BGH,
Beschl. v. 24.10.2002 - 4 StR 332/02
4 StR 332/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
24. Oktober 2002
in der Strafsache gegen
wegen schweren Raubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 24. Oktober 2002 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Magdeburg vom 22. April 2002 im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes, Raubes und
wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten
verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner Revision rügt der
Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Die
Formalrüge ist nicht ausgeführt und deshalb
unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). In
sachlich-rechtlicher Hinsicht hat das Rechtsmittel hinsichtlich des
Ausspruchs über die Gesamtstrafe Erfolg. Im übrigen
ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen beging der Angeklagte die ihm in dem
anhängigen Verfahren zur Last gelegten Taten am 14. und 21.
September 2001. Danach, am 26. September 2001, verurteilte ihn das
Amtsgericht Magdeburg wegen Diebstahls in neun Fällen
(Tatzeiten: 6. März 2001 bis 20. März 2001 und 20.
April 2001 bis 10. August 2001) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt
wurde. Das Urteil wurde am selben Tag rechtskräftig.
Außerdem hatte ihn das Amtsgericht Magdeburg bereits am 10.
April 2001 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei
Monaten verurteilt und seine Unterbringung nach § 64 StGB
angeordnet. Dieser Verurteilung lagen neun Straftaten zugrunde, die der
Angeklagte zwischen Juli 1997 und September 2000 begangen hatte. Das
Urteil vom 10. April 2001 wurde nach Rücknahme der vom
Angeklagten eingelegten Berufung erst am 24. Januar 2002
rechtskräftig. Bislang wurden die den beiden Vorverurteilungen
durch das Amtsgericht Magdeburg zugrundeliegenden Einzelstrafen nicht
im Wege des Beschlußverfahrens nach § 460 StPO
nachträglich auf (neue) Gesamtstrafen
zurückgeführt.
Das Landgericht hat die Bildung einer nachträglichen
Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 StGB aus den im
anhängigen Verfahren verhängten Einzelstrafen und den
Einzelstrafen aus dem zweiten Urteil des Amtsgerichtes Magdeburg vom
26. September 2001 unter Berufung auf die Entscheidung in BGHSt 32, 190
ff. mit der Begründung abgelehnt, der Angeklagte habe die ihm
im vorliegenden Verfahren zur Last gelegten Taten zwischen den beiden
rechtskräftigen Vorverurteilungen begangen, die wegen der
Zäsurwirkung des ersten Urteils vom 10. April 2001 ihrerseits
gemäß § 460 StPO auf eine
Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen seien.
2. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
Die Strafkammer beruft sich zur Begründung ihrer
Rechtsauffassung zu Unrecht auf die Entscheidung des
Bundesgerichtshofes in BGHSt 32, 190 ff. . Danach ist die Bildung einer
Gesamtstrafe nach § 55 StGB dann ausgeschlossen, wenn der
Richter, der früher entschieden hat, eine Strafe, die in einer
noch früheren Verurteilung ausgesprochen worden ist, in eine
Gesamtstrafenbildung hätte einbeziehen können. In
diesem Fall geht von der ersten Vorverurteilung eine
Zäsurwirkung aus, die zur Folge hat, daß die Strafe
aus der späteren Vorverurteilung und die Strafe, die im
anhängigen Verfahren für eine Tat ausgesprochen wird,
die zwischen den Vorverurteilungen begangen worden ist, nicht mehr
Gegenstand einer Gesamtstrafenbildung sein kann. Eine
nachträgliche Gesamtstrafenbildung im anhängigen
Verfahren scheidet wegen der sog. Zäsurwirkung des ersten
Urteils (vgl. Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe 1987 Rdn. 233)
mithin nur dann aus, wenn die Taten aus der zweiten Verurteilung
zeitlich vor der ersten Verurteilung begangen worden sind. Dies ist
vorliegend jedoch nur zum Teil der Fall. Die im zweiten Urteil des
Amtsgerichtes Magdeburg vom 26. September 2001 ausgeurteilten Taten
liegen nämlich zeitlich zum Teil nach der ersten
Vorverurteilung vom 10. April 2001. Die für diese Taten
verhängten Einzelstrafen werden deshalb von der
Zäsurwirkung des ersten Urteils nicht erfaßt und
können noch Gegenstand einer nachträglichen
Gesamtstrafenbildung im anhängigen Verfahren sein.
