BGH,
Beschl. v. 26.8.2004 - 4 StR 155/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 85/03
4 StR
175/03
vom
26. August 2004
in den Strafsachen
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. Betruges
zu 2. schwerer räuberischer Erpr essung
zu 3. unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht
geringer Menge u.a.
hier: Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen
gemäß § 132 Abs. 2, 4
GVG
- 2 -
Der 4. Strafsenat des
Bundesgerichtshofs hat am 26.
August 2004 beschlos-
sen:
Dem Großen Senat für Strafsachen
wir d gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG
folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Ergibt sich die charakterliche Ungeeignetheit zum
Führen von
Kraftfahrzeugen nur dann aus
der Tat (§ 69 Abs. 1
Satz 1
StGB), wenn aus dieser
konkrete Anhaltspunkte
dafür zu er-
kennen sind, daß der
Täter bereit ist, die
Sicherheit des Stra-
ßenverkehrs seinen eigenen
kriminellen Interessen unterzu-
ordnen - ist somit
ein spezifischer Zusammenhang zwischen
Anlaßtat und Verkehrssicherheit er forderlich ?
Gründe:
I.
Beim 4. Strafsenat sind drei
- zur Durchführung des
Verfahrens nach
§ 132 GVG verbundene -
Revisionsverfahren anhängig, in
denen den revisi-
onsführenden Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen worden
ist. In allen Fäl-
len hatte der Generalbundesanwalt beantragt, die jeweilige Revision
durch Be-
schluß gemäß § 349 Abs. 2 und 4
StPO mit der Maßgabe als unbegründet zu
verwerfen, daß der Maßregelausspruch
entfällt; denn in den - im übr igen nicht
zu beanstandenden - Ur teilen sei die Entziehung
der Fahrerlaubnis rechtsfeh-
lerhaft erfolgt, weil es
an dem erforder lichen "verkehr
sspezifischen Zusam-
menhang" zwischen den abgeurteilten Straftaten und dem
Führen des bei den
Taten eingesetzten Kraftfahrzeugs fehle. Dem liegt folgendes zugrunde:
- 3 -
1. In dem Verfahren 4 StR 85/03 hat das Landgericht
Essen den Ange-
klagten A. am 10. Oktober 2002
u.a. wegen Betruges in 75 Fällen unter Ein-
beziehung der Einzelstrafen aus einer r
echtskräftigen Vorver urteilung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier
Jahren verurteilt, ihm die
Fahrerlaubnis entzo-
gen, seinen Führerschein
eingezogen und eine Sperre
für die Neuerteilung
einer Fahrerlaubnis von zwei
Jahren angeordnet. Nach den
Feststellungen
setzte der Angeklagte ungültige
Kreditkarten zu betrügerischen
Einkäufen ein,
wobei er in den meisten Fällen mit einem Kraftfahrzeug zu
Tankstellen fuhr und
ein Mittäter eine gesperrte Kreditkarte
zur Betankung des Fahr zeugs und zum
Kauf von Waren vorlegte.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis begründet das
Landgericht wie folgt:
"Daneben [neben der
Gesamtstrafe] war zu
berücksichtigen,
dass der Angeklagte seinen Pkw bzw. Mietwagen zur Ausfüh-
rung der Taten verwendet hat, indem er mit dem
Pkw zu den
Tatorten fuhr. Damit hat sich der
Angeklagte als zum Führen
von Kraftfahrzeugen charakterlich
ungeeignet erwiesen. Die
Kammer hält es
insofern für angemessen,
dem Angeklagten
den Führerschein zu
entziehen und eine Sperrfrist
von zwei
Jahren zu verhängen."
Zu der - einschlägigen - Vor verurteilung, deren
Einzelstrafen in das an-
gefochtene Ur teil einbezogen
wurden, teilt das Landgericht
mit, daß sich der
Angeklagte in einem Fall von dem damaligen
Mittäter zu einer Tankstelle fah-
ren ließ und mit der
(gesperrten) Kreditkar te Telefonkarten kaufen
wollte. Als
die Karte auf ihre Gültigkeit überprüft wer
den sollte, flüchtete der Angeklagte in
den Pkw des Mittäters,
der sodann "mit Vollgas"
davonfuhr. Das "Fluchtfahr-
zeug" wurde nach Einleitung
einer Nahbereichsfahndung von
einem Polizei-
fahrzeug gestellt.
- 4 -
2. Im Verfahren 4 StR 155/03 hat das Landgericht Essen den Angeklag-
ten C. am
16. Dezember 2002 wegen schwerer räuberischer
Erpressung zu
einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis
entzogen,
seinen Führer schein eingezogen
und die Verwaltungsbehörde
angewiesen,
dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu
ertei-
len. Nach den Feststellungen fuhr der Angeklagte gegen 4.00
Uhr morgens mit
seinem Pkw zum Haus einer Tierärztin, um diese mit einem
Mittäter zu überfal-
len und aus dem Haus
wertvolle afrikanische Skulpturen
zu erbeuten. Er be-
drohte die Ärztin mit
einem geladenen Revolver,
ließ sich Bargeld
aushändi-
gen, entwendete Schmuck und
stellte mehrere afrikanische
Figuren zum Ab-
transport bereit. Nachdem er
die Geschädigte gefesselt
hatte, packte er die
Figuren in eine Sporttasche und begab sich zu seinem Pkw, wobei ihm der
Mit-
täter beim Abtransport
der Beute half. Sodann
fuhr er mit dieser
zu seiner
Wohnung.
Zum Entzug der Fahrerlaubnis
findet sich im Urteil
folgende Begrün-
dung:
"Dem Angeklagten C.
war gem. §§ 69, 69 a StGB - wie ge-
schehen - die Fahrerlaubnis
zu entziehen. Er ist
mit seinem
Fahr zeug zum Tatort gefahren und hat es damit zur Tatbege-
hung benutzt. Damit hat er
sich zum Führen von Fahrzeugen
als ungeeignet erwiesen, so dass ihm entspr echend die Fahr-
erlaubnis zu entziehen war ."
3. In dem dritten Verfahr en (4 StR 175/03) hat das Landgericht Detmold
den Angeklagten
O.
am 20. November 2002 u.a.
wegen unerlaubten
Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge zu einer Ge-
samtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren und neun Monaten
verurteilt, ihm die
- 5 -
Fahrerlaubnis entzogen, seinen
Führerschein eingezogen und
angeordnet,
daß die Verwaltungsbehörde ihm vor Ablauf eines
Jahres keine neue Fahrer-
laubnis erteilen darf. Nach
den Feststellungen er warb der
Angeklagte zum
Handeltreiben und Eigenverbrauch
in 16 Fällen insgesamt
ca. 13 kg Ha-
schisch, wobei er für die einzelnen Beschaffungsfahrten seinen
Pkw benutzte.
Nach Empfang der letzten
Lieferung wurde der Angeklagte
festgenommen.
Bei der anschließenden
Durchsuchung seines Fahrzeugs
wurden 975 g Ha-
schisch, das der Angeklagte in
einem auf dem Beifahrersitz liegenden
Ruck-
sack transportierte, sichergestellt.
Das Landgericht hat die Entziehung der Fahrerlaubnis wie
folgt begrün-
det:
"Die Entscheidung über
die Entziehung der Fahrerlaubnis
sowie die Anordnung einer
Sperrfrist für deren Wiederertei-
lung basiert auf den
§§ 69, 69 a
StGB. Für seine Taten
be-
nutzte der Angeklagte seinen
Pkw. Dadurch hat er
sich als
ungeeignet zum Führen
von Kraftfahrzeugen im
Straßenver-
kehr erwiesen. Die
charakterliche Ungeeignetheit wiegt so
schwer, dass eine Sperrfrist von einem Jahr erforderlich ist."
II.
Nach der Rechtsprechung ist § 69
Abs. 1 StGB nicht nur
bei Verkehrs-
verstößen im engeren Sinne, sondern
auch bei sonstigen strafbaren Handlun-
gen anwendbar, sofern sie bei
oder im Zusammenhang mit dem
Führen eines
Kraftfahrzeuges oder unter Ver letzung der Pflichten eines
Kraftfahrzeugführ ers
begangen wurden (vgl. BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 8; BGH
NZV 2003,
199, 200). Dabei wird
der Begriff des "Zusammenhangs"
weit gefaßt; er wird
- 6 -
regelmäßig nur dann verneint, wenn der
Täter die Tat lediglich "bei Gelegen-
heit der Fahrt" begangen hat (vgl. BGHSt 22, 328, 329; Gepper t in LK
11. Aufl.
§ 69 Rdn. 33). Die zur
Entziehung der Fahrerlaubnis in
§ 69 Abs. 1 Satz 1
StGB gefor derte, sich aus der Tat ergebende
Ungeeignetheit zum Führen von
Kraftfahrzeugen kann auch auf fehlender
charakterlicher Zuver lässigkeit ber u-
hen (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 3,
6, 10, 11, 13).
