Darstellung der BGH-Rechtsprechung zum Strafrecht ::     
 LINKWEG ::: inhalt / entscheidungen
 
BGH, Beschluss vom 25. September 2003 - 4 StR 316/03


Entscheidungstext  
 
BGH, Beschl. v. 25.9.2003 - 4 StR 316/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 316/03
vom
25.09.2003
in dem Sicherungsverfahren
gegen
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25.09.2003 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des
Landgerichts Rostock vom 28. April 2003 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten
in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen einer im Zustand der
zumindest verminderten Schuldfähigkeit begangenen Körperverletzung und
Bedrohung (§§ 223 Abs. 1, 241 Abs.1, 52, 21 StGB) angeordnet. Die mit der
Sachrüge begründete Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer suchte der seit einigen
Monaten depressiv gestimmte Beschuldigte aufgrund eines tags zuvor gefaßten
Tatplans seine Bekannte J. auf, um sie mit einem Beil zu töten, da er
sich in sie verliebt hatte und sie, die seine Gefühle nicht erwiderte, „in wahnhafter
Verkennung der Realität für seinen Zustand verantwortlich machte“
(UA 6). Nachdem er sie mit den Worten „Na du Schlampe, hast du Lust zu
sterben?“ angesprochen und ihr mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte,
- 3 -
ging er mit erhobenem Beil auf sie zu, woraufhin sie in Todesangst flüchtete.
Der Beschuldigte folgte ihr noch kurz, gab jedoch sein Vorhaben auf, da er dies
„doch nicht übers Herz bracht(e)“ (UA 9).
Das Landgericht ist - sachverständig beraten - davon ausgegangen,
daß beim Beschuldigten eine überdauernde Persönlichkeitsstörung vom schizoid-
antisozialen Typ als schwere andere seelische Abartigkeit und zudem im
Tatzeitraum eine hierauf gründende wahnhaftdepressive Psychose (UA 14) in
der Form eines „sensitiven Beziehungswahns“ (UA 12) als krankhafte seelische
Störung bestand. Davon ausgehend, hat die Strafkammer - auch darin dem
Sachverständigen folgend - gemeint, daß durch das Zusammenwirken beider
geistig-seelischen Störungen „die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten in das
Unrecht seines Handelns möglicherweise aufgehoben“, zumindest aber erheblich
vermindert gewesen sei (UA 13, ebenso UA 8).
2. Damit sind die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB unbeschadet der Gefährlichkeitsprognose
durch das Landgericht nicht hinreichend belegt. Die Anordnung
nach § 63 StGB setzt die positive Feststellung eines länger andauernden
geistig-seelischen Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Verminderung
der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.;
BGHSt 34, 22, 26 f.). Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Es hat
jedoch nicht bedacht, daß nach ständiger Rechtsprechung eine lediglich verminderte
Einsichtsfähigkeit strafrechtlich erst dann von Bedeutung ist, wenn sie
das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. nur BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit
6; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 21 Rdn. 3 m.w.N.). Der Täter, der
trotz generell verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in
- 4 -
das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit
erheblich vermindert ist - voll schuldfähig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 25 f.).
Fehlt dagegen bei der Tat die Unrechtseinsicht infolge generell verminderter
Einsichtsfähigkeit, so ist für § 21 StGB nur Raum, wenn dies dem Täter vorzuwerfen
ist; ohne Schuld (§ 20 StGB) handelt der Täter unter diesen Umständen
nur dann, wenn ihm das Fehlen der Unrechtseinsicht nicht vorzuwerfen ist (st.
Rspr.; BGHSt 40, 341, 349; 42, 385, 389; BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit
2, 3; § 21 Einsichtsfähigkeit 1 bis 5; § 63 Tat 4). Hiermit hat sich die Strafkammer
nicht auseinandergesetzt.
Ob hiernach die Strafkammer die Anwendung des § 21 StGB zu Recht
bejaht hat, kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen
werden, weil sich das Urteil nur zur Einsichts-, nicht aber auch zur
Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten verhält. Der Senat vermag dem Urteil
auch nicht zu entnehmen, daß sich das Landgericht lediglich im Ausdruck vergriffen
und die Steuerungsfähigkeit als zumindest erheblich vermindert angesehen