Dies hat zur Folge, daß die Einzelstrafen aus dem Urteil vom
10. April 2001 und diejenigen Einzelstrafen aus dem Urteil vom 26.
September 2001, die für Taten vor dem 10. April 2001
verhängt worden sind (Tatzeitraum vom 6. März 2001
bis zum 20. März 2001), auf eine Gesamtstrafe
zurückgeführt werden können. Die
übrigen Einzelstrafen aus dem Urteil vom 26. September 2001
(Taten aus der Zeit vom 20. April 2001 bis 10. August 2001) sind
gesamtstrafenfähig mit den Strafen für die Taten im
anhängigen Verfahren, da diese zeitlich vor dem zweiten Urteil
des Amtsgerichtes Magdeburg begangen worden sind. Im vorliegenden Fall
sind deshalb zwei Gesamtstrafen zu bilden.
Die Bildung dieser Gesamtstrafen hätte die Strafkammer
vornehmen müssen. Sie war verpflichtet, die im
anhängigen Verfahren ausgesprochenen Einzelstrafen und
diejenigen Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichtes Magdeburg vom
26. September 2001, die Taten nach dem 10. April 2001 betreffen, unter
Auflösung der im Urteil vom 26. September 2001 gebildeten
Gesamtfreiheitsstrafe und unter Berücksichtigung der
Zäsurwirkung des ersten Urteils gemäß
§ 55 StGB auf (zwei) neue Gesamtstrafen
zurückzuführen. Da insoweit die Voraussetzungen des
§ 55 StGB vorlagen, durfte das Landgericht diese Entscheidung
nicht dem Beschlußverfahren nach § 460 StPO
überlassen (st. Rspr., vgl. BGHSt 12, 1, 6; BGHR StGB
§ 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 2 und 3). Nach dem
Grundgedanken des § 55 StGB, daß der Verurteilte so
gestellt werden soll, wie er bei gleichzeitiger Aburteilung aller vor
dem zweiten Urteil begangenen Taten stünde (st. Rspr., BGHSt
7, 180; 181; 15, 66, 69; 32, 190, 193), aber auch aus
verfahrensökonomischen Gründen zur Ersparung einer
weiteren Gesamtstrafenbildung im Verfahren nach § 460 StPO ist
es geboten, diese Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung auch
auf die (noch nicht erledigten) Strafen aus dem ersten Urteil des
Amtsgerichtes Magdeburg zu erstrecken. Andernfalls ergäbe sich
eine Entscheidung, die der materiellen Rechtslage nicht
entspräche und die im Wege eines späteren
Beschlußverfahrens nach § 460 StPO wieder korrigiert
werden müßte. Dies erschiene nicht zuletzt
angesichts der gegenüber dem Beschlußverfahren nach
§ 460 StPO weitergehenden Erkenntnismöglichkeiten im
Rahmen einer Hauptverhandlung nicht sachgerecht (vgl. BGHR StGB
§ 55 Abs. 1 Einbeziehung 3).
3. Da die Einzelstrafen aus den beiden Urteilen des Amtsgerichtes
Magdeburg und dem anhängigen Verfahren auf zwei statt, wie
bisher, auf drei Gesamtstrafen zurückzuführen sind,
vermag der Senat nicht auszuschließen, daß der
Angeklagte durch die Nichtbeachtung der Möglichkeit der
Gesamtstrafenbildung beschwert ist.
Einer Aufhebung der dem Gesamtstrafenausspruch zugrundeliegenden
Feststellungen bedarf es nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen
worden sind. Ergänzende Feststellungen, insbesondere zu den in
den Vorverurteilungen verhängten Einzelstrafen, sind
möglich.
4. Sollten zwischenzeitlich die beiden Vorverurteilungen des
Amtsgerichtes Magdeburg im Beschlußverfahren nach §
460 StPO auf zwei neue Gesamtstrafen zurückgeführt
worden sein, wird der neue Tatrichter lediglich die Gesamtstrafe, die
aus den Einzelstrafen des Urteils vom 26. September 2001 betreffend die
Taten aus dem Tatzeitraum vom 20. April bis 10. August 2001 gebildet
worden ist, aufzulösen und diese Einzelstrafen sowie die
Einzelstrafen, die der Angeklagte im vorliegenden Verfahren verwirkt
hat, auf eine neue Gesamtfreiheitsstrafe
zurückzuführen haben. Bei der weiteren Gesamtstrafe,
gebildet aus den Einzelstrafen des Urteils vom 10. April 2001 und den
übrigen Einzelstrafen des Urteils vom 26. September 2001
hätte es dann zu verbleiben.
Tepperwien Kuckein Athing Solin-Stojanovic Sost-Scheible
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