Zu den weiter en Erfordernissen
der strafgerichtlichen Entziehung der
Fahrerlaubnis bei Straftaten
außerhalb des Regelkatalogs
des § 69 Abs. 2
StGB ist die bisherige Judikatur uneinheitlich:
1. In einer Vielzahl von Entscheidungen wird ausgeführt, bei
schwerwie-
genden Straftaten, die
unter Benutzung eines Kraftfahr
zeugs begangen wer-
den, sei die charakterliche
Zuverlässigkeit zum
Führen von Kraftfahrzeugen
regelmäßig zu verneinen; einen "ver
kehrsspezifischen Gefahrzusammenhang"
zwischen Tat und Verkehr
ssicherheit müsse der
Tatrichter nicht feststellen
(BGH, Beschluß vom 14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 [S.
3, 7] = NStZ 2003, 658,
659, 660 m.w.N.). Auch wird eine eingehende
Würdigung der Täterpersönlich-
keit zur Frage der
Ungeeignetheit zum Führen
von Kraftfahrzeugen bei
schwerwiegenden Straftaten oder bei
wiederholten Taten unter Benutzung ei-
nes Kraftfahrzeuges “nicht zwingend“ verlangt, es
sei denn, es lägen "besonde-
re Umstände" vor (BGH aaO S. 660; s. auch BGHR StGB
§ 69 Abs. 1 Entzie-
hung 3, 6, 10 m.w.N.).
a) Für Fälle des Betruges ist die Anordnung der
Entziehung der Fahrer-
laubnis als r echtsfehlerfrei angesehen worden, wenn der
Angeklagte die Straf-
taten "als reisender
Betrüger begangen und
sich dabei sowohl aus
Gründen
- 7 -
der Beweglichkeit wie
auch der größeren
Kreditwürdigkeit wegen, die der
Ei-
gentümer eines Kraftwagens
im Wirtschaftsleben nun einmal
besitze, eines
Kraftwagens (bediente)" (Ur teil
vom 5. November 1953
- 3 StR 542/53 =
BGHSt 5, 179 f.) bzw.
wenn der Betrug "dem
Täter durch die
Fahrerlaubnis
erleichtert oder überhaupt
erst ermöglicht (wurde)"
(Urteil vom 27. Oktober
1955 - 4 StR 370/55;
vgl. auch Urteil vom 11. Januar 1966
- 1 StR 487/65 =
DAR 1966, 91 f.
[Betrug zum Nachteil von
Tankstelleninhabern]; Urteil vom
10. März 1976 - 2 StR 782/75 = DAR 1977, 151
[Benutzung eines Pkw, um an
weit entfernte Tatorte zu gelangen oder die durch Betrug oder Diebstahl
erbeu-
teten Gegenstände abzutransportieren]; Beschluß vom
23. Januar 2002 - 2 StR
520/01 = NStZ-RR 2002, 137 [Betrug]).
b) Auch in Fällen
des (schweren) Raubes bzw. der (
schweren) räuberi-
schen Erpr essung ist die Entziehung
der Fahr erlaubnis schon dann als zuläs-
sig erachtet worden, wenn
das Kraftfahr zeug zur
Ausführung der Tat benutzt
wurde (vgl. nur Urteil vom 27.
Oktober 1987 - 1 StR 454/87 =
DAR 1988, 227
[Raubüberfall]; Ur teil vom 25.
Mai 2001 - 2 StR 78/01 = NStZ
2002, 364, 366
[Banküberfälle]; Beschluß vom 14. Mai 2003
- 1 StR 113/03 = NStZ 2003, 658
[Über fall auf die Rezeption eines Hotels]; s. auch BGHSt 10,
333, 336 [2. Straf-
senat: Flucht nach Raubüberfall]; Urteil vom 5. Juli 1978
- 2 StR 122/78 = DAR
1979, 185 f.,
Beschluß vom 1. Febr uar
1994 - 1 StR
845/93 [Aufsuchen der
Tatorte; Abtransport der Beute]).
c) Bei der
Durchführung von Transporten
großer Mengen von
Betäu-
bungsmitteln mit einem Kraftfahrzeug ist die Entziehung
der Fahrerlaubnis bis-
her regelmäßig als rechtsfehlerfrei
angesehen worden; nur "unter ganz beson-
der en Umständen" solle
"ausnahmsweise" etwas anderes
gelten (vgl. Urteil
- 8 -
vom 30. Juli 1991 - 1 StR 404/91 = BGHR StGB § 69 Abs. 1
Entziehung 3; Ur-
teil vom 23. Juni 1992
- 1 StR 211/92 =
NStZ 1992, 586; Urteil vom
29. September 1999 - 2 StR 167/99 = NStZ 2000, 26 f.;
Beschluß vom 14. Mai
2003 - 1 StR 113/03
[S. 7] = NStZ 2003,
658, 660; s. auch das
Urteil vom
21. April 2004 - 1 StR 522/03 sowie Kotz/Rahlf NStZ-RR 2003, 161, 163).
2. Es gibt aber
auch dem entgegenstehende
Judikate: So hat der
1. Strafsenat in seinem eine Ver urteilung wegen (for
tgesetzten) sexuellen Miß-
brauchs eines Kindes betreffenden Beschluß vom 14. September
1993 - 1 StR
553/93 (= StV 1994, 314, 315) -
die Entziehung der Fahr erlaubnis mit der Be-
gründung aufgehoben,
daß “vom
Täter weitere Verletzungen
der Kraftfahrer-
pflichten zu befürchten
(sein müssen)“, was
das Landgericht nicht festgestellt
habe. Der Angeklagte sei, von der
abgeurteilten Tat abgesehen (er hatte u.a.
abgelegene Parkplätze angesteuert, um in dem Pkw sexuelle
Handlungen vor-
zunehmen), bisher weder als
Kraftfahrer noch sonst nachteilig in Erscheinung
getreten. Die Gefahr
künftiger solcher Taten
liege auch nicht auf
der Hand.
Das Landgericht hätte daher
“anhand konkreter Gesichtspunkte verdeutlichen
müssen, worauf sich
(seine) Besorgnis (stütze) , daß
vom Angeklagten künftig
weitere Verletzungen seiner
Kraftfahrerpflichten zu erwarten (
seien)“. Im Be-
schluß vom 8. August 1994 - 1 StR 278/94 (= BGHR StGB
§ 69 Abs. 1 Entzie-
hung 5), der die Verurteilung wegen eines
Waffentranspor ts in einem Pkw be-
traf, hat der 1.
Strafsenat diese Rechtsprechung
bestätigt: “Eine Entziehung
der Fahrerlaubnis verlangt ..., daß ... vom
Täter weitere Verletzungen der Kraft-
fahrerpflichten zu erwarten sind ...“
(in diesem Sinne auch der 5. Strafsenat
in
seinem Beschluß vom 12. August 2003 - 5 StR
289/03). Da es nicht “Kraftfah-
rer-Pflicht“ (zu den
“Kraftfahrerpflichten“ vgl. Geppert in LK
aaO § 69 Rdn. 46
f.) sein kann, allgemein keine Straftaten zu begehen, muß
damit gemeint sein,
- 9 -
daß die Belassung der
Fahr erlaubnis Ver kehrssicherheitsinteressen
berühren
würde.
In seinem Urteil vom
28. August 1996 - 3
StR 241/96 (= BGHR StGB
§ 69 Abs. 1 Entziehung
6) hat der 3.
Strafsenat Bedenken gegen die
Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs
geäußert, daß
bei der Durchführung von
Betäubungsmittelgeschäften
unter Benutzung eines Kraftfahr
zeuges die cha-
rakterliche Zuverlässigkeit “ in der
Regel“ verneint werden müsse. Damit werde
nämlich möglicherweise
einer weiteren Deliktsgr uppe
dieselbe Wirkung wie
den Katalogstraftaten des § 69 Abs. 2 StGB beigemessen.
Schließlich wird in einer Fülle
von Entscheidungen darauf hingewiesen,
daß bei anderen als den Katalogstraftaten des § 69
Abs. 2 StGB eine Gesamt-
würdigung von Tat und
Täterpersönlichkeit er folgen
müsse (vgl. nur BGHR
StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 2, 4, 5, 6, 7, 10, 13).
