BGH,
Beschl. v. 24.6.2009 - 1 StR 201/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 201/09
vom
24. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Rechtsbeugung u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juni 2009
beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 14. November 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Rechtsbeugung in 47
Fällen und versuchter Rechtsbeugung in sieben Fällen
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der
Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision
des Angeklagten hat keinen Erfolg. Das Rechtsmittel ist aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Ergänzend bemerkt der Senat:
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1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den
Schuldspruch der Rechtsbeugung gemäß § 339
StGB. Rechtsbeugung kann auch durch den Verstoß gegen
Verfahrensvorschriften begangen werden (vgl. BGHSt 42, 343, 344; BGHR
StGB § 339 Rechtsbeugung 6; jew. m.w.N.). Allerdings ist nicht
jeder Rechtsverstoß als „Beugung“ des
Rechts anzusehen, vielmehr enthält dieses Tatbestandsmerkmal
ein normatives Element und soll nur Verstöße gegen
die Rechtspflege erfassen, bei denen sich der Täter bewusst
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und in schwerer Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von
Recht und Gesetz entfernt (vgl. BGHSt aaO m.w.N.). Solche elementaren
Rechtsverstöße liegen hier vor.
a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte als am Amtsgericht
tätiger Richter in Betreuungssachen in den 54
verfahrensgegenständlichen Fällen gegenüber
in Pflegeheimen befindlichen Personen freiheitsentziehende
Maßnahmen nach § 1906 Abs. 1 bzw. Abs. 4 BGB - wie
etwa die Anbringung von Bettgittern, die Fixierung im Bett, Sessel oder
Rollstuhl oder die Verwendung einer Schutzdecke, aber auch die
Verlängerung der Unterbringung - genehmigt und dabei entgegen
der ihm bekannten gesetzlichen Verpflichtung aus § 70c FGG
systematisch darauf verzichtet, die Betroffenen zuvor
persönlich anzuhören und sich einen unmittelbaren
Eindruck von ihnen zu verschaffen. Hierdurch wollte der Angeklagte die
Verfahren leichter und schneller entscheiden können und sich
Arbeit ersparen, namentlich auch, um mehr Zeit für Familie,
Hobbys und Nebentätigkeiten zu haben (UA S. 8, 70). Um den
Anschein ordnungsgemäß durchgeführter
Anhörungen zu erwecken, erstellte der Angeklagte
formularmäßig vorgefertigte
Anhörungsprotokolle, die er zu den Verfahrensakten nahm. In
sieben Fällen dokumentierte er damit Anhörungen von
Personen, die zum angeblichen Zeitpunkt der Anhörung bereits
verstorben waren. Als er in einem Fall von der Geschäftsstelle
im Amtsgericht angesichts einer Todesmitteilung darauf hingewiesen
wurde, dass der Betroffene am Tag der angeblichen Anhörung
bereits verstorben gewesen sei, veränderte der Angeklagte
nachträglich den Inhalt der Verfahrensakten.
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b) Mit dem systematischen Verstoß gegen die
Anhörungspflicht aus § 70c FGG bei gleichzeitiger
Vorspiegelung einer verfahrensrechtlich
ordnungsgemäßen Vorgehensweise mit fingierten
Anhörungsprotokollen hat sich
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der Angeklagte in einer derart schweren Weise bewusst von Recht und
Gesetz entfernt, dass darin ein elementarer Rechtsverstoß zu
sehen ist.
aa) Die gesetzlich vorgeschriebene Anhörungspflicht aus
§ 70c FGG verfolgt nicht nur den Zweck, dass der Betroffene in
den Entscheidungsprozess einbezogen wird, indem ihm rechtliches
Gehör im allgemeinen Sinne gewährt wird
(Jansen/Sonnenfeld, FGG 3. Aufl. § 70c Rdn. 3); vielmehr soll
die Vorschrift auch sicherstellen, dass das Gericht in
Unterbringungssachen und Betreuungssachen seiner Kontrollfunktion
gegenüber Zeugen und Sachverständigen besser gerecht
werden kann. Das Gericht darf bei derart wichtigen Angelegenheiten, die
die Freiheitsgrundrechte der von den jeweiligen Maßnahmen
Betroffenen berühren, keine Entscheidungen ohne eigene
Anschauungsgrundlage nur auf Grund von Beweismitteln treffen (vgl.
BTDrucks. 11/ 4528 S. 90; Jansen/Sonnenfeld aaO Rdn. 1). Nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zudem unverzichtbare
Voraussetzung für ein rechtsstaatliches Verfahren, dass
Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit
betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung
beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende
Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht
(vgl. BVerfG NJW 1998, 1774). Demnach haftet einer
Unterbringungsmaßnahme, die unter Verstoß gegen das
Gebot vorheriger persönlicher Anhörung ergeht, der
Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung an, der
rückwirkend nicht mehr zu heilen ist (BVerfG NJW 1990, 2309,
2310 m.w.N.).
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bb) Der Angeklagte hat in den ihm zur Last liegenden Fällen
über die Anträge nach § 1906 BGB entweder
allein nach Aktenlage entschieden oder aufgrund von Informationen, die
er aus kurzen, oberflächlichen Gesprächen mit dem
Pflegepersonal über den Zustand der Betroffenen erlangt hatte.
