BGH,
Beschl. v. 26.1.2010 - 5 StR 520/09
5 StR 520/09
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 26. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2010
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Görlitz vom 12. August 2009 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen
im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und
Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten seines
Rechtsmittels aufzuerlegen; er trägt indes die notwendigen
Auslagen der Nebenklägerin.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung
zweier amtsgerichtlicher Urteile (zuletzt sechs Monate Jugendstrafe
unter Anwendung des § 31 Abs. 2 JGG) zu einer einheitlichen
Jugendstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Die
Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen
Teilerfolg.
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1. Die Jugendkammer hat sich im Wesentlichen auf der Grundlage des
Geständnisses des Angeklagten und des Obduktionsgutachtens
davon überzeugt, dass der Angeklagte am 7. November 2008 -
wenige Tage vor
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seinem 16. Geburtstag - gegen 19.00 Uhr den stark alkoholisierten S.
auf einem Zittauer Spielplatz getötet hat.
Der Angeklagte war mit dem späteren Opfer in Streit geraten
wegen von diesem versprochener, vom Vater des Angeklagten im Voraus
bezahlter Fahrradteile. Dabei bezeichnete S. den Angeklagten und dessen
Vater als „Arschloch“ und
„Wichser“. „Herr S. erhob sich von der
Parkbank und griff dem Angeklagten an den Hals. Der Angeklagte hatte
das Gefühl, er werde gewürgt, befreite sich aber
rasch und ohne Probleme aus dieser Lage und stieß Herrn S. zu
Boden … Der Angeklagte entschloss sich spätestens
jetzt - aus Ärger über die vermeintlich fehlende
Lieferung der Fahrradteile und aus Ärger über das
Verhalten des Geschädigten - Herrn S. massiv zu verletzen.
Dabei nahm er im Laufe des Geschehens den Tod des Geschädigten
zumindest billigend in Kauf. S. war auf dem Boden liegend zu einer
effektiven Gegenwehr und Verteidigung nicht mehr in der Lage. Der
Angeklagte schlug und trat mit äußerster Kraft und
Stärke wiederholt gegen den Rumpf, den Kopf und den Hals
seines Opfers. Darüber hinaus wirkte er mehrfach und unter
hoher Kraftaufwendung mit dem Hals einer abgebrochenen Bierflasche auf
Kopf und Hals des Geschädigten ein. Das Gesicht und der Hals
des Herrn S. bluteten aufgrund der erlittenen Verletzungen sehr stark.
In diese stark blutenden Gesichts- und Halswunden trat der Angeklagte
wiederum wiederholt mit großer Kraft mit seinem Fuß
ein“ (UA S. 9). Die hervorgerufenen
Rippenserienbrüche führten zu erheblichen
Verletzungen innerer Organe. Die Menge des hierdurch nach innen und aus
den Verletzungen am Kopf und am Hals des Opfers nach außen
ausgetretenen Blutes verursachte einen tödlichen
Verblutungsschock.
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2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch erfolglos im
Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die insoweit fehlerfreien
Feststellungen belegen insbesondere den Tötungsvorsatz des
Angeklagten, dessen Verantwortungsreife und nicht aufgehobene
Schuldfähigkeit.
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3. Indes ist die Jugendstrafe aufzuheben, weil tragende
Strafzumessungserwägungen, mit denen das Landgericht eine
erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens des
Angeklagten im Sinne des § 21 StGB ausgeschlossen hat, und zur
Höhe der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit auf zu Lasten
und zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Fehlern in der
Beweiswürdigung beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.
März 2007 - 5 StR 32/07 Tz. 7 f.).
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a) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - zwar eine
Störung des Sozialverhaltens des Angeklagten, die hohe
Alkoholkonzentration zur Tatzeit und die Provokation durch das Opfer
unter den jeweils zutreffenden Eingangsmerkmalen der
§§ 20, 21 StGB erörtert, indes die gebotene
Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3)
unterlassen und zudem die markanten Tatumstände, die eine
besonders starke Enthemmung nahe legen (vgl. BGH, Beschluss vom 9.
Januar 2002 - 5 StR 543/01, insoweit in NStZ-RR 2002, 107 nicht
abgedruckt), nicht ersichtlich erwogen.
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Soweit das Landgericht die aus dem Blutentnahmeprotokoll vom 8.
November 2008, 3.32 Uhr, entnommenen Feststellungen dafür
herangezogen hat, dass der Angeklagte zur Tatzeit um 19.00 Uhr in
seiner Leistungsfähigkeit nicht wesentlich
eingeschränkt gewesen sei (UA S. 28), stößt
dies auf durchgreifende Bedenken. Der nur auf einen leichten
Alkoholeinfluss hindeutende Untersuchungsbefund fußt auf der
Blutalkoholkonzentration von 1,23 ‰ zum Entnahmezeitpunkt
und ist schon deswegen nicht geeignet, das Leistungsvermögen
des Angeklagten unter Wirkung einer Blutalkoholkonzentration von 2,81
‰ zu belegen.
