BGH,
Beschl. v. 26.4.2001 - 4 StR 538/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 538/00
vom
26. April 2001
in dem Sicherungsverfahren
gegen
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. April 2001
gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des
Landgerichts Zweibrücken vom 16. August 2000 mit den
Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen
zu den rechtswidrigen Taten bestehen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des
Beschuldigten
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner
hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Beschuldigte das
Verfahren
und rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel ist zulässig erhoben. Entgegen der vom
Generalbundesanwalt
in seiner Antragsschrift vertretenen Ansicht entspricht die
Revisionsbegründungsschrift
den Erfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO. Es besteht
kein Zweifel, daß der Verteidiger die vorbehaltslose
Verantwortung für deren
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Inhalt übernommen hat; der vor der Unterschrift des
Verteidigers - überflüssigerweise
- eingefügte Zusatz "Für Herrn I. " steht dem nicht
entgegen.
Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung
des Maßregelausspruchs.
Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem
psychiatrischen
Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Zwar hat das Landgericht
die von dem Beschuldigten im Jahre 1998 begangenen Taten auf der
Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen zutreffend
jeweils als sexuellen
Mißbrauch eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB), in einem
Fall tateinheitlich
begangen mit sexueller Nötigung (§ 178 Abs. 1 StGB
a.F.), gewertet: Der
Angeklagte hatte jeweils ein damals 12jähriges
Mädchen oberhalb der Kleidung
an der Brust berührt, ihm in zwei Fällen die
Oberschenkel gestreichelt
und ihm einmal über der Hose an das Geschlechtsteil gegriffen,
was das Kind
als schmerzhaft empfand; bei dem ersten Übergriff hatte er die
Abwehrbemühungen
des Mädchens dadurch unterbunden, daß er es am
Gesäß anfaßte und
an sich zog (UA 4).
Auch begegnet das Urteil keinen rechtlichen Bedenken, soweit die
sachverständig beratene Strafkammer davon ausgegangen ist,
daß der zur
Tatzeit 75 Jahre alte Beschuldigte dabei ohne Schuld gehandelt hat, da
bei
ihm "ein hirnorganisches Psychosyndrom im Sinne einer organischen
Wesensänderung
mit kognitiv-mnestischen Beeinträchtigungen im Sinne einer
krankhaften seelischen Störung nach § 20 StGB
vorliegt, durch die es dem Beschuldigten
nicht möglich ist, das Unrecht seiner Handlungsweisen kritisch
zu
überprüfen und einzusehen" (UA 10).
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Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben,
weil
das Vorliegen der in § 63 StGB vorausgesetzten
Gefährlichkeitsprognose
zweifelhaft ist. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
ist
eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb
darf sie nur angeordnet
werden, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der
Betroffene infolge
seines fortdauernden Zustandes künftig erhebliche
rechtswidrige Taten begehen
werde.
Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Es stützt sich
insoweit
auf die Ausführungen des psychiatrischen
Sachverständigen, denen zufolge
wegen des beim Beschuldigten vorliegenden hirnorganischen
Psychosyndroms,
das eine Dauerstörung mit progredientem Verlauf darstelle, das
Risiko
hoch erscheine, daß "zumindest ähnliche, wie die ihm
zur Last gelegten Taten
wieder begangen werden können, wenn sich vergleichbare
Situationen ergeben"
(UA 12).
Dies reicht zur Rechtfertigung der Unterbringung hier nicht aus. Die
Frage
nach der Erheblichkeit künftig zu erwartender rechtswidriger
Taten kann
nicht allein nach den verletzten gesetzlichen
Straftatbeständen beantwortet
werden. Zwar gehört der sexuelle Mißbrauch eines
Kindes grundsätzlich zu
den gewichtigeren Straftaten, jedoch ist auch hierbei - gerade in
Anbetracht der
breiten Skala tatbestandsmäßiger Handlungsweisen des
§ 176 StGB - die Art
der zu erwartenden Tatbestandsverwirklichung zu
berücksichtigen (vgl. BGH
NStZ 1995, 228; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 25).
Dabei ist auf den Einzelfall
abzustellen (BGH bei Holtz MDR 1994, 433).
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Zu werten war hier, daß die Anlaßtaten von ihrem
strafrechtlichen Gewicht
nicht allzu schwerwiegend erscheinen, da es jeweils nur zu
Berührungen
des Kindes oberhalb der Kleidung gekommen ist und der Beschuldigte
lediglich
einmal das Mädchen an sich gedrückt hat. Weiterhin
hätte das Landgericht in
seine Überlegungen einbeziehen müssen, daß
sich die Anlaßtaten in ihrer Intensität
deutlich von der den Gegenstand der einschlägigen
Vorverurteilung
bildenden Tat aus dem Jahre 1984 (UA 3) unterscheiden. Vor allem aber
ist die
Prognoseentscheidung deswegen rechtlich zu beanstanden, weil das
Landgericht
die weitere Entwicklung des auf freiem Fuß befindlichen,
nunmehr
78 Jahre alten Beschuldigten seit der letzten
verfahrensgegenständlichen Tat
(Juli 1998) dabei nicht erkennbar berücksichtigt hat. Sollte
der Beschuldigte
seither trotz bestehender und sogar fortschreitender Erkrankung keine
weiteren
Straftaten begangen haben, könnte dies ein gewichtiges Indiz
gegen die
Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten
sein (BGHR StGB § 63
Gefährlichkeit 27).
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Die Frage der Notwendigkeit einer Unterbringung des Beschuldigten in
einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung.
Die zu den
rechtswidrigen Taten des Beschuldigten getroffenen Feststellungen werden
von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie
können deshalb bestehen
bleiben.
Meyer-Goßner Kuckein Athing
Solin-Stojanovic Ernemann |