BGH,
Beschl. v. 24.11.2000 - 2 StR 317/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
24. November 2000
in der Strafsache gegen
wegen versuchten Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu Ziffer 3
auf dessen Antrag, am 24. November 2000 einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 16. Februar 2000 mit den Feststellungen
aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum
äußeren Sachverhalt aufrechterhalten.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere als Schwurgericht zuständige Kammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten ist mit der
Sachrüge erfolgreich; die Verfahrensrügen sind
unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts griff der Angeklagte, der
bislang als ruhiger und zurückhaltender Mann bekannt war, den
Geschädigten M., gegen den er auf Grund
zurückliegender Vorfälle - M. hatte unter anderem
gemeinsam mit anderen den Bruder des Angeklagten zusammengeschlagen und
erheblich verletzt - Groll hegte, unvermittelt und ohne
rechtfertigenden Grund an, als er ihn aus einem Bistro heraus auf der
Straße bemerkte. Er schlug und trat den M. so, daß
dieser zu Boden stürzte und jedenfalls stark benommen war,
sodann trat er ihm mehrfach mit äußerster Wucht in
das Gesicht; schließlich schlug er ihm eine zersplitterte
Flasche dreimal wuchtig in das Gesicht. Der Angeklagte war hierbei aufs
äußerste erregt und konnte auch von herbeieilenden
Gästen des Lokals nicht zurückgehalten werden. Nach
den Schlägen mit der Flasche entfernte er sich schluchzend und
leicht torkelnd ohne Eile vom Tatort. Zur Tatzeit um 0.20 Uhr wies er
eine Blutalkoholkonzentration von 3,06 o/oo auf; er hatte zudem
zwischen 19.00 Uhr und 20.00 Uhr einen Joint Haschisch geraucht sowie
zwischen 20.00 Uhr und 0.20 Uhr 1,5 g Kokain in sechs Portionen sowie
eine halbe Tablette Rohypnol konsumiert; seine
Steuerungsfähigkeit war daher zur Tatzeit erheblich
vermindert, jedoch nicht aufgehoben. Als er vier Tage nach der Tat
festgenommen und zu dem Vorfall vernommen wurde,
äußerte er, er habe den M. verprügelt, weil
dieser ihn habe angreifen wollen; mit Tötungsvorsatz habe er
nicht gehandelt; als M. sich nicht mehr habe wehren können,
sei er weggegangen. Er habe gedacht, M. werde alsbald wieder aufstehen.
Der Geschädigte erlitt auf Grund massiver Bluteinatmung und
Sauerstoffmangels eine schwere Hirnschädigung; er wird auch
nach Abschluß der Rehabilitation nicht mehr allein gehen und
sich versorgen können, leidet unter erheblichen kognitiven,
sprachlichen und Gedächtniseinschränkungen und wird
zeitlebens auf Pflege durch Dritte angewiesen sein.
2. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags hat keinen Bestand.
Zwar begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe trotz
der erheblichen Einschränkung seiner
Steuerungsfähigkeit und seiner hohen Erregung mit jedenfalls
bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, angesichts der
außerordentlich massiven, gezielt gegen Gesicht und Kopf des
Opfers gerichteten Gewalttätigkeiten des Angeklagten keinen
rechtlichen Bedenken.
Das Urteil enthält jedoch keine Darlegungen zum
Vorstellungsbild des Angeklagten zu dem Zeitpunkt, als er von M.
abließ und sich vom Tatort entfernte. Nach den bisherigen
Feststellungen ist ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch
des Tötungsdelikts aber nicht von vornherein ausgeschlossen.
Die Gäste des Lokals hatten, als der Angeklagte von M.
abließ, ihre Versuche aufgegeben, ihn von weiteren
Gewalttätigkeiten abzuhalten; der Versuch war daher jedenfalls
nicht fehlgeschlagen. Zur Glaubhaftigkeit der Einlassung des
Angeklagten, er habe gedacht, M. werde alsbald wieder aufstehen,
verhält sich das Urteil nicht. Diese
Äußerung gegenüber den ihn festnehmenden
Polizeibeamten ebenso wie seine Frage, ob er wegen des
Verprügelns des M. "Probleme bekomme", und sein Verhalten nach
der Tat lassen es als nicht ausgeschlossen erscheinen, daß
der Angeklagte, als er von M. abließ und sich entfernte, sich
zwar Gedanken über den Eintritt des Tötungserfolgs
machte, ihn aber weder für sicher noch für
möglich hielt und daß daher ein unbeendeter Versuch
vorlag, von welchem er durch das bloße Absehen von weiteren
Tathandlungen strafbefreiend zurücktreten konnte. Das
Schwurgericht hat sich mit dieser Möglichkeit nicht
auseinandergesetzt. Die an sich rechtsfehlerfreien Erwägungen,
mit welchen das Landgericht (allein) die Einlassung des Angeklagten als
widerlegt ansieht, er habe nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt,
reichen insoweit nicht aus, da angesichts des zeitlich gestreckten
Handlungsablaufs Änderungen des Vorstellungsbilds des
Angeklagten nicht ausgeschlossen sind und es für die Anwendung
von § 24 Abs. 1 StGB allein auf seine Beurteilung nach der
letzten Tathandlung ankommt.
3. Das Fehlen von Feststellungen zum Rücktrittshorizont des
Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils. Eine
Schuldspruchänderung durch den Senat kommt nicht in Betracht,
da ergänzende Feststellungen ohne weiteres möglich
sind. Der neue Tatrichter wird insoweit zu beachten haben,
daß die Annahme eines unbeendeten Versuchs im Sinne von
§ 24 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. StGB nicht allein dann
ausscheidet, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs zum
Zeitpunkt der letzten Ausführungshandlung für sicher
oder wahrscheinlich hält, sondern schon dann, wenn nach seinem
Vorstellungsbild der Erfolgseintritt jedenfalls möglich ist.
Die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt
können aufrechterhalten bleiben, da sie von dem Rechtsfehler
nicht berührt sind.
Jähnke Bode Rothfuß
Fischer Elf |