BGH,
Beschl. v. 26.4.2000 - 3 StR 138/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 138/00
vom
26. April 2000
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 26. April 2000 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 3. November 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dieser
Maßregelanordnung liegen acht, teils vollendete, teils nur
versuchte Brandstiftungen (§ 308 StGB a.F., § 306
Abs. 1 Nr. 1 StGB n.F.) zugrunde. Das Landgericht ist dem
Sachverständigen folgend davon ausgegangen, daß der
Beschuldigte bei der Begehung der Taten aufgrund der bei "ihm
vorliegenden Minderbegabung vom Grade der Debilität (Synonym
ICD-10F70: leichte Intelligenzminderung in Verbindung mit phasenweisem
exzessiven Alkoholkonsum) in seiner Fähigkeit, das Unrecht
seines Tuns einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich
eingeschränkt war bzw. es nicht auszuschließen ist,
daß sie sogar ganz aufgehoben war".
Die Revision des Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg, so
daß es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht
bedarf.
1. Zur Begründung der Unterbringungsanordnung und zu den
Voraussetzungen des § 21 StGB bzw. des nicht
ausschließbaren § 20 StGB hat das Landgericht
ausgeführt, der Sachverständige habe bei dem
Beschuldigten zum Zeitpunkt der Aufnahme in das
Niedersächsische Landeskrankenhaus Wehnen einen um das
Doppelte des Normalen erhöhten Blutwertes CDT festgestellt,
was als Hinweis auf chronischen Alkoholkonsum gelte. Die darauf
folgende psychologische Begutachtung habe ergeben, daß bei
dem Beschuldigten eine deutliche Minderbegabung vom Grade der
Debilität (Synonym ICD-10F70: leichte Intelligenzminderung)
vorliege. Außerdem bagatellisiere der Beschuldigte sein
Trinkverhalten. Die Minderbegabung führe bei ihm im
Zusammenwirken mit einer Alkoholisierung mit Sicherheit zu einer
Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von §
21 StGB (Merkmal "Schwachsinn" in Verbindung mit "krankhafte seelische
Störung"), wobei bei Blutalkoholwerten von über 2 %
die Voraussetzungen des § 20 StGB zumindest nicht sicher
ausgeschlossen werden könnten. Die Unterbringung des
Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63
StGB hat das Landgericht angeordnet, weil der Sachverständige
eine Maßregel nach § 64 StGB aufgrund der niedrigen
Intelligenz des Beschuldigten für von vorneherein aussichtslos
halte und die nicht vorhandene Einsicht in sein problematisches
Trinkverhalten im Zusammenhang mit seiner niedrigen Intelligenz die
verminderte Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten und zugleich
die Gefahr begründe, der Beschuldigte werde auch in Zukunft
wahllos Brandstiftungen begehen.
2. Diese Begründung der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung
nicht stand.
Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt:
"Damit sind die Voraussetzungen des § 63 StGB indessen nicht
dargetan. Die genannte Bestimmung ist vielmehr nur dann
einschlägig, wenn u.a. der Ausschluss oder die erhebliche
Verminderung der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21
StGB) auf einem länger andauernden psychischen Defekt des
Täters beruht. Hat letztlich der Genuss von Alkohol seine
Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat(en) aufgehoben oder
erheblich vermindert, so ist für die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes grundsätzlich nur Raum, wenn der
Täter an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder in
krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist (vgl. u.a. BGHR
StGB § 63 Zustand 18 m.w.N.; BGHSt 34, 313 ff.). Da im
vorliegenden Fall weder eine krankhafte
Alkoholüberempfindlichkeit noch eine krankhafte Alkoholsucht
festgestellt sind, hätte die Unterbringungsanordnung auf ein
Zusammenwirken der Minderbegabung mit dem Alkoholkonsum allenfalls dann
gestützt werden dürfen, wenn die beim Beschuldigten
diagnostizierte Debilität als geistig-seelische
Störung zur Folge hätte, dass ´bereits
geringer Alkoholgenuss oder andere alltägliche Ereignisse die
akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit
auslösen können und dies getan haben´ (BGH
NJW 1999, 3422). Solches belegende Feststellungen sind der
angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen, so dass diese keinen
Bestand haben kann."
Dem tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend:
a) Das Landgericht hat weder die konkreten Befunde des
Sachverständigen mitgeteilt, auf die dieser die Bewertung des
Zustandes des Beschuldigten als Minderbegabung vom Grade der
Debilität gestützt hat, noch treffen die Berechnungen
zu den Tatzeitblutalkoholwerten, soweit sie mitgeteilt sind, zu. Denn
das Landgericht oder der Sachverständige oder beide haben
unzutreffend mit einem stündlichen Abbauwert von 0,1 %
zurückgerechnet statt, wie die Rechtsprechung seit langem bei
vorhandenen Blutproben fordert, mit einem stündlichen
Abbauwert von 0,2 % zuzüglich eines einmaligen
Sicherheitszuschlags von 0,2 % (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 49.
Aufl. § 20 Rdn. 9 f. m.w.Nachw.). Danach kann der Senat nicht
mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, daß
der Sachverständige und ihm folgend das Landgericht insgesamt
von unzutreffenden Voraussetzungen bei der Begutachtung des
Beschuldigten ausgegangen ist und dessen Zustand und Voraussetzungen
der Unterbringung nach § 63 StGB rechtlich und
tatsächlich unzutreffend beurteilt hat (vgl. dazu u.a. BGHR
StGB § 63 Konkurrenzen 1, Zustand 17 und 30).
b) Als rechtlich bedenklich erscheint es auch, die Unterbringung nach
§ 63 StGB alleine - ohne nähere Erläuterung
des geistig/psychischen Defekts des Beschuldigten und dessen
Auswirkungen auf das Suchtverhalten - damit zu begründen,
daß eine Unterbringung nach § 64 StGB, dessen
Voraussetzungen an sich vorliegen, aufgrund der niedrigen Intelligenz
des Beschuldigten von vorneherein aussichtslos erscheine. Zwar
können die Voraussetzungen der Unterbringung sowohl nach
§ 64 StGB als auch nach § 63 StGB nebeneinander
gegeben sein, dann ist aber nach dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
zunächst die den Beschuldigten weniger beschwerende
Unterbringung zu wählen (vgl. Hanack in LK 11. Aufl.
§ 72 Rdn. 21 m.w.Nachw.).
c) Der Senat hat über den Antrag des Generalbundesanwalts
hinausgehend insgesamt davon abgesehen, Feststellungen zu den Taten
aufrechtzuerhalten, denn über die Bedenken des
Generalbundesanwalts gegen die Beweiswürdigung des
Landgerichts hinaus, denen sich der Senat nicht verschließen
kann, hat das Landgericht in keinem einzigen Fall Feststellungen zur
Motivation des Beschuldigten, zu seinem Vorsatz und zu seinen
Vorstellungen von den Folgen der einzelnen Brandlegungen und
Zündeleien getroffen, ferner ist im Fall 8 der
Urteilsgründe die rechtliche Wertung (Vollendung oder Versuch)
offen geblieben und im Fall 5 (Vollendung), soweit dies den
Urteilsgründen entnommen werden kann, unzutreffend.
Kutzer Rissing-van Saan Miebach
Winkler RiBGH Pfister befindet sich in
Urlaub und kann daher nicht
unterschreiben.
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