III.
Nach Auffassung des Senats
können die Maßregelanordnungen
in den
angefochtenen Ur teilen nicht bestehen bleiben, weil entgegen der
Meinung der
Landgerichte allein die
Benutzung eines Kraftfahrzeugs
zur Begehung von
Straftaten die charakterliche
Ungeeignetheit zum Führen von
Kraftfahrzeugen
noch nicht belegt. Der Senat ist vielmehr - anders als es in der
Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs bislang zum Teil vertreten worden ist
(oben II. 1) - der
Ansicht, daß sich die
(charakterliche) Ungeeignetheit zum
Führen von Kraft-
fahrzeugen nur dann aus der Tat
er gibt (§ 69 Abs. 1 Satz
1 StGB), wenn aus
dieser konkr ete Anhaltspunkte dafür zu erkennen sind,
daß der Täter bereit ist,
- 10 -
die Sicherheit des Straßenverkehrs seinen
eigenen kriminellen Interessen un-
terzuordnen. Zwischen Tat und Verkehrssicherheit muß somit
ein "spezifischer
Zusammenhang" bestehen. Dazu verhalten
sich die angefochtenen Urteile je-
doch nicht; sie müßten
daher hinsichtlich der
Maßregelanordnungen aufgeho-
ben werden.
Mit Beschluß vom 16. September 2003 (= NStZ 2004, 86) hat der
Senat
bei den anderen Strafsenaten
des Bundesgerichtshofs
gemäß § 132
Abs. 3
GVG angefragt, ob an zu dem oben aufgestellten Rechtssatz
entgegenstehen-
der Rechtsprechung festgehalten wird.
Während der 3.
Strafsenat (Beschluß vom 13.
Januar 2004 - 3 ARs
30/03) und der 5. Strafsenat
(Beschluß vom 28. Oktober 2003 - 5
ARs 67/03)
dem in dem
Anfragebeschluß formulierten,
der Vorlagefrage entsprechenden
Rechtssatz zugestimmt bzw. nicht widersprochen haben, hält der
2. Strafsenat
(Beschluß vom 21. Januar 2004 - 2
ARs 347/03) eine Befassung des Großen
Senats für Strafsachen
des Bundesgerichtshofs mit den
aufgeworfenen
Rechtsfragen für "wünschenswert". In seinem Urteil
vom 26. September 2003 -
2 StR 161/03 - (= NStZ 2004, 144)
hat er allerdings die gleiche Rechtsauffas-
sung wie der erkennende
Senat vertreten (vgl. -
neuestens - auch den Be-
schluß vom 6. August 2004 - 2 StR 291/04 - sowie Herzog StV
2004, 151, 152;
Sowada NStZ 2004, 169, 170). Der 1. Str afsenat (Beschluß vom
13. Mai 2004 -
1 ARs 31/03) hat mitgeteilt, daß er an
seiner bisherigen - entgegenstehenden,
entscheidungstragenden - Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung des
§ 69 Abs. 1 StGB festhalte.
- 11 -
Der Senat hat mit
Urteilen vom 6. Juli
2004 die Revisionen der Ange-
klagten zu den
Schuldsprüchen und
Strafaussprüchen ver worfen und die Ent-
scheidung über die Rechtsmittel der
Angeklagten gegen die in den angefoch-
tenen Urteilen jeweils
angeordnete Maßregel einer
abschließenden Entschei-
dung vorbehalten. Er legt
die - streitige - Rechtsfrage
dem Großen Senat für
Strafsachen zur Entscheidung
vor (§ 132 Abs.
2 GVG); nach Auffassung des
Senats ist sie auch von grundsätzlicher Bedeutung, so
daß die Vorlage sowohl
aus Gründen der Divergenz zur Rechtsprechung des 1.
Strafsenats (oben II. 1)
als auch nach § 132 Abs. 4 GVG erfolgt (vgl. BGHSt 40, 360,
366) .
IV.
Wie der Senat in seinem Anfragebeschluß
vom 16. September 2003 im
einzelnen ausgeführt hat, möchte er -
berechtigte Kritik in der Literatur ber ück-
sichtigend - unter Aufgabe
eigener entgegenstehender Rechtsprechung
der
ausufernden, uneinheitlichen und
weithin konturenlosen Rechtsprechung zur
strafgerichtlichen Entziehung der
Fahrerlaubnis schärfere, dem
Sinn und
Zweck der Maßregel entsprechende Strukturen geben. Im
Hinblick auf die Ge-
setzessystematik, die Entstehungsgeschichte des § 69 StGB und
den Wortlaut
der Vorschrift erachtet
er eine r estriktivere,
verfassungskonforme Auslegung
der Norm im Sinne
der Vorlegungsfrage für
geboten (zustimmend Buermeyer
HRRS 12/2003, 258 ff.
[264]; Bur mann in
Janiszewski/Jagow/Burmann, Str a-
ßenverkehrsrecht 18. Aufl.
[2004] § 69 StGB
Rdn. 11; Grohmann VD 2004,
7 ff.; Hentschel NZV 2004, 57 ff. [61]; Herzog aaO S. 151 ff. [153];
Sowada aaO
S. 169 ff. [174 f.];
Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl.
§ 69 Rdn. 44 f.; in diesem
Sinne auch die Empfehlung
Ziff. 1 des Arbeitskr eises
IV des 42. Deutschen
Verkehrsgerichtstages [VGT] 2004).
Zur Vermeidung von Wiederholungen
- 12 -
nimmt er auf die Begründung in seinem
Anfragebeschluß Bezug und bemerkt -
unter Berücksichtigung
der Stellungnahmen der anderen
Strafsenate, insbe-
sondere des 1. Strafsenats - ergänzend folgendes:
1. Die Divergenz zwischen dem 1. Strafsenat und dem vorlegenden Se-
nat besteht darin,
daß der Zweck der
Maßregel streitig ist.
Während der
1. Strafsenat der Meinung ist,
zur Entziehung der
Fahrerlaubnis bei "Zusam-
menhangstaten" (§ 69 Abs.
1 Satz 1 1. Alt.
StGB) genüge die
Besorgnis, der
Täter werde die Fahrer laubnis "erneut zu Taten auch
nichtverkehrsrechtlicher
Art mißbrauchen"
(Antwort-Beschluß S. 4) - die
Entziehung der Fahrerlaubnis
sei also eine
Maßnahme (auch) zur
allgemeinen Verbrechensbekämpfung -,
vertritt der vorlegende Senat
die Auffassung, daß §
69 StGB nur dem Schutz
der Verkehrssicherheit diene
(so auch der 2. Str
afsenat in seinem in NStZ
2004, 144 abgedruckten Urteil vom 26. September 2003 - 2 StR 161/03).
2. Soweit sich der 1.
Strafsenat zur Begründung seiner Ansicht
auf die
Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts beruft, kann
der Senat dem
nicht folgen.
a) Eine Definition des Begriffs der "Geeignetheit" zum Führen
von Kraft-
fahrzeugen findet sich - allerdings negativ - schon in
§ 3 Abs. 2 der Straßen-
verkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) vom
13. November 1937 (RGBl I
1215). Danach war "ungeeignet
zum Führen von
Fahrzeugen oder Tieren ...
besonders, wer unter erheblicher Wirkung geistiger Getränke
oder Rauschgifte
am Verkehr teilgenommen oder
sonst gegen verkehrsrechtliche
Vorschriften
oder andere Strafgesetze er
heblich verstoßen hat".
Eine ähnliche Begriffsbe-
stimmung enthält - positiv - auch der
geltende § 2 Abs. 4 Satz 1 des Straßen-
- 13 -
verkehrsgesetzes (StVG) idF der Bekanntmachung vom
5. März 2003 ( BGBl I
310): "Geeignet zum Führen von Kr aftfahrzeugen ist, wer die
notwendigen kör-
per lichen und geistigen
Anforderungen erfüllt und
nicht erheblich oder nicht
wieder holt gegen ver kehrsrechtliche Vorschr iften oder gegen
Strafgesetze ver-
stoßen hat" (vgl. auch § 11 Abs.
1 Satz 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung [FeV]
vom 18. August 1998 [BGBl I
2214] idF vom 7.
