BGH,
Beschl. v. 24.6.2004 - 4 StR 210/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 210/04
vom
24.06.2004
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr
u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am
24.06.2004 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Fulda vom 3. Februar 2004 im Rechtsfolgenausspruch
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte "des vorsätzlichen
gefährlichen
Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit 3
tateinheitlichen Fällen der
gefährlichen Körperverletzung, rechtlich
zusammentreffend mit fahrlässiger
Trunkenheit im Verkehr, in Tatmehrheit mit 2 rechtlich
zusammentreffenden
Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung,
diese in Tateinheit mit Beleidigung
und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" schuldig gesprochen. Es hat
die
Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben
Monaten
verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet.
Ferner hat es der Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, ihren
Führerschein
eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, der
Angeklagten
vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
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Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung
formellen und
sachlichen Rechts. Soweit sich die Angeklagte gegen den Schuldspruch
wendet,
ist ihr Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO. Insoweit
wird auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2.06.2004 Bezug
genommen. Zum Rechtsfolgenausspruch hat das Rechtsmittel dagegen Erfolg.
1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Zwar ist die Annahme des Landgerichts, daß die
Steuerungsfähigkeit
der Angeklagten bei Begehung der Taten "infolge der kombinierten
Persönlichkeitsstörung,
welche eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des
§ 20 StGB darstellt, der festgestellten klinisch
mittelgradigen Berauschung
(Tatzeit-Blutalkoholkonzentration mindestens 1,71 ‰, zudem
Einfluß von Heroin
und Kodein) und der erheblich aufgeladenen affektiven Grundstimmung
wegen
des Streits mit dem Zeugen M. , was zu einer erhöhten
innerseelischen
Anspannung geführt hat, erheblich vermindert" gewesen ist, auf
der Grundlage
der bisherigen Feststellungen, wie der Generalbundesanwalt zutreffend
ausgeführt
hat, rechtlich nicht zu beanstanden. Die für die erhebliche
Verminderung
der Schuldfähigkeit der Angeklagten mitursächliche
"kombinierte Persönlichkeitsstörung"
vermag aber nach den bisherigen Feststellungen die Anordnung
der Maßregel nach § 63 StGB nicht zu tragen.
Diese setzt neben der positiven Feststellung der
Schuldunfähigkeit (§ 20
StGB) oder der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit
(§ 21 StGB) voraus,
daß diese auf einem länger andauernden, nicht nur
vorübergehenden
geistigen Defekt beruht, das heißt mit diesem in einem
ursächlichen und sym-
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ptomatischen Zusammenhang steht (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 22, 27; BGH
NStZ-RR 2003, 232). Nötig ist, daß die Tatbegehung
durch den (nicht nur vorübergehenden)
Zustand ausgelöst oder doch mitausgelöst worden ist
und daß
auch die für die Zukunft zu erwartenden Taten sich als
Folgewirkung dieses
Zustandes darstellen (BGH NStZ 1991, 528; BGH NJW 1998, 2986, 2987).
Daß die Begehung der vom Landgericht der
Unterbringungsanordnung allein
zugrundegelegten Tat (absichtliche Herbeiführung des
Verkehrsunfalls, Fall
II 1. der Urteilsgründe) von einem solchen dauerhaften Zustand
ausgelöst worden
ist und daß aufgrund dieses Zustandes eine über die
bloße Möglichkeit
hinausgehende Wahrscheinlichkeit weiterer erheblicher rechtswidriger
Taten
besteht (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232 m.w.N.), hat das Landgericht jedoch
nicht rechtsfehlerfrei dargetan.
