BGH,
Beschl. v. 25.6.2009 - 5 StR 174/09
5 StR 174/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 25. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Juni 2009
beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Chemnitz vom 12. Dezember 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Höhe der
Jugendstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die
weitergehende Revision wird gemäß § 349
Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die durch ihr Rechtsmittel
entstandenen Kosten und Auslagen aufzuerlegen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer
Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die
Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts
gestützten Revision, die nur hinsichtlich der Höhe
der festgesetzten Jugendstrafe Erfolg hat und im Übrigen aus
den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO ist.
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1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Die 1990 geborene Angeklagte wuchs in geordneten familiären
Verhältnissen auf. Bereits in der dritten Klasse zeigte sie in
der Schule solche Verhaltensauffälligkeiten, dass die normal
intelligente Angeklagte auf eine „Schule für
Erziehungshilfe“ wechseln musste. Auch der familiäre
Umgang mit ihr wurde ab dem Alter von elf Jahren zunehmend schwerer,
sie stahl, beschimpfte ihre Mutter und trank viel Alkohol. Die zum
Herbst 2003 erfolgte Umsetzung auf eine Regelmittelschule misslang, da
es durch das Verhalten der Angeklagten zu Konflikten mit den Lehrern
kam. Deshalb wechselte sie im folgenden Jahr erneut die Schule, wurde
dieser aber wenige Wochen später verwiesen. Auch aus der
nächsten Schule wurde sie aus disziplinarischen
Gründen entlassen. Innerhalb der Familie nahmen die Spannungen
ebenfalls zu. Wegen selbstverletzender Handlungen befand sich die
Angeklagte 2004 und 2005 mehrmals in stationärer
psychiatrischer Behandlung, im September 2004 zog sie in eine
Jugendhilfeeinrichtung. Innerhalb eines besonders pädagogisch
geförderten Schulprojekts gelang es ihr schließlich,
die neunte Klasse zu absolvieren. Fördermaßnahmen
zur beruflichen Eingliederung scheiterten hingegen. Im März
2007 zog die Angeklagte wieder bei ihren Eltern ein, da sie dem
erzieherischen Einfluss in der Jugendhilfeeinrichtung nicht mehr
zugänglich war. Im Frühjahr 2007 ging sie eine
Liebesbeziehung zu einem sieben Jahre älteren Mann ein. Diesem
gegenüber gab sie wahrheitswidrig an, sie nehme die
Antibabypille. Nachdem die Angeklagte zu ihrem Freund gezogen war,
scheiterte die Beziehung nach nur zwei Wochen an der Unwilligkeit der
Angeklagten, im Haushalt Aufgaben zu übernehmen.
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Zu Beginn des Jahres 2008 bemerkte die Angeklagte bei sich eine
Schwangerschaft, die sie jedoch nicht „wahr haben“
wollte. Sie versuchte, die Schwangerschaft vor ihrer Umwelt zu
verbergen, Nachfragen aufgrund figürlicher
Veränderungen wich sie aus. Am Morgen des 19. April 2008
setzten bei ihr Unterleibskrämpfe und Erbrechen ein. Sie zog
sich in ihr Zimmer im elterlichen Wohnhaus zurück, wo in den
Nachmittagsstunden eine Ge-
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burtstagsfeier stattfand. Den sie in ihrem Zimmer besuchenden
Geburtstagsgästen, darunter auch die ihr Vertrauen
genießende Großmutter, offenbarte sie sich nicht.
Als sie schließlich in den Abendstunden bemerkte, dass die
Geburt unmittelbar bevorstand, ging sie in das Badezimmer. Dort brachte
sie in der Badewanne einen gesunden Jungen zur Welt. Die Angeklagte
versetzte ihm mittels stumpfer Gewalt zahlreiche Verletzungen an Kopf,
insbesondere Gesicht und Hals, Armen, Rücken sowie am
äußeren Genitale. Sodann versperrte sie dem Kind
Mund und Nase, so dass es keine Luft mehr bekam und nach wenigen
Minuten erstickte. Anschließend spülte die
Angeklagte die Badewanne aus, wickelte das tote Kind samt Nachgeburt in
Handtücher und legte es in die sogenannte Gelbe Tonne.