hat. Dagegen spricht nicht nur die wiederholte Bezugnahme auf die Fähigkeit
zur Unrechtseinsicht, sondern auch der Zusammenhang mit der vom
Landgericht mit dem Sachverständigen in den Vordergrund gestellten Wahnproblematik,
die in erster Linie die Einsichtsfähigkeit berührt, während das
Landgericht die vor allem die Steuerungsfähigkeit berührende alkoholische
Beeinträchtigung beim Beschuldigten gerade als „nicht ... wesentlich“ (UA 13)
angesehen hat.
Eine nicht ausschließbar lediglich erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit
bei der Tat genügt aber - wie dargelegt - für die sichere Annahme von
§ 21 StGB nicht und ebensowenig für eine Anordnung nach § 63 StGB (vgl.
BGH NStZ-RR 1999, 207). Anders verhielte es sich, wenn sich das Landgericht
- 5 -
von einem vollständigen Fehlen der Unrechtseinsicht überzeugt hätte. Das ist
indes entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht der Fall. Gegen
eine fehlende Unrechtseinsicht bei der Tat sprechen hier zudem auch die
Umstände, die das Landgericht zutreffend als freiwilligen Rücktritt vom Totschlagsversuch
gewertet hat. Über die Maßregelanordnung ist deshalb neu zu
entscheiden.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß
die Schuldfähigkeitsbeurteilung durch den neuen Tatrichter - tunlichst unter
Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen - eingehenderer Prüfung als
bisher bedarf. Insbesondere wird sich der neue Tatrichter um eine eindeutige
Zuordnung des Zustands des Beschuldigten zu den Eingangsmerkmalen des
§ 20 StGB zu bemühen haben. Eine nähere Darlegung war hier schon deshalb
geboten, weil depressive wie auch wahnhafte Elemente einer Persönlichkeitsstörung
anhaften können, ohne zugleich eine krankhafte seelische Störung
i.S.d. §§ 20, 21 StGB zu begründen (vgl. BGHR § 20 Seelische Abartigkeit 2
und 3 m.w.N. und mit Anm. Winckler/Foerster NStZ 1998, 297 und Blau JR
1998, 207; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 38 f.; ferner aus psychiatrischer
Sicht: Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl., S. 122; Venzlaff in Venzlaff/
Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl., S. 116 f., 128 f., 130). Zudem
sind die Grundlagen für die Annahme einer rechtlich erheblichen tatauslösenden
Wahnstörung beim Beschuldigten (vgl. zum Liebes- oder sensitiven
Beziehungswahn Marneros MschrKrim 1997, 300 ff. und Tölle, Psychiatrie,
11. Aufl., S. 172 f., 180, 182 f.) nicht ausreichend dargetan. Insoweit ist insbesondere
nicht ersichtlich, inwieweit das objektive Verhalten der Geschädigten
vom Beschuldigten im Rahmen ihrer Beziehung falsch wahrgenommen wurde.
Vielmehr empfand er ihre - richtig erkannte - Ablehnung als „Demütigung“ und
- 6 -
ungerechtfertigte Behandlung und machte sie daher für seinen unglücklichen
Zustand verantwortlich (UA 6). Hinsichtlich der von der Strafkammer weiter angenommenen
Persönlichkeitsstörung vom schizoidantisozialen Typ bedarf es
einer erkennbaren Abgrenzung gegenüber solchen Eigenschaften und Verhaltensweisen,
die sich noch innerhalb der Bandbreite menschlichen Verhaltens
bewegen und Ursache für strafbares Tun sein können, ohne daß sie die
Schuldfähigkeit „erheblich“ im Sinne des § 21 StGB berühren (vgl. BGHSt 42,
385, 388; BGHR StGB § 21 Psychose 1, Seelische Abartigkeit 25, 35, 36; § 63
Zustand 26, 29, 34; BGH, Beschl. v. 20. Mai 2003 - 4 StR 174/03). Sofern die
neue Hauptverhandlung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 StGB
nicht schon - wie bisher angenommen - allein aufgrund einer überdauernden
geistig-seelischen Störung des Beschuldigten ergibt, wird der neue Tatrichter
die Frage einer Maßregelanordnung (§§ 63, 64 StGB) schließlich auch mit
Blick auf die nicht unerhebliche Alkoholisierung des Beschuldigten zur Tatzeit
und seinen mehrjährigen, bereits früher mit Körperverletzungsdelikten in Verbindung
stehenden Alkoholmißbrauch zu prüfen haben (vgl. BGHSt 44, 338 ff.;
369 ff.; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 18, Konkurrenzen 1, Tat 5; § 64 Zusammenhang,
symptomatischer 1, 2; § 21 Blutalkoholkonzentration 27; BGH
NStZ-RR 1997, 231 f.; BGH, Beschl. v. 16. Juli 2002 - 4 StR 179/02).
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible ist urlaubsbedingt
verhindert zu unterschreiben.
Maatz



:: freigabestatus allgemein    
             © 2010 - 2017 Peter Wiete • E-Mail:  info@wiete-strafrecht.de