August 2002 [BGBl I 3267]:
"Außerdem dürfen die
Bewerber nicht erheblich oder
nicht wiederholt gegen
verkehrsrechtliche Vorschriften oder
Strafgesetze verstoßen haben,
so daß
dadurch die Eignung ausgeschlossen wir d"; ähnlich: §
46 Abs. 1 FeV zum ver-
waltungsrechtlichen Entzug der Fahrerlaubnis). In §
11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV
ist geregelt, daß die
Beibringung eines Gutachtens einer amtlich
anerkannten
Begutachtungsstelle für Fahreignung
(medizinisch-psychologisches Gutachten)
zur Klärung von
Eignungszweifeln "bei Straftaten,
die im Zusammenhang mit
dem Straßenverkehr oder
im Zusammenhang mit der
Kraftfahreignung stehen
oder bei denen Anhaltspunkte
für ein hohes
Aggressionspotential bestehen",
angeordnet werden kann. Diese
Maßnahme ist Teil der umfassenden
Prüfung
der Geeignetheit von
Kraftfahrzeugführ ern, die
ausschließlich der Verwal-
tungsbehör de vorbehalten ist und
die vom Strafrichter weder geleistet werden
kann noch geleistet werden darf (vgl. BVerwG NJW 1989, 116, 1171) .
Daß das
1 Dort heißt es: „ ... Nach § 4
III 1 StVG kann die Verwaltungsbehörde,
die in einem
Entziehungsverfahren einen Sachverhalt
berücksichtigen
will, der Gegenstand der Urteilsfindung
in einem Strafverfahren gegen
den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zu dessen Nachteil
von dem
Inhalt des Urteils u.a.
soweit nicht abweichen, als
es sich auf die
Beurteilung der Eignung zum
Führen von Kraftfahrzeugen
bezieht. Mit
dieser Vorschrift soll die
sowohl dem Strafrichter (durch
§ 69 StGB)
als auch der Verwaltungsbehörde (durch § 4
I StVG) eingeräumte Befug-
nis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so
aufeinander abgestimmt werden, daß erstens
überflüssige und aufwendige
Doppelprüfungen unterbleiben und
daß zweitens die
Gefahr widerspre-
chender Entscheidungen ausgeschaltet
wird ... Der Vorrang
der straf-
richterlichen vor der
behördlichen Entscheidung findet
seine innere
Rechtfertigung darin, daß auch die
Entziehung der Fahrerlaubnis durch
den Strafrichter als Maßregel der Besserung und Sicherung
keine Neben-
- 14 -
Straßenverkehrsgesetz und die
Fahr erlaubnis-Verordnung ausschließlich
der
Verkehrssicherheit dienen (vgl. Hentschel,
Straßenverkehrsrecht 37. Aufl. Einl.
Rdn. 3, 11), bedarf nach Auffassung des Senats keiner weiter en
Erörterung.
b) Das Bundesverwaltungsgericht hat stets
betont, daß nach der Bege-
hung nicht verkehrsrechtlicher
Straftaten zur Beurteilung der
Eignungsfrage
dar auf abzustellen sei, "ob
aus einem Hang des
Täters zur Mißachtung
der
Rechtsordnung die Befürchtung
gerechtfertigt ist, daß
der Täter auch Ver-
kehr svorschriften mißachten
werde" (BVer wG VRS 32, 479
f.). Es hat aller-
dings in älter en
Entscheidungen zur Entziehung der
Fahrerlaubnis im Verwal-
tungsweg genügen lassen, daß die Gefahr bestand,
"der Rechtsbrecher" werde
ein Kraftfahrzeug zur Begehung
von Straftaten verwenden, wobei es von
dem
"Erfahrungssatz" ausging, bei einem Vorbestr aften, dem ein
"allgemeiner Hang
zur Mißachtung der Rechtsordnung" innewohne, sei zu
befürchten, daß er sich
auch über Verkehrsvorschriften hinwegsetzen wer de (BVer wGE
11, 334, 335 =
NJW 1961, 983, 984; BVerwG VRS 20, 392, 393; noch weiter gehend BVer wG
VRS 20, 391, 392 [Der
Schutzzweck der §§ 2
Abs. 1, 4 Abs. 1 StVG
aF sei
auch darauf gerichtet, andere vor Straftaten durch einen
Kraftfahrzeugführer zu
bewahren]).
strafe, sondern eine in die Zukunft gerichtete,
aufgrund der Sachlage
zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung zu
treffende Entscheidung über die
Gefährlichkeit des Kraftfahrers
für den öffentlichen
Straßenverkehr
ist ... Insofern deckt sich die dem Strafrichter
übertragene Befugnis
mit der Ordnungsaufgabe der
Fahrerlaubnisbehörde ...
Während die Be-
hörde allerdings die
Kraftfahreignung aufgrund einer umfassenden
Wür-
digung der Gesamtpersönlichkeit
des Kraftfahrers zu beurteilen
hat
..., darf der Strafrichter nur eine
Würdigung der Persönlichkeit vor-
nehmen, soweit sie in
der jeweiligen Straftat zum
Ausdruck gekommen
ist ... Deshalb ist
die Verwaltungsbehörde an
die strafrichterliche
Eignungsbeurteilung auch nur
dann gebunden, wenn diese
auf ausdrück-
lich in den schriftlichen
Urteilsgründen getroffenen Feststellungen
- 15 -
In der neueren Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts findet
sich dieser - umstrittene - Er
fahrungssatz nicht mehr
(einschränkend schon
BVerwG VRS 32, 479, 480
["häufig" werde ein derar tiger
Zusammenhang be-
stehen]). Sie stellt vielmehr
darauf ab, ob bei
einer umfassenden Würdigung
der Gesamtpersönlichkeit
negative Charakteranlagen "auch
im Verkehr eine
echte Gefahr darstellen" (BVerwG JZ 1970, 67, 68; vgl. auch BVerwGE 77,
40,
42 f. m.w.N. = NJW 1987, 2246 [Die Eignung beurteile sich auf
der Grundlage
einer umfassenden Würdigung der Gesamtpersönlichkeit
des Kraftfahrers, und
zwar nach dem Maßstab seiner
Gefährlichkeit für den öffentlichen
Straßenver-
kehr ; von wesentlichem Gewicht sei
die Wahrscheinlichkeit, mit der
ein Kraft-
fahrer erstmals oder erneut gegen
straßenverkehrsrechtliche Vorschriften ver-
stoßen wird]; 99, 249, 250 [Schutz vor ungeeigneten
Fahrzeugführern im Str a-
ßenverkehr]; BVerwG NJW 1986, 2779 [Straftaten nicht
verkehrsrechtlicher Art
können bedeutsam sein, wenn die Art und Weise
der Straftaten charakterliche
Anlagen erkennen lassen, die die Allgemeinheit
gefährdeten, wenn sie sich im
Straßenverkehr auswirkten]. In
seinem - vom Bundesver fassungsgericht
aus-
drücklich gebilligten ( NJW 2002, 2378) - Urteil vom
5. Juli 2001 - 3 C 13/01 - (=
NJW 2002, 78, 79) hat das Bundesverwaltungsgericht mit Blick auf den
verfas-
sungsrechtlichen
Verhältnismäßigkeitsgr undsatz
betont, daß sich der
Eig-
nungsmangel darauf beziehen
muß, daß der Betroffene
sich als Führer eines
Kraftfahrzeuges nicht verkehrsgerecht (
umsichtig) verhalten werde. In
diesem
Sinne hat etwa auch
das OVG Koblenz mehrfach
(NJW 1994, 2436, 2437;
2000, 2442, 2443) entschieden.
beruht und wenn die Behörde von demselben und nicht von einem
anderen,
umfassenderen Sachverhalt als
der Strafrichter auszugehen hat
...“
(Hervorhebungen durch den Senat)
- 16 -
Mit dem Beschluß des
Bundesverfassungsgerichts vom 20.
Juni 2002
- 1 BvR 2062/96 (= NJW
2002, 2378, 2380; vgl.
den Anfragebeschluß unter
Ziff. III 3) ist
für die verwaltungsrechtliche
Eignungsprüfung aus verfassungs-
rechtlicher Sicht vorgegeben,
daß charakterlich-sittliche
Mängel, die die Fah-
rereignung ausschließen, nur
dann vorliegen, “wenn
der Betroffene bereit ist,
das Interesse der Allgemeinheit an
sicherer und verkehrsgerechter Fahrweise
den jeweiligen eigenen
Interessen unterzuordnen und
hieraus resultierende
Gefährdungen oder Beeinträchtigungen des Ver kehrs in
Kauf zu nehmen“. Die-
se Auslegung entspricht der des Senats.