Später wurde es auf dem Sortierband gefunden.
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2. Die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit
hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
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Das sachverständig beratene Landgericht hat bei der
Angeklagten „psychiatrisch relevante Symptome“ und
das Vorliegen einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens
und der Emotionen festgestellt. Die Voraussetzungen des § 21
StGB hat es vor allem unter dem Gesichtspunkt einer tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung aufgrund eines Affekts geprüft
und verneint, da die Angeklagte nicht aus einer
„Konfliktlage“ heraus gehandelt habe, sondern keine
„emotionale Beziehung zu dem ungeborenen Kind
entwickelt“, es nur als Belastung empfunden habe. Das
Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne
des § 20 StGB hat das Landgericht abgelehnt, da die
diagnostizierte Störung „nach dem
Gutachten“ nicht hierunter falle.
Diese Bewertung entbehrt einer nachvollziehbaren und damit
revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglichen
Begründung. Zwar führt allein die psychische
Ausnahmesituation einer Mutter, die ihr Kind in oder gleich nach der
Geburt tötet, nicht zur Annahme der Voraussetzungen des
§ 21 StGB
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(BGH, Urteil vom 23. April 2009 - 3 StR 100/09). Angesichts der
zahlreichen Auffälligkeiten im bisherigen Werdegang der zur
Tatzeit 17 Jahre alten Angeklagten, die weder im privaten noch im
schulischen Bereich ihren Möglichkeiten gerecht werden konnte
und hierunter litt, liegt aber eine unabhängig hiervon
bestehende geistig-seelische Beeinträchtigung nicht fern. Dies
hätte eine eingehende Prüfung und
Erörterung, ob bei der Angeklagten - trotz ihres jungen Alters
- eine andere schwere seelische Abartigkeit vorliegt, erforderlich
gemacht. Allein der nicht weiter begründete Hinweis darauf,
dass die diagnostizierte Störung die Voraussetzungen
hierfür nicht erfülle, genügt nicht. So
fehlt es bereits an der erforderlichen Gesamtschau der
Persönlichkeit der Angeklagten und ihrer Entwicklung (vgl.
BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 4, 9, 16, 24, 29; BGH
NStZ 2007, 518). Vor allem aber lassen die Erwägungen eine
Auseinandersetzung mit dem ungewöhnlichen Tatbild vermissen.
Dieses ist durch die zahlreichen, nicht im unmittelbaren Zusammenhang
mit der Tötungshandlung stehenden Verletzungshandlungen, auch
gegen das Geschlechtsteil des neugeborenen Kindes, geprägt.
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Die Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der
Prüfung eines Affekts sind nicht geeignet, eine erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit grundsätzlich
auszuschließen. So ist die Wertung, die Angeklagte habe nach
der Tat durch „vernünftige Handlungen“
gezeigt, dass ihre Steuerungsfähigkeit
unbeeinträchtigt gewesen sei, für sich nicht
tragfähig. Denn jedenfalls angesichts der auf sichere
Entdeckung hinauslaufenden Entsorgung der Leiche fehlt es an den
für diesen Schluss hinreichenden Anzeichen (vgl. zur Bedeutung
planvollen und gezielten Tatverhaltens BGH NStZ 2002, 476; NStZ-RR
2002, 230).
3. Der Senat kann zwar eine Aufhebung der Schuldfähigkeit
sicher ausschließen, nicht hingegen, dass die Jugendstrafe,
deren Verhängung wegen Schwere der Schuld außer
Frage steht (§ 17 Abs. 2 JGG), milder ausgefallen
wäre. Er hat daher das Urteil nur hinsichtlich der
Höhe der Jugendstra-
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fe aufgehoben. Angesichts der Bestätigung des Schuldspruchs
kann der Senat trotz der Zurückverweisung der Hauptsache die
auf § 74 JGG gestützte Kostenentscheidung bereits
jetzt treffen. Das neue Tatgericht wird moralisierende Wertungen im
Rahmen der Strafzumessung zu vermeiden haben.
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