BGH,
Beschl. v. 24.11.2004 - 5 StR 239/04
5 StR 239/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 24. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2004
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Potsdam vom 9. Februar 2004 nach § 349 Abs. 4
StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wir d zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere
Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten
Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit
unerlaubtem Führen
einer Schußwaffe zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt
und hat seine
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des
An-
geklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf der
Grundlage der getroffenen
Feststellungen ist die Verneinung eines strafbefreienden
Rücktritts vom Tot-
schlagsversuch nicht tragfähig begründet.
Mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung hat das
Schwurgericht fol-
gendes festgestellt: Der aus Serbien stammende, hochgradig
persönlich-
keitsgestörte und zur Tatzeit stark angetrunkene - daher in
seiner Steue-
r ungsfähigkeit erheblich verminderte - Angeklagte hielt in
einem Wohnraum
eines Asylbewerberheimes mit einem Revolver drei Landsleute
mindestens
eine Stunde lang in Schach. Die Waffe war mit drei Patronen geladen,
zwei
davon waren, was der Angeklagte nicht wußte, unbrauchbar. Er
bedrohte die
drei Landsleute mit dem Tode und spielte wiederholt
„russisches Roulette“,
indem er die Waffe abwechselnd, insgesamt fünfmal, auf einen
von ihnen
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hielt und mit bedingtem Tötungsvor satz den Abzug
betätigte. Einmal richtete
der Angeklagte die Waffe unter Betätigung des Abzugs auch
gegen sich
selbst. Einem der Männer steckte er zudem einmal den Lauf der
Waffe in
den Mund, ohne hierbei freilich den Abzug zu betätigen. Zwei
Männern
schlug er außerdem mit der Waffe gegen den Kopf. Bei den
Schußversuchen
löste sich lediglich gegen Schluß des Geschehens ein
Schuß, der jedoch
gegen den Boden prallte und von dort denjenigen, in dessen Richtung der
Angeklagte die Waffe gehalten hatte, am Fuß traf und
verletzte. Schließlich
r auchte der Angeklagte eine Haschischzigarette, beruhigte sich etwas,
um-
armte einen der Bedrohten, zielte gegen die Wand und drückte
ein letztes
Mal ab, wobei sich wiederum kein Schuß löste; dies
wäre mangels funktions-
fähiger Munition auch gar nicht mehr möglich gewesen.
Zwei der Opfer ver-
ließen anschließend das Tatzimmer, ohne hieran noch
vom Angeklagten ge-
hindert zu werden. Ein vierter hinzukommender Landsmann nahm dem An-
geklagten schließlich die Waffe ab.
Die Auffassung des Schwurgerichts, der Angeklagte habe nach
dem
letzten Schußversuch gegen die Wand keine
Möglichkeit mehr gesehen, die
Tötung seiner Zechgenossen noch mit dem Revolver realisieren
zu können
- daher scheide ein Rücktritt vom Versuch wegen Fehlschlags
aus -, ist
angesichts der getroffenen Feststellungen
unverständlich. Der Angeklagte
ging von der Funktionsfähigkeit auch der
verbliebenen zwei Patronen aus;
ein klickendes Geräusch entstand nach Betätigung des
Abzugshahns auch,
wenn dieser auf keine Patrone traf; die Trommel des klemmenden
Revolvers
drehte der Angeklagte wiederholt. Danach waren sechs Fehlversuche (vier
Tötungsversuche, ein Selbsttötungsversuch, ein
versuchter Schuß gegen die
Wand) neben einem - nicht tödlichen - Treffer beim vorletzten
Anlauf kein
Beleg für eine Undurchführbarkeit tödlicher
Schüsse mit der vorhandenen
Waffe aus der - maßgeblichen - Sicht des Angeklagten. Wenn
der Ange-
klagte weitere derartige, nicht erkanntermaßen aussichtslose
Versuche un-
terließ, liegt seine Straffreiheit unter dem Gesichtspunkt
des versuchten Tot-
schlags wegen Rücktritts auf der Hand. Dies ergibt sich
unmittelbar aus § 24
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Abs. 1 Satz 1 StGB, wenn auf die subjektive Sicht des Angeklagten von
der
Tauglichkeit weiterer sofort möglicher
Tötungsversuche, die einen Fehlschlag
ausschließt, abgestellt wird. Zumindest muß ein
Verzicht auf weitere uner-
kannt untaugliche Versuche zur Straffreiheit entsprechend § 24
Abs. 1 Satz 2
StGB führen, da sonst der gefährlichere
Täter, der auf tatsächlich taugliche
weitere Tatanläufe verzichtet, sachwidrig bevorzugt
würde (vgl. zum Vorste-
henden Lilie/Albrecht in LK 11. Aufl. § 24 Rdn. 65). Bei
alldem akzeptiert der
Senat die Auffassung des Schwurgerichts, das langandauernde Tatgesche-
hen als eine natürliche Handlungseinheit zu verstehen.
Die Aufhebung erfaßt bei der gegebenen Tateinheit auch die
als sol-
che zutreffende Verurteilung des Angeklagten wegen
gefährlicher Körperver-
letzung und unerlaubten Führ ens einer Schußwaffe.
Sollte das neu zur Ent-
scheidung berufene Schwurgericht wiederum zu Feststellungen gelangen,
welche die Straffreiheit des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des
Tot-
schlagsversuchs wegen Rücktritts rechtfertigen, wird es das
Tatgeschehen
- schwere räuberische Erpressung, von deren Verfolgung nach
§ 154a StPO
abgesehen wurde, schied offenbar aus - auch unter den rechtlichen Ge-
sichtspunkten der Freiheitsberaubung, Nötigung und Bedrohung
sowie zwei-
er weiterer gefährlicher Körperverletzungen durch die
Schläge, eventuell gar
der Geiselnahme zu beurteilen haben. Die Schuldfähigkeit wird
ebenfalls neu
zu prüfen sein; dabei erscheint die Annahme lediglich
erheblich einge-
schränkter Steuerungsfähigkeit - wenngleich das
Tatverhalten gravierende
Anhaltspunkte für eine massive Enthemmung des par tiell wenig
sinngesteu-
ert agierenden Angeklagten aufweist - bei dem Gesamtbild des Tatgesche-
hens nicht rechtfehlerhaft. Für den Maßregelausspr
uch weist der Senat auf
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den gegenüber dem Wortlaut des § 64 Abs. 2 StGB
verbindlich einge-
schränkten Maßstab nach BVerfGE 91, 1 hin.
Harms
Basdorf Gerhardt
Br ause Schaal
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