3. Soweit der 1. Strafsenat in seiner Antwort auf die Anfrage des
Senats
dar auf abstellt, daß
normübergreifend und
systematisch-vergleichend auf das
Verständnis vom Begriff
der "Zuverlässigkeit" im
Luftverkehrsgesetz (LuftVG)
hinzuweisen sei (S. 21 des Antwort-Beschlusses), kann der Senat nicht
erken-
nen, daß die
Auslegung dieses Begriffes der
Rechtsauffassung des Senats
entgegenstehen könnte:
Abgesehen davon, daß der Begriff
der “Zuverlässigkeit“,
der etwa auch
in der Gewerbeordnung, im Waffenrecht und im
Atomrecht verwendet wir d, je
nach dem bereichsspezifischen
Gefahrenpotential differenziert zu
betrachten
ist und daher nicht ohne weiteres mit dem
der “Geeignetheit“ zum Führen von
Kraftfahrzeugen gleichgesetzt werden kann, hat das
Bundesverwaltungsgericht
in seinem in NVwZ
1991, 889 (= NZV
1991, 325) abgedruckten Urteil
vom
14. Dezember 1990 - 7 C 20.90 -
betont, daß der Begriff der
Zuverlässigkeit
eines Luftfahrzeugführers mit
Blick auf die Sicherheit des Luftverkehr
s auszu-
legen sei (aaO S. 891).
In seinem Ur teil vom 15. Juli
2004 - 3 C 33.03 - hat
der für das
Verkehrsrecht zuständige 3.
Revisionssenat des
Bundesverwaltungsgerichts zu § 29 d LuftVG
(Zuverlässigkeitsüberprüfung von
- 17 -
richts zu § 29 d LuftVG
(Zuverlässigkeitsüberprüfung von
Flughafenbedienste-
ten u.a.) entschieden,
daß sich die luftver
kehrsrechtliche Zuverlässigkeit da-
nach bemißt, ob ein
Verstoß gerade gegen
die Anforderungen an die Sicher-
heit des Luftverkehrs zu befürchten sei. Das entspricht der
Rechtsmeinung des
vorlegenden Senats zur Auslegung des § 69 StGB.
4. Zu den Einwendungen des 1. Strafsenats gegen die in dem
Anfrage-
beschluß angeführten Argumente des Senats zur
Neustrukturierung der Recht-
sprechung ist zu bemerken:
- 18 -
a) Wor tlaut des § 69 Abs. 1 StGB
Wie im Senatsbeschluß
vom 16. September 2003
(NStZ 2004, 86, 88)
dar gelegt wurde, hat der Tatrichter nach dem Wortlaut des §
69 Abs. 1 Satz 1
StGB zwei Prüfungsschritte vorzunehmen: Er
hat zum einen zu prüfen, ob die
rechtswidrige (Anlaß-) Tat bei
oder im Zusammenhang mit
dem Führen eines
Kraftfahrzeugs oder unter
Verletzung der Pflichten eines
Kraftfahrzeugführ ers
begangen wurde, und er hat zum anderen zu bewerten, ob sich
aus der Tat (im
Sinne des § 264 StPO - vgl. BGH NStZ 2004, 144, 145; Herzog
aaO S. 153; aA
Kühl JR 2004, 125, 127) ergibt, daß der
Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen
ungeeignet ist.
Entgegen der Ansicht des
1. Strafsenats, der meint,
daß bei “Zusam-
menhangstaten“ eine "ungünstige
'Verkehrssicherheitsbewertung'" nicht vor zu-
nehmen sei, ist nach Auffassung des vorlegenden Senats bei
der Eignungsbe-
urteilung (2. Prüfungsschritt) zu entscheiden, ob
der Täter ber eit ist, Verkehrs-
sicherheitsbelange zu mißachten. Die
Rechtsprechung, die - wie der 1. Straf-
senat - schon aus dem
bloßen “ Mißbr
auch“ eines Kraftfahrzeugs
zur Bege-
hung einer verkehrsfremden
(“Zusammenhangs“-) Tat unmittelbar auf die cha-
rakterliche Ungeeignetheit zum Führen
von Kr aftfahrzeugen schließt, verkennt
die Struktur des §
69 StGB. Wie der 3. Strafsenat
in seiner in BGHSt 7, 165,
173 abgedruckten Entscheidung
vom 14. Dezember 1954
- 3 StR 330/54 -
zutreffend ausgeführt hat,
bedürfte es des
Begriffs der mangelnden Eignung
nicht, wenn man für die Entziehung der Fahrerlaubnis
allein das bei der abge-
urteilten Straftat zutage
getretene vorwerfbare Verhalten
genügen ließe: “Der
Gesetzgeber hätte sich
in diesem Falle darauf
beschränken können, die
An-
ordnung der Sicherungsmaßregel
an die Begehung einer mit
der Führung ei-
- 19 -
nes Kraftfahrzeugs zusammenhängenden
Straftat von bestimmter Schwere zu
knüpfen, womit die Anordnung
allerdings die Natur einer Strafmaßregel erhal-
ten hätte“.
Daß sich die
Ungeeignetheit auf die
Bereitschaft, Verkehrssicher-
heitsbelange zu mißachten, beziehen muß, ergibt
sich ebenfalls aus der Str uk-
tur des § 69 StGB - insbesondere aus § 69 Abs. 2 StGB
- und daraus, daß der
Begriff der Geeignetheit in § 69 StGB nicht anders ausgelegt
werden kann, als
in § 2 Abs. 4 StVG (s. oben IV. 2 und Geppert in LK aaO
§ 69 Rdn. 49) .
b) Gesetzesmaterialien
Der Senat hat in seinem
Anfragebeschluß (dort Ziff. III 1
b) ausführlich
dar gelegt, daß die Entstehungsgeschichte des § 69
StGB den geforderten spe-
zifischen Zusammenhang zwischen rechtswidr
iger Tat und der
Sicherheit des
Straßenverkehrs stützt
(in diesem Sinne auch
BGH NStZ 2004, 144, 145 f.
[2. Strafsenat]; Buermeyer aaO S.
260; Hentschel NZV 2004,
57, 58; Herzog
aaO S. 153; Sowada aaO S.
171). Er nimmt hierauf
Bezug. Zu den Einwen-
dungen des 1. Strafsenats hiergegen ist zu bemerken:
aa) Zu Ziff. B II 2 a des Antwort-Beschlusses
Der 1. Strafsenat meint,
die Änderung der
Gesetzesüberschrift - von:
"Gesetz zur Bekämpfung von
Unfällen im
Straßenverkehr" in: "Gesetz zur Si-
cher ung des Str aßenverkehrs"
- zeige, daß
Gesetzeszweck des Ersten Str a-
ßenverkehrssicherungsgesetzes nicht
nur die Bekämpfung von
Verkehrsunfäl-
len gewesen sei, sondern daß mit dem Gesetz auch die
allgemeine Kriminalität
habe bekämpft werden
sollen. Zur Begründung
verweist er auf den Schriftli-
- 20 -
chen Bericht des Ausschusses
für Verkehrswesen (BTDrucks. [1.
Wahlp.]
Nr. 3774 S. 1), in dem es u.a. heißt:
"Dabei erwies es sich als notwendig, auch besondere
Maßnahmen
gegen Verbr echertum und Rowdytum auf den Straßen zu
erlassen,
wodurch der Gesetzentwur f
über den von der
Bundesregierung
vorgesehenen Rahmen eines lediglich der Bekämpfung
von Unfäl-
len dienenden Gesetzes hinausgewachsen ist."
Im vorhergehenden Satz dieses Absatzes heißt es jedoch:
"Aus der Tatsache, daß die Zahl der Kraftfahrzeuge in
der Bundes-
republik Deutschland bereits die Drei-Millionengrenze
überschritten
und daß dementsprechend die Zahl der Verkehrsunfälle
bedeutend
zugenommen hat, ergab sich die Aufgabe,
diejenigen gesetzgebe-
rischen Maßnahmen zu er greifen,
die zur Hebung der Ver kehrssi-
cherheit auf den Straßen und zum Kampf gegen die Verkehr
sunfäl-
le erforderlich sind."
Gesetzeszweck des § 69 StGB
(= § 42 m StGB
aF) war somit - wie in
dem Anfragebeschluß (Ziff.
III. 1 b aa)
im einzelnen
ausgeführt wurde - die
Hebung der Verkehrssicherheit
auf den Straßen. Die
Erweiterung der Geset-
zesüberschrift war
insbesondere deswegen
veranlaßt, weil - über
den ur-
sprünglichen Gesetzesentwurf hinaus
- auch § 316 a StGB
(räuberischer An-
griff auf Kraftfahrer ) in das StGB
eingefügt werden sollte (BTDrucks. aaO S. 6,
12) .
bb) Zu Ziff. B II 2 b des Antwort-Beschlusses
Auch aus der Neufassung
des § 111 a StPO durch
das Zweite Gesetz
zur Sicherung des
Straßenverkehrs läßt
sich ein erweiter ter Gesetzeszweck,
- 21 -
wie ihn der 1. Strafsenat sieht, nicht herleiten. Die
Änderung der Vorschrift er-
folgte lediglich, um eine
"gesetzliche Klärung" zu
deren (in der Praxis unter-
schiedlich gehandhabter) Auslegung herbeizuführen (BTDrucks.