Zwar war die nach den Feststellungen bereits zur Tatzeit vorliegende
"kombinierte Persönlichkeitsstörung" und die damit
verbundene Neigung der
Angeklagten zu aggressivem Ausagieren ihrer Bedürfnisse und
Impulse, die
durch den Gebrauch von Suchtmitteln noch verstärkt wird,
mitursächlich für die
Begehung der Anlaßtat. Daß es sich dabei um einen
länger dauernden Zustand
handelt, belegen die Urteilsgründe aber nicht. Dem einer
früheren Verurteilung
u.a. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit
vorsätzlicher Körperverletzung zugrundeliegenden
Tatgeschehen kommt, wie
der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, keine
ausreichende Indizwirkung
zu, weil jene Taten bei Begehung der Anlaßtat bereits
achteinhalb
Jahre zurücklagen. Zudem ist die Angeklagte darüber
hinaus nur im Zusammenhang
mit einer stationären Einweisung in die Psychiatrie im Sommer
des
Jahres 2000 psychisch auffällig geworden (UA 18). Den
Arztberichten über die
fünf stationäre Aufenthalte der Angeklagten in der
Zeit von 1999 bis 2002 zum
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Zweck von Entzugsbehandlungen (UA 5) waren dagegen keine Hinweise auf
eine psychotische Symptomatik der Angeklagten zu entnehmen (UA 20).
Die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit der
Angeklagten wurde
zudem nicht allein durch die bei der Angeklagten zur Tatzeit vorliegende
Persönlichkeitsstörung, sondern letztlich dadurch
bewirkt, daß die Angeklagte,
bei der spätestens seit 1999 eine Polytoxikomanie vorliegt,
vor der Tatbegehung
Alkohol, Heroin und Kodein konsumiert hatte. In Fällen, in
denen die erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit nicht allein durch einen
länger andauernden
geistigen Defekt, sondern letztlich durch Alkoholgenuß
bewirkt wurde,
ist § 63 StGB aber nur dann anwendbar, wenn der Täter
an einer krankhaften
Alkoholsucht leidet oder in krankhafter Weise
alkoholüberempfindlich ist
(vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 18, 30 jew. m.w.N.). Für
den Drogenkonsum
kann nichts anderes gelten. Daß die nach den bisherigen
Feststellungen für
die Verminderung der Schuldunfähigkeit mitursächliche
Polytoxikomanie der
Angeklagten auf einer krankhaften seelischen Störung oder
einer schweren
anderen seelischen Abartigkeit beruht, läßt sich den
Urteilsfeststellungen jedoch
nicht entnehmen. Die Unterbringungsanordnung hat daher keinen Bestand.
In der neuen Hauptverhandlung wird insbesondere erneut zu
prüfen
sein, ob es sich bei dem massiven paranoiden Erleben, das sich seit Ende
März 2003 bei der Angeklagten entwickelt hat, wie das auch
insoweit dem
Sachverständigengutachten folgende Landgericht angenommen hat,
um ein
neues Krankheitsbild handelt, das zur Tatzeit noch nicht vorgelegen
hat. Zwar
setzt § 63 StGB voraus, daß die
Gefährlichkeit des Täters auf denjenigen Zustand
folgt, der die Einschränkung seiner Schuldfähigkeit
(§§ 20, 21 StGB) be-
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gründet. Erforderlich ist aber nur, daß es sich um
dieselben "Defektquelle“ handelt
(vgl. BGH NJW 1998, 2986, 2987). Insoweit wird zu prüfen sein,
ob die
nach den bisherigen Feststellungen bei Tatbegehung bei der Angeklagten
vorliegende
Persönlichkeitsstörung eine Krankheitsphase gewesen
ist, die den
nunmehr seit Ende März 2003 aufgetretenen eigentlichen
Krankheitserscheinungen
vorausgegangen ist (Prodomalstadium). Haben die bei Tatbegehung
vorliegende Persönlichkeitsstörung und das zum
Zeitpunkt der Hauptverhandlung
bestehende Krankheitsbild dieselbe Defektquelle, kann auch dieses bei
der Beurteilung der Dauerhaftigkeit des Zustandes und der darauf
beruhenden
Gefährlichkeit der Angeklagten Berücksichtigung
finden.
2. Die aus den vorgenannten Gründen gebotene Aufhebung der
Unterbringungsanordnung
zieht aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
genannten Gründen die Aufhebung des gesamten
Rechtsfolgenausspruchs
nach sich.
Vorsitzende Richterin am Kuckein Athing
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien
ist urlaubsbedingt ortsabwesend
und deshalb verhindert zu
unterschreiben.
Kuckein
Solin-Stojanovi Ernemann |