Zudem ist zu besorgen, dass die vom Landgericht für einen
Ausschluss erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit
herangezogene Alkoholgewöhnung und fehlende
Erinnerungslücke überbewertet worden sind (vgl. BGHSt
43, 66, 71, 73, 76; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 4;
BGH, Beschluss vom 28. März 2007 - 5 StR 32/07 Tz. 8).
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b) Soweit das Landgericht aufgrund einer an sich zutreffenden
Rückrechnung unter Würdigung von Angaben des
Angeklagten zu einem Nachtrunk von lediglich 0,375 l Bier zu der
angenommenen maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰
gelangt ist, steht dies schon in einem vom Landgericht nicht
ersichtlich bedachten Spannungsverhältnis zu den
übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum eher
eine geringere Alkoholintoxikation nahe legenden Nachtatverhalten des
Angeklagten. Hinzu tritt, dass es das Landgericht unterlassen hat, die
Bedeutung des anlässlich einer Polizeikontrolle um 22.50 Uhr
durchgeführten Atemalkoholtests mit 0,76 mg/l in seine
Beweiswürdigung einzubeziehen. Zwar ist eine direkte
Konvertierung von Atemalkohol- in Blutalkoholkonzentrationen
ausgeschlossen (BGHSt 46, 358, 365). Indes wird jedem AAK-Wert eine
gewisse Bandbreite von BAK-Werten entsprechen (BGHSt aaO m.w.N.), die
ohne Weiteres in die Beweiswürdigung über den Umfang
eines Nachtrunks, zumal bei - wie hier -
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widersprüchlichen Angaben eines Angeklagten, in Befolgung der
Aufklärungspflicht einzubeziehen und mit zu bewerten ist.
Demnach hätte es nahe gelegen, bei dem Angeklagten zum
Zeitpunkt der von ihm als Fahrradfahrer anstandslos passierten
Polizeikontrolle von einer BAK von noch unter 2 ‰ auszugehen
(vgl. BGHSt aaO S. 366).
4. Zudem hat die festgesetzte Jugendstrafe auch deshalb keinen Bestand,
weil es das Landgericht trotz Vorliegens erheblicher hierfür
sprechender Umstände verabsäumt hat, die Anordnung
der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu
erwägen (§ 7 Abs. 1 JGG), was die mit am
Erziehungsbedarf orientierte Festsetzung der Jugendstrafe - auch ohne
dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 JGG hätten
erfüllt werden können - beeinflusst haben
könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2002 - 5 StR 543/01,
insoweit nicht in NStZ-RR 2002, 107 abgedruckt; BGH, Beschluss vom 25.
November 2008 - 3 StR 404/08 Tz. 6).
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Das Landgericht hat zum Alkoholkonsum des Angeklagten Feststellungen
getroffen, die eine Würdigung als Hang im Sinne des §
64 Satz 1
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StGB erfordert hätten. Nach den - freilich zweifelhaften (vgl.
oben 3.) - Feststellungen führte der Angeklagte die Tat unter
Wirkung einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰
aus. Er trank seit Anfang 2008 nunmehr auch in der Woche
regelmäßig Alkohol. „Ab Sommer 2008 kam es
bei dem Angeklagten zu regelmäßigem, fast
täglichen Alkoholkonsum mit wiederholt einsetzenden
Rauschzuständen“ (UA S. 7). Die Freundin des
Angeklagten beendete ihre Beziehung mit diesem, weil der Angeklagte im
Sommer 2008 angefangen habe, oft schon frühmorgens Alkohol zu
trinken (UA S. 18).
Die getroffenen Feststellungen hätten die Annahme des nach
§ 64 StGB weiter gebotenen symptomatischen Zusammenhangs
zwischen dem Hang, der Tat und der zukünftigen
Gefährlichkeit (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang,
symptomatischer 1) nicht grundlegend in Frage gestellt (vgl. BGH,
Beschluss vom 16. September 2008 - 4 StR 316/08 Tz. 5 m.w.N.). Zwar hat
das Landgericht aus zwei früher geahndeten - mit
Mittätern begangenen - gefährlichen
Körperverletzungen ohne Alkoholeinfluss auf eine hohe
Gewaltbereitschaft und eine ausgesprochen geringe Hemmschwelle des
Angeklagten geschlossen (UA S. 30, 36). Dem steht indes die
für die Zeit stark gesteigerten Alkoholkonsums getroffene
Feststellung entgegen, dass der Angeklagte gerade unter Alkohol
häufig aggressiv geworden ist (UA S. 18).
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Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls zu beachten haben, dass eine
Maßregel nach § 64 StGB nicht die Annahme der
Voraussetzungen des § 21 StGB erfordert (BGHR StGB §
64 Ablehnung 6).
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5. Die Sache bedarf demnach hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs
neuer Aufklärung und Bewertung. Insbesondere sofern das neue
Tatgericht erneut die Voraussetzungen einer Provokation entsprechend
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§ 213 StGB, 1. Alternative bejahen sollte, wird es seine
Strafzumessungserwägungen schon aus diesem Grund nicht - wie
im angefochtenen Urteil erfolgt (UA S. 37) - am
Höchstmaß einer zu verhängenden
Jugendstrafe orientieren können.
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