IV/651 S. 30).
Soweit in der
Gesetzesbegründung (BTDrucks.
aaO S. 31) am Ende des Sat-
zes, "die Feststellung, daß
jemand zum Führen von Kraftfahrzeugen
ungeeig-
net sei, (enthalte) r
egelmäßig auch die
Feststellung seiner
Gefährlichkeit für
den Kraftverkehr ", auf BGHSt
7, 165 Bezug genommen wurde,
läßt dies nach
Auffassung des Senats - entgegen der
Ansicht des 1. Strafsenats - nicht den
Schluß zu, Gesetzeszweck der strafgerichtlichen Entziehung
der Fahrerlaubnis
sei die allgemeine Verbrechensbekämpfung.
Der in BGHSt 7, 165 abgedr uck-
ten Entscheidung lag zugrunde,
daß der Täter
eine 16jährige Angestellte bei
Fahrpausen und während
des Fahrens mit dem
Kraftfahrzeug "unzüchtig be-
rührte", wobei er beim Fahren seine rechte Hand zwischen die
Beine des Mäd-
chens führte, das Fahrzeug
mit einer Hand steuerte und
Abwehrversuche der
Geschädigten mit den Worten
beantwortete, er könne auch
einhändig fahr en.
Dieser Sachver halt würde
auch nach Auffassung des
Senats die Entziehung
der Fahrerlaubnis rechtfertigen, weil nämlich der
Täter "mehrfach die verkehrs-
sichere Führung seines Wagens außer acht gelassen
(hatte)" und von ihm eine
"Verkehrsgefahr" ausging (BGHSt
aaO S. 167/178, s.
auch S. 178, 1. Absatz
aE: "… seine geschlechtliche Unbeherrschtheit
(könnte ihn) zu fahrtechnischen
Fahrlässigkeiten und groben
Unachtsamkeiten bei der Führ
ung des Kraftwa-
gens hinreißen").
cc) Zu Ziff. B II 2 b (2. Teil) des Antwort-Beschlusses
Daß spätestens mit dem
Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Siche-
rung des Straßenverkehrs
die Entscheidung BGHSt 5, 179
ff., wonach die
- 22 -
strafgerichtliche Entziehung der
Fahrerlaubnis (auch) andere
Rechtsgüter als
die Verkehrssicherheit schütze,
überholt sein dür fte,
hat der Senat in seinem
Anfragebeschluß (dort Ziff. III. 1 b bb, cc)
eingehend erörtert (zustimmend BGH
NStZ 2004, 144, 145
f. [2. Strafsenat]; Buermeyer
aaO S. 260; Sowada aaO
S. 171). Die abweichende Meinung des 1. Strafsenats
überzeugt nicht. Soweit
er einzelne Sätze aus einem Abschnitt der
Gesetzesbegründung zur Stützung
seiner Ansicht heranzieht, ergibt die
gesamte Passage ein anderes Bild. Dort
heißt es nämlich ( BTDrucks. IV/651 S. 18):
"Liegen im Einzelfall die
Voraussetzungen des [§ 42
m = § 69
StGB] Abs. 2 nicht vor, so ist die Eignungsfrage ebenso wie im gel-
tenden Recht auf Grund
einer Würdigung der Tat und
der mit ihr
zusammenhängenden Züge der Täter
persönlichkeit zu prüfen. Da-
bei kann der aus dem Zusammenhang der Beispielsfälle
[= "Regel-
fälle" des (§ 42 m
=) § 69 Abs. 2
StGB] erkennbar e Bewertungs-
maßstab nur Anhaltspunkte
bieten und nicht etwa
bestimmte Er-
gebnisse erzwingen. Es
wäre ein
verhängnisvoller Irrtum zu glau-
ben, daß dem Katalog
nach irgendeiner Richtung
abschließende
Wir kung zukäme und
daß die Maßregel
im allgemeinen nur unter
den Voraussetzungen des
Absatzes 2 angeordnet werden
dürfte.
Eine solche Annahme wird durch den Zusammenhang der Absätze
1 und 2 widerlegt. Sie hätte ein angesichts der
gegenwärtigen Ver-
kehrsverhältnisse nicht
vertretbares Er starren der Praxis
und eine
gefährliche Schwächung des Kampfes gegen ungeeignete
Kraftfah-
rer zur Folge. Für die Durchsetzung des
Grundsatzes, daß außer-
halb des Absatzes 2 keine gegenüber dem
geltenden Recht stren-
geren Anforderungen an den Eignungsmangel gestellt werden dür-
fen, werden notfalls die Rechtsmittelgerichte mit Nachdruck zu sor-
gen haben. Dabei wird Wert darauf zu legen sein, daß die
Eignung
vor allem bei den
Tätern gründlich
nachgeprüft wird, die
gehäuft
kleiner e Verkehrszuwiderhandlungen begehen. …"
Daraus ergibt sich, daß § 69 Abs. 2 StGB (=
§ 42 m Abs. 2 StGB aF) als
Bewertungsmaßstab Anhaltspunkte dafür geben soll,
wann ein Täter zum Füh-
- 23 -
ren von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, daß aber die
Maßregel nicht nur unter
den Voraussetzungen des
§ 69 Abs. 2 StGB
angeordnet werden darf. Daß
hieraus ein anderer Gesetzeszweck als der Schutz der Ver
kehrssicherheit her-
zuleiten sei, er schließt sich nicht.
- 24 -
dd) Zu Ziff. B II 2 c des Antwor t-Beschlusses
Die Neufassung des § 69
b StGB (Wirkung der
Entziehung bei einer
ausländischen Fahrerlaubnis)
durch das 32. Strafr
echtsänderungsgesetz vom
1. Juni 1995 (BGBl I 747) hat lediglich die Inhaber
ausländischer Fahrber echti-
gungen mit den Inhabern
deutscher Fahrerlaubnisse bei
der Fahrerlaubnis-
entziehung und dem Fahrverbot
wegen Straftaten, die im Zusammenhang mit
dem Führen eines
Kraftfahrzeuges begangen worden sind,
gleichgestellt (vgl.
BTDrucks. 12/5053 S. 1, 4, 5; 13/198 S. 1, 4, 5; 13/635 S. 1, 3). Der
Zweck der
Maßregel wurde durch diese Gesetzesänderung nicht
berührt.
ee) Zu Ziff. B II 2 d des Antwort-Beschlusses
Auch durch den Entwurf
eines Gesetzes zur Reform
des Sanktionen-
rechts (BRDrucks. 3/04; neuestens
BTDrucks. 15/2725 vom 17. März
2004)
wird der Zweck der
Maßregel nach § 69
StGB nicht berührt.
Eine Änderung
dieser Vorschrift ist hier nicht vorgesehen. Durch die beabsichtigte
Erweiterung
der Möglichkeit zur
Verhängung eines Fahrverbots
(§ 44 idF des Entwurfs2),
dessen zeitliche Dauer - von bisher drei Monaten - auf sechs Monate
(bzw. ein
2 § 44 Absätze 1 und 2 idF des Entwurfs
haben folgenden Wortlaut:
„(1) Wird jemand wegen einer
Straftat verurteilt, die er bei oder im
Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter
Verletzung
der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, so kann
ihm das
Gericht anstelle oder neben
einer Geld- oder Freiheitsstrafe
für die
Dauer von einem Monat bis
zu sechs Monaten verbieten, im
Straßenver-
kehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen.
(2) Ein Fahrverbot ist in der Regel anzuordnen, wenn der Täter
1. wegen einer Straftat nach § 315c Abs. 1 Nr. 1
Buchstabe a,
Abs. 3 oder § 316 verurteilt wird oder
2. wegen einer anderen Straftat
verurteilt wird, zu deren Begehung
oder Vorbereitung er ein
Kraftfahrzeug als Mittel der
Tat ge-
führt hat,
und die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69
unterbleibt.“
- 25 -
Jahr : BTDrucks. aaO S. 40
[Bundesrat]) ausgedehnt werden
soll, soll eine
(zeitliche) "Lücke" zwischen
der Entziehung der
Fahrerlaubnis und der Ver-
hängung eines Fahrverbots
geschlossen werden, wobei in
dem Gesetzesent-
wurf - zu Recht (vgl.
den Anfragebeschluß Ziff. III.
