren - Intoxikation“ ausgegangen. Im Hinblick auf
das nach den Angaben des Angeklagten sehr hohe „psychische
Funktionsniveau“ sei eine erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit aber dennoch sicher
auszuschließen.
Die Wertung des Landgerichts, die festgestellte
Persönlichkeitsstörung bedinge keine erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit, ist damit nicht
nachvollziehbar belegt. So lassen die Darlegungen schon besorgen, dass
das Landgericht die Frage, ob der Ausprägungsgrad der
Persönlichkeitsstörung die Eingangsvoraussetzungen
der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20
StGB erfüllt, mit der Rechtsfrage vermengt hat, ob wegen des
Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit die
Steuerungsfähigkeit bei der Tat erheblich vermindert war (vgl.
hierzu BGHSt 49, 45). Jedenfalls fehlt es an einer tragfähigen
Darlegung der Beurteilungsgrundlagen für die Einordnung des
Ausprägungsgrades der diagnostizierten Störung und
damit auch ihrer möglichen Auswirkungen auf den Angeklagten
bei der Tat.
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Zur Beurteilung des Schweregrades einer
Persönlichkeitsstörung hätte es einer
Gesamtschau der Persönlichkeit des Angeklagten und deren
Entwicklung, der Tatvorgeschichte, des unmittelbaren Anlasses und der
Ausführung der Tat sowie des Verhaltens nach der Tat bedurft
(vgl. BGHSt 37, 397, 401; 49, 45, 54; BGH NStZ 2009, 258). Diese nimmt
das Landgericht hier nur unvollständig vor, indem es lediglich
auf die äußeren Umstände der Tatbegehung
abstellt. Allein der Hinweis auf das Fehlen „psychosewertiger
Symptome“ im äußeren Tatbild ist weder
geeignet, den Schweregrad der festgestellten
Persönlichkeitsstörung nachvollziehbar zu belegen,
noch einen Einfluss dieser Störung auf den Angeklagten bei der
Tat auszuschließen. Dies gilt schon deswegen, weil nicht
erörtert ist, welche Symptome damit erfasst
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werden sollen und inwieweit diese einen Rückschluss auf die
Eingangsvoraussetzungen der schweren anderen seelischen Abartigkeit
zulassen.
Insbesondere lässt das Landgericht aber eine
Auseinandersetzung damit vermissen, inwieweit die beschriebenen
Persönlichkeitsdefizite - eine stark eingeschränkte
Affektregulation, Defizite in der Gestaltung zwischenmenschlicher
Beziehungen und der Regulation des Selbstwertgefühls, eine
Reduzierung der Gewissensinstanz und Einbußen im Bereich der
psychosozialen Leistungsfähigkeit - das Leben des Angeklagten
mit ähnlichen Folgen zu stören, zu belasten und
einzuengen vermögen wie eine krankhafte seelische
Störung (vgl. BGH NStZ 2009, 258). Anlass zu näheren
Erörterungen hätte insoweit gerade auch das
auffällige Vorleben des Angeklagten geboten.
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b) Daneben hat das Landgericht nicht nachvollziehbar erörtert,
ob eine Kombinations- und Wechselwirkung des genossenen Alkohols mit
den anderen Rauschmitteln oder die Intoxikation und die
Persönlichkeitsstörung, die jeweils für sich
noch keine erhebliche Beeinträchtigung der strafrechtlichen
Verantwortlichkeit herbeiführten, durch ihr Zusammenwirken die
Fähigkeit des Angeklagten, sich normgerecht zu verhalten, im
Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem
Maße einschränkten (vgl. BGHR StGB § 21
Ursachen, mehrere 3, 5; BGH NStZ 2009, 258). Hierzu hätte es
auch unerlässlich des Versuchs einer näheren
Bestimmung des Grades der Intoxikation bedurft. So ist namentlich nicht
ersichtlich, warum die den Feststellungen zugrunde gelegten Angaben des
Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum, die vom Sachverständigen
als „durchaus nachvollziehbar“ eingeordnet wurden,
eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration - gegebenenfalls aufgrund
von Schätzungen unter Berücksichtigung des
Zweifelssatzes - nicht ermöglicht hätten (vgl. BGH
StV 1993, 519; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29;
BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 - 5 StR 57/09). Die vom Angeklagten
angegebenen Konsummengen sind gerade nicht widerlegt worden (vgl. BGH,
Beschluss vom 26. Mai 2009 - 5 StR 57/09 m.w.N.); das
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Tatgericht hätte angeben müssen, von welchem
höchstmöglichen Blutalkoholwert es ausgegangen ist
und aufgrund welcher Berechnungsmethode es diesen festgestellt hat (BGH
aaO).
3. Aufgrund der getroffenen Feststellungen, insbesondere auch zum
Nachtatverhalten des Angeklagten, schließt der Senat aus,
dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt
hat. Der Senat verkennt nicht, dass angesichts dieser Umstände
selbst die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht
unbedingt naheliegend erscheint. Jedenfalls schließt der
Senat aus, dass das etwaige Vorliegen einer erheblich
eingeschränkten Schuldfähigkeit die subjektiven
Voraussetzungen des angenommenen Mordmerkmals in Frage stellen
würde. Denn die äußeren Umstände,
die die Tat zu einer heimtückischen Tötung machen,
sind derart offensichtlich, dass der Angeklagte dies auch bei
eingeschränkter Schuldfähigkeit erkannt hat.
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Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch die Voraussetzungen des
§ 64 StGB zu erörtern haben.
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