BGH,
Beschl. v. 25.4.2001 - 5 StR 12/01
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 12/01
vom 25. April 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2001
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Chemnitz vom 20. Juli 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht
Dresden zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und Vergewaltigung
unter Einbeziehung einer früher wegen Mordes in Tateinheit mit
Beihilfe
zum Raub und zum räuberischen Angriff auf Kraftfahrer
verhängten lebenslangen
Freiheitsstrafe zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
verurteilt.
Das Vorliegen der besonderen Schwere der Schuld im Sinne von
§§ 57a, 57b StGB hat das Landgericht lediglich in den
Urteilsgründen bejaht,
im Urteilstenor jedoch nicht ausgesprochen.
I.
Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge
Erfolg.
1. Nach den Feststellungen drang der Angeklagte in einem fahrenden
Eisenbahnzug in den Toilettenraum ein, in dem sich die ihm unbekannte
Frau D aufhielt. Er fesselte die Hände der Frau und vollzog den
Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß in die Scheide.
Anschließend
steckte er der Frau seinen Slip „tief in den Mund- und
Rachenraum, bis ihr
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Körper schlaff war. Aus Angst, wegen der Vergewaltigung
angezeigt zu werden,
warf er die leblos wirkende D aus einem Fenster des fahrenden
Zuges, um sie zu töten. D verstarb durch Ersticken.“
2. Diese Feststellungen belegen eine vorsätzliche
Tötung nicht. Das
Opfer starb durch Ersticken, und zwar, wie in der
Beweiswürdigung zusätzlich
ausgeführt wird, „maximal wenige Minuten nach der
Knebelung“. Mit welcher
Vorstellung oder Zielrichtung der Angeklagte die tödliche
Knebelung
vorgenommen hat, ist weder festgestellt noch sonst im Urteil
erörtert. Auch
die objektive Feststellung, daß der Angeklagte die Frau
knebelte, „bis ihr
Körper schlaff war“, kann die Feststellung eines
Tötungsvorsatzes beim tödlichen
Knebeln nicht ersetzen. Ein solcher Vorsatz versteht sich auch nicht
etwa von selbst, zumal da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen
ist, daß der
Angeklagte die Frau knebelte, um sie an Hilferufen beim
nächsten Halt des
Zuges und dem dabei zu erwartenden Personenverkehr vor der Toilette zu
hindern.
Einen Tötungsvorsatz - und ein Tötungsmotiv - des
Angeklagten hat
das Landgericht vielmehr erst für den Zeitpunkt festgestellt,
als der Angeklagte
das „leblos wirkende“ Opfer aus dem Zug warf.
Danach ist die Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte sein Opfer durch
Ersticken
leichtfertig tötete und anschließend an dem
möglicherweise schon gestorbenen
Opfer einen versuchten Mord zur Verdeckung seiner vorangegangenen
Straftaten beging (vgl. aber UA S. 18). Die Rechtsfigur der
unerheblichen
Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf
(vgl. RGSt
67, 258; BGH NJW 1960, 1261; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl.
§ 16 Rdn. 7
m.w.N.) kann hier keine Anwendung finden, weil die erste und
tödliche
Handlung nicht von einem festgestellten Tötungsvorsatz des
Angeklagten
gedeckt war.
3. Der Senat hat erwogen, ob aus Gründen vernünftiger
Verfahrensökonomie
- insbesondere mit Rücksicht auf die Nebenkläger,
deren Interes-
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sen durch das Erfordernis erneuter Verhandlung infolge einer im Blick
auf
das Gewicht der Sache ganz ungewöhnlichen tatrichterlichen
Nachlässigkeit
besonders stark beeinträchtigt werden - eine Durchentscheidung
auf den
nach den bislang getroffenen unzulänglichen Feststellungen
denkbar mildesten
Schuldspruch der Vergewaltigung mit Todesfolge in Tateinheit mit
versuchtem
Mord in Betracht zu ziehen ist; hierfür käme als
Einzelstrafe entweder
erneut lebenslange Freiheitsstrafe (wegen offensichtlicher
Unanwendbarkeit
einer Strafrahmenverschiebung nach § 23 Abs. 2, § 49
Abs. 1 StGB)
in Betracht oder aber (in Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO)
zwar die Verhängung
einer zeitigen Freiheitsstrafe, die dann jedoch ebenfalls nach
§ 55
StGB auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
zurückzuführen
wäre.
So zu verfahren, ist dem Senat indes versagt, da eine
Verfahrensrüge,
mit der die prozeßordnungswidrige Gewinnung der den
Schuldspruch tragenden
Feststellungen durch Verlesung von Protokollen polizeilicher
Beschuldigtenvernehmungen
des Angeklagten beanstandet wird, auf der
Grundlage gefestigter, den Senat bindender Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs
(BGHSt 1, 337, 339; 14, 310, 311; 22, 170, 171; BGHR StPO
§ 254 Abs. 1 - Vernehmung, richterliche 2, 6, insoweit in
BGHSt 42, 15 nicht
abgedruckt; BGH NStZ 1995, 47) Erfolg haben müßte.
Ein Fall insgesamt
derart ungewöhnlich mangelhafter Sachbehandlung durch den
Tatrichter ist
nicht geeignet, eine Modifizierung jener Rechtsprechung (etwa im Sinne
der
vom Landgericht weitgehend wörtlich - jedoch ohne Zitierung -
übernommenen
Mindermeinung von Bohlander NStZ 1998, 396) in einem Anfrageverfahren
zur Überprüfung zu stellen. Es bestünde hier
letztlich auch keine tragfähige
Grundlage, eine Verwirkung jener Verfahrensrüge in Betracht zu
ziehen.
Mithin muß es bei der Aufhebung des Urteils auf die
Sachrüge sein
Bewenden haben. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch,
die Sache
an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.
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II.
Für die neue Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
1. Der neue Tatrichter wird - gemäß der genannten
Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs statt einer im Einverständnis aller
Prozeßbeteiligten
erfolgten Verlesung der Protokolle der polizeilichen
Beschuldigtenvernehmungen
des Angeklagten, wie sie vor dem Landgericht Chemnitz stattgefunden
hat - die Vernehmungsbeamten zu hören haben. Dabei werden den
Beamten
erforderlichenfalls die genannten Protokolle vorzuhalten sein.
Vorsorglich
weist der Senat darauf hin, daß in das - im übrigen
sehr knappe -
amtsrichterliche Protokoll vom 5. Januar 2000 polizeiliche Protokolle
nicht
etwa in der Weise inkorporiert sind, daß auch letztere nach
§ 254 StPO verlesen
werden dürften (vgl. BGHR StPO § 254 Abs. 1 -
Vernehmung, richterliche
1, 2, 6).
2. Im Falle der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe
gemäß § 55
StGB sind die Feststellungen des früheren Urteils zur Tat in
der Weise mitzuteilen,
daß ein in den relevanten Punkten deutliches Bild der Tat
entsteht.
3. Da das Landgericht es verabsäumt hat, die in den
Urteilsgründen
angenommene besondere Schwere der Schuld im Urteilstenor auszusprechen,
und die Staatsanwaltschaft eine Revision nicht eingelegt hat,
muß es
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im Fall der erneuten Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe
bei der Nichtfeststellung
besonderer Schwere der Schuld verbleiben (BGHSt 39, 121;
BGH NStZ 2000, 194).
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