1 a) - ausdr ücklich dar auf
hingewiesen wird, daß
es sich bei dem
Fahrverbot und der Entziehung
der
Fahrerlaubnis um zwei
völlig unterschiedliche
strafrechtliche Instrumentarien
handelt (vgl. BTDrucks. aaO S. 18, 22).
Durch die vorgesehene neue
Regelvorschrift (§ 44 Abs. 2
idF des Ent-
wurfs) soll das Fahr verbot bei
allgemeinen Straftaten, bei denen ein Kraftfahr-
zeug als Tatmittel eingesetzt worden ist, häufiger als bisher
angeordnet werden
können, so vor allem,
wenn der Täter das
Kraftfahr zeug zur Vorbereitung
(Fahrt zum Tatort) oder
Durchführung (Transport der
Beute) von Straftaten
mißbraucht hat (BTDrucks. aaO S. 18, 23) - also bei
"Zusammenhangs-Taten",
um die die Divergenz zur Anwendbarkeit des § 69 StGB geht.
Der Gesetzesentwurf deckt
sich mit der Vorstellung
des vorlegenden
Senats, einem Mißbrauch
der Fahrerlaubnis durch ein
fühlbares Fahrver bot
- als (Neben-) Strafe
- wirkungsvoll zu begegnen.
Entgegen der Auffassung
des 1. Strafsenats zeigen
die gesetzgeberischen
Überlegungen gerade auf,
daß es keiner ausufer
nden, systemfremden Auslegung
zur Anwendung der
Maßregel des Entzugs
der Fahrerlaubnis bedarf, um
dem Schuldgehalt einer
“Zusammenhangstat“ angemessen
Rechnung zu tragen. Der
Gesetzentwurf
steht damit nicht im
Widerspruch zu der vom
4. Strafsenat vorgeschlagenen
Auslegung des § 69 Abs. 1 StGB, sondern geht - ohne jeden
Bruch - mit einer
solchen Auslegung konform. Bei
der Frage des
Höchstmaßes des neu konzi-
pierten Fahr verbots spielt im Gesetzgebungsverfahren eine
wesentliche Rolle,
- 26 -
wie der Gr oße Senat
auf die Vorlage hier
entscheiden wird (vgl. BTDrucks.
aaO S. 40, 48) .
c) Gesetzessystematik
aa) Zuzustimmen ist dem 1. Strafsenat, daß -
konsequenterweise - auch
bei der 2. Alternative des
§ 69 Abs. 1 Satz
1 StGB (... unter
Verletzung der
Pflichten eines
Kraftfahrzeugführers ...)
für die Entziehung der
Fahrerlaubnis
ein spezifischer Zusammenhang
zwischen der Anlaßtat
und der Verkehrssi-
cher heit zu fordern ist. Verkehrssicherheit ist jedoch auch nach
Auffassung des
vorlegenden Senats nicht mit Unfall oder Unfallrisiko gleichzusetzen.
Vielmehr
genügt es, wenn sich aus den
Umständen der Tat und der
Täterpersönlichkeit
ergibt, daß sich der Täter in
seiner Eigenschaft als Kraftfahrer als unzuverläs-
sig erwiesen und er die Bereitschaft gezeigt hat,
sich über die im Verkehr ge-
botene Sorgfalt und
Rücksichtnahme hinwegzusetzen.
Daß dies bei dem vom
1. Strafsenat angeführten unerlaubten Entfernen
vom Unfallort zutreffen kann,
versteht sich von selbst; dem
entspricht auch § 69 Abs.
2 Nr. 3 StGB ( Regel-
beispiel bei schwer en Folgen).
bb) Die Ansicht des 1. Strafsenats, die systematische Stellung des
§ 69
StGB spreche für die Annahme, die Maßregel diene
einem allgemeinen Schutz
vor rechtswidr igen Taten (vgl.
auch den Beschluß des
1. Strafsenats vom
14. Mai 2003 - 1 StR 113/03 = NStZ 2003, 658, 659), teilt der
Senat - mit dem
2. Strafsenat (NStZ 2004, 144, 146, 147)
- nicht. Wie in dem Anfragebeschluß
im einzelnen dargelegt wurde
(dor t Ziff. III 1
a), steht die
Maßregel in ihr er
Struktur der Maßregel des Berufsver bots
(§ 70 StGB) nahe (vgl. auch Sowada
aaO S. 172) ; sie hat ihre Rechtfertigung allein im
Sicherungsbedürfnis der Ver-
- 27 -
kehr sgemeinschaft. Daß deswegen, weil in
§ 70 StGB "Zusammenhangstaten"
nicht genannt sind, die Mater ie in § 69 StGB nicht
(verkehrs)spezifisch geregelt
sei - wie der 1. Strafsenat meint - kann der Senat nicht erkennen.
cc) Gesetzessystematisch ist insbesonder
e auf die Regelung des Fahr-
verbots ( § 44 StGB)
hinzuweisen: Das Fahrverbot ist
Nebenstrafe. Seine An-
ordnung knüpft - genau wie § 69
Abs. 1 StGB - daran an, daß der Täter eine
Straftat “bei oder im Zusammenhang mit dem
Führen eines Kraftfahr zeugs oder
unter Verletzung der Pflichten
eines Kraftfahrzeugführers
begangen hat“. Die
Verwendung eines Kr aftfahrzeugs
bei Begehung einer (auch
schwerwiegen-
den) allgemeinen Straftat -
und damit ein in der
Str aftat zum Ausdruck kom-
mender “allgemeiner Charaktermangel“ -
begründet somit für
sich allein noch
nicht die für die Maßregel nach § 69 Abs. 1
StGB - über § 44 StGB hinausge-
hende - weiter
vorausgesetzte fehlende Eignung.
Diese ist vielmehr erst in
einem “ zweiten
Prüfungsschritt“ (s.o.
IV 4 a) vom
Tatrichter gesondert festzu-
stellen.
d) Verfassungskonforme Auslegung
Der Senat hat in seinem Anfragebeschluß vom 16. September
2003 dar-
gelegt, daß eine
Beschränkung der Entziehung
der Fahrerlaubnis nach
§ 69
StGB auf die Fälle einer Negativpr ognose in Bezug auf
Verkehrssicherheitsbe-
lange auch mit Blick auf die Bedeutung
der Teilnahme am motorisierten Str a-
ßenverkehr in einer
auf Mobilität angelegten
Gesellschaft aus verfassungs-
rechtlichen Gründen angezeigt erscheint. Die Entziehung der
Fahrerlaubnis ist
ein schwerwiegender Eingriff in
die Grundrechtssphäre des
einzelnen. Sie
kann, insbesondere wenn sie dazu führt,
daß die Ausübung des Berufs einge-
- 28 -
schränkt oder ganz aufgegeben
werden muß, existenzvernichtend
wirken. Bei
einem Straftäter kann sie dessen
Resozialisierung nachhaltig stören. Vor
die-
sem Hintergrund ist die
Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts zur
- verwaltungsrechtlichen -
Entziehung der Fahrerlaubnis
(NJW 2002, 2378,
2380) zu sehen, daß
ein diese Maßnahme
rechtfertigender charakterlich-
sittlicher Mangel nur dann vor liegt, wenn der
Betroffene bereit ist, das Inter es-
se der Allgemeinheit an
sicherer und verkehrsgerechter
Fahrweise den eige-
nen Interessen unterzuordnen
und daraus resultierende
Gefährdungen oder
Beeinträchtigungen des Verkehrs in Kauf zu nehmen
(vgl. oben IV 2 b). Wenn
dieser verfassungsr echtliche
Gesichtspunkt für die
umfassende Pr üfung der
Ungeeignetheit durch die
Verwaltungsbehörde gilt, ist
kein Gr und er sichtlich,
warum er nicht auch auf die strafrechtliche
Maßregel nach § 69 StGB Anwen-
dung finden soll.
Entgegen der Auffassung des
1. Strafsenats (Ziff. B
II 4 des Antwort-
Beschlusses) steht § 69 Abs.