In keinem
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der Fälle hat der Angeklagte die Betroffenen
persönlich angehört oder sich einen unmittelbaren
Eindruck von deren Zustand im Pflegeheim verschafft. Er hat dabei seine
richterliche Pflicht zur Anhörung nicht nur im Einzelfall,
etwa aus beruflicher Überlastung, vernachlässigt,
sondern hat aus sachfremden Erwägungen, nämlich
„um seine Freizeit zu optimieren“ (UA S. 70),
systematisch auf Anhörungen verzichtet. Damit hat er die mit
der Anhörungspflicht bezweckte Stärkung der
Rechtsposition von Personen im Verfahren, die aufgrund ihres Alters
oder Gesundheitszustandes in besonderem Maße
schutzbedürftig sind (vgl. BTDrucks. 11/4528 S. 89), durch
seine Vorgehensweise wieder aufgehoben. Da er sich nicht einmal einen
persönlichen Eindruck von den Betroffenen verschaffte, fehlte
ihm zudem eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die
Genehmigung der beantragten Maßnahmen.
cc) Durch den systematischen Verzicht auf die Durchführung der
richterlichen Anhörungen hat der Angeklagte mit der
Genehmigung der freiheitsentziehenden Maßnahmen
gemäß § 1906 Abs. 1 bzw. Abs. 4 BGB bewusst
einen Rechtsbruch zum Nachteil der Betroffenen begangen. Er hat die
Betroffenen durch den Verstoß gegen seine
Anhörungspflicht nach § 70c FGG aus sachfremden
Erwägungen, nämlich um mehr Freizeit zu haben, nicht
nur der konkreten Gefahr eines Nachteils ausgesetzt (vgl. BGHSt 42,
343), sondern hat ihre Rechtsstellung durch die Genehmigung der
jeweiligen Maßnahme in der Sache bereits unmittelbar
verletzt. Denn weder der persönliche Eindruck noch
Wünsche oder sonstige möglichen
Äußerungen, die sich auf die Entscheidung
hätten auswirken können, wurden so
Entscheidungsgrundlage. Der Verfahrensverstoß führte
somit in jedem Einzelfall auch zu einer sachlich-rechtlich fehlerhaften
Entscheidung. Entgegen der Auffassung der Revision liegt damit der
Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht in einem Unterlassen der nach
§ 70c FGG gebotenen Anhörung, sondern in der
Genehmigung freiheitsentziehender
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Maßnahmen auf unzureichender Entscheidungsgrundlage. Die
hypothetische Frage, ob der Angeklagte im Falle einer
durchgeführten Anhörung ebenfalls zu einer
Genehmigung der jeweiligen Maßnahme gelangt wäre,
ist für die Frage, ob sich der Angeklagte „zum
Nachteil einer Partei der Beugung des Rechts schuldig“
gemacht hat, ohne Bedeutung. Denn dies ließe die Beugung des
Rechts, nämlich die Sachentscheidung auf
unvollständiger Grundlage und damit die Verletzung der
Rechtsposition der Betroffenen, nicht entfallen.
c) Die Feststellungen tragen auch den Tatvorsatz des Angeklagten. Der
Vorsatz muss sich darauf richten, das Recht zugunsten oder zuungunsten
einer Partei zu verletzen; einer besonderen Absicht bedarf es nicht
(vgl. Fischer, StGB § 339 Rdn. 17). Diese Voraussetzungen sind
hier erfüllt. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, dass
das Landgericht den Umstand, dass dem Angeklagten die Schwere der von
ihm begangenen Verfahrensverstöße zum Nachteil der
Betroffenen bewusst war, aus seinen Verschleierungshandlungen
geschlossen hat.
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Um den Anschein einer ordnungsgemäßen
Anhörung zu erwecken, hatte der Angeklagte ein Formular
entwickelt, auf dem sich Kästchen zum Ankreuzen befanden, die
den gesundheitlichen Zustand des Betroffenen, wie z.B. „nicht
ansprechbar“ bzw. „ansprechbar und allseits /
teilweise / nicht orientiert“, dokumentieren sollten.
Außerdem hatte er auf dem Formular folgenden Satz
vorformuliert: „D. Betroffene äußerte zum
Grund der Anhörung: nichts.“. In den ihm zur Last
liegenden Fällen legte der Angeklagte jeweils ein auf den Tag
der Beschlussfassung datiertes Anhörungsprotokoll bei, obwohl
er eine Anhörung gemäß § 70c FGG
überhaupt nicht durchgeführt hatte. Der Angeklagte
hat hierdurch inhaltlich unzutreffende Dokumente zu Aktenbestandteilen
der Verfahrensakten gemacht, um auf diese Weise einen den gesetzlichen
Vorschriften
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entsprechenden Verfahrensablauf vorzutäuschen. Im Hinblick auf
die Vielzahl der Fälle, in denen der Angeklagte die von ihm
begangenen schweren Verfahrensverletzungen planvoll vertuscht hat, ist
die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte bewusst und aus
sachfremden Motiven, namentlich um seine Freizeit zu optimieren, das
Recht gebeugt hat, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Bereits
das systematische Vorgehen zur Vermehrung der eigenen Freizeit legt
nahe, dass das Handeln des Angeklagten nicht am Wohl der Betroffenen
ausgerichtet war.
2. Der Strafausspruch hält ebenfalls revisionsgerichtlicher
Nachprüfung stand. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass es
das Landgericht nicht auszuschließen vermochte,
„dass die vom Angeklagten genehmigten Maßnahmen
tatsächlich erforderlich waren, seine Entscheidungen damit
materiell richtig waren“, ohne dies im Einzelfall
tatsächlich ermittelt zu haben.
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RiBGH Dr. Kolz befindet sich
in Urlaub und ist deshalb an
der Unterschrift gehindert.
Nack Nack Hebenstreit
Elf Jäger |