1 Satz 2 StGB der
hier vertretenen Auffassung
nicht entgegen. Schon aus dem Wortlaut der
Vorschrift, daß es nämlich einer
weiteren Prüfung nach
§ 62 StGB (Beachtung
des Grundsatzes der Ver
hält-
nismäßigkeit) nicht
bedarf, ergibt sich,
daß die Einschränkung
erst dann ein-
greift, wenn die Ungeeignetheit
zum Führen von
Kraftfahrzeugen geprüft und
festgestellt ist. Bei der
Feststellung der Ungeeignetheit
ist dagegen der Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatz - wie der Senat
meint: im Sinne der Vorlagefrage,
indem der Gefahrbegriff auf
das Verkehrsspezifische
beschränkt wird - ohne
Einschränkung zu
berücksichtigen; denn eine
unverhältnismäßige Entziehung
der Fahr erlaubnis ist
ebenso unzulässig wie
jede andere
unverhältnismäßige
staatliche Zwangsmaßnahme (Tröndle/Fischer aaO
§ 69 Rdn. 50).
- 29 -
§ 69 Abs. 1 Satz 2 StGB kann daher nur dahin
verstanden werden, daß
per sönliche Belastungen, die
sich für den
ungeeigneten Kraftfahrer aus der
Entziehung der Fahrerlaubnis ergeben, für die
Entscheidung, ob die Maßregel
angeordnet wird, im Interesse
der Verkehr ssicherheit außer
Betracht zu blei-
ben haben. Grundsätzlich
keinen Raum haben
Verhältnismäßigkeitsgesichts-
punkte daher etwa, wenn
die Entziehung der
Fahrerlaubnis schwerwiegende
wirtschaftliche Folgen (z.B.
den Verlust des Arbeitsplatzes)
nach sich zieht;
auch in diesen Fällen
ist die Fahr erlaubnis bei
festgestellter Ungeeignetheit
zum Führen von Kraftfahrzeugen
regelmäßig zu entziehen (vgl. Gepper t in LK
aaO Rdn. 67) .
5. Die vom 1. Strafsenat geäußerte Befür
chtung (Ziff. B II 5 des Antwort-
Beschlusses), die Anforderungen
des Senats an die
Feststellung der Ungeei-
gnetheit zum Führen
von Kraftfahrzeugen gäben
dem Tatrichter keine
für die
Praxis handhabbare Vorgaben,
teilt der Senat nicht.
Vom Tatrichter wird an
Begründungsaufwand nicht mehr
verlangt als bei jeder
anderen Maßregel-
Entscheidung. Auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, einem
psy-
chiatrischen Krankenhaus oder in der Sicher ungsver wahrung verlangt
eine - in
Bezug auf die Entziehung der Fahrerlaubnis vom 1. Strafsenat
kritisierte (S. 20
des Antwort-Beschlusses) -
“subjektivistische“ Betrachtungsweise mit
Blick auf
die Beurteilung künftigen Täterverhaltens.
Häufig wird - wie der 5. Str afsenat in
seinem Antwort-Beschluß, etwa
am Beispiel einer Fluchtfahrt,
zutreffend be-
merkt hat - der spezifische Zusammenhang zwischen
Tat und Verkehrssicher-
heit schon nach dem
Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe eindeutig be-
legt und daher der Begründungsaufwand des
Tatrichters minimal sein.
6. Schlußbemer kung
- 30 -
Der Senat ist sich bewußt, daß mit der erwogenen
Änderung der Recht-
sprechung die bisher
praktizierte strafrechtliche Entziehung
der Fahrerlaubnis
eingeschränkt wird. Das ist berechtigt, weil die Praxis der
Entziehung der Fahr-
erlaubnis dahin geführ t
hat, daß die Grenze
zwischen Strafe und Maßregel
nicht mehr konsequent beachtet
wird; die Maßregel
hat häufig Strafcharakter
erhalten, den sie nach dem Willen des historischen Gesetzgeber s
ausdrücklich
nicht haben sollte (vgl. BTDrucks. IV/651 S. 16)
Anm.. Die Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ist uneinheitlich
und nicht berechenbar. Sie
bedarf der
Korrektur im Sinne einer dem Sinn und
Zweck der Maßregel
entsprechenden
Strukturierung, die der Senat versucht hat, vorzunehmen. Wie in dem
Anfrage-
beschluß (dort Ziff. V)
ausgeführt wurde, ergeben sich durch die beabsichtigte
einengende Auslegung des §
69 Abs. 1 Satz 1 StGB
keine beachtlichen Ver-
kehr ssicherheitslücken; denn
die Fahrerlaubnisbehörde ist
zwar an die eine
bestimmte Tat oder bestimmte
Taten betreffende strafgerichtliche
Beurteilung
der Eignung zum
Führen von Kraftfahr zeugen
gebunden (§ 3 Abs. 4
Satz 1
StVG), sie hat aber - anders als das Strafgericht - die Eignung zum
Führen von
Kraftfahrzeugen mit den ihr zur Verfügung
stehenden Mitteln (vgl. §§ 3 StVG,
11 ff., 46 FeV)
umfassend zu prüfen.
Deshalb darf sie auch eine abgeurteilte
Straftat, die für sich
allein dem Strafrichter nicht ausgereicht hat, die Ungeeig-
netheit festzustellen, zur Unterstützung
außerhalb des abgeurteilten Sachver-
A n m . Von der
Fehlvorstellung, daß die
Entziehung der Fahrerlaubnis
Strafcharakter hat, scheint
auch der (jetzige) Gesetzgeber
gelegent-
lich nicht frei zu sein -
vgl. die Stellungnahme des Bundesrates zum
Gesetzentwurf der Bundesregierung betreffend das Gesetz zur Reform des
Sanktionenrechts (BTDrucks. 15/2725 S.40): „Täter
von Straßenverkehrs-
delikten und sogenannten
`Zusammenhangstaten´, deren Schuld so
schwer
wiegt, dass eine höhere Fahrverbotsdauer als sechs Monate
geboten ist,
müssen weiterhin als ungeeignet aus dem Verkehr gezogen
werden.“ - Die
Frage, ob die Fahrerlaubnis
zu entziehen ist, hat
grundsätzlich mit
der Schuld des Täters nichts zu tun (vgl.
§ 69 Abs. 1 Satz 1 StGB: „
... wird jemand ... verurteilt
oder ... nicht verurteilt, weil seine
Schuldunfähigkeit erwiesen oder
nicht auszuschließen ist, so entzieht
ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, ...“).
- 31 -
halts liegender Entziehungsgründe mit heranziehen.
Zur Entscheidung, ob der
Betroffene zum Führen
von Kraftfahrzeugen charakterlich ungeeignet ist,
wird
sie regelmäßig ein
medizinisch-psychologisches Gutachten
heranziehen (vgl.
§§ 11 Abs. 3, 46 Abs. 3 FeV; Bur mann, 42.
VGT 2004, IV/3 S. 154, 155; Hent-
schel, Straßenverkehrsrecht aaO § 11 FeV Rdn. 4, 12
ff.). Wollte der Strafrich-
ter ohne konkret sich
aus der Tat er gebende
Anhaltspunkte eine vergleichs-
weise verläßliche
Prognose abgeben, ob von
dem Täter eine Gefahr
für die
Verkehrssicherheit ausgeht,
müßte er jeweils
einen Sachverständigen hinzu-
ziehen, der den Täter
eingehend exploriert. Damit wäre er
jedoch überfordert.
Die ihm vom Gesetzgeber
übertragene Befugnis, in beschränktem
Umfang die
zuvor allein den
Verwaltungsbehörden vorbehaltene
Entziehung der Fahrer-
laubnis aussprechen zu können, sollte zu einer Vereinfachung
des Verfahrens
führen, ohne den Täter zu benachteiligen, nicht aber
zu einer Komplizierung.
Die vom 1. Strafsenat in
seinem Antwort- Beschluß mehrfach
angeführ-
ten kriminalpolitischen Gründe, die es angezeigt erschienen
ließen, die Entzie-
hung der Fahr erlaubnis als Mittel der allgemeinen
Verbrechensbekämpfung zu
betrachten, finden nach Auffassung des Senats im geltenden Recht keine
Stüt-
ze. Wenn der Gesetzgeber solche kriminalpolitischen Gründe
für durchgreifend
erachtete, müßte er das Gesetz ändern (vgl.
hierzu die Empfehlung Ziff. 2 des
- 32 -
Arbeitskreises IV des 42.
VGT 20043; Buermeyer aaO S.
264; Gepper t NStZ
2003, 288, 289, 290; Sowada, 42. VGT 2004, IV/2 S. 142, 151 ff.).
Tepperwien
Maatz
Kuckein
Athing
Sost-Scheible
3 „Der Gesetzgeber sollte ...
prüfen, ob dem Strafrichter bei schwer-
wiegenden Straftaten der
allgemeinen Kriminalität, die
unter Miss-
brauch der Fahrerlaubnis
begangen werden, die Entziehung
der Fahrer-
laubnis ermöglicht werden kann“.
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