BGH,
Beschl. v. 26.7.2000 - 2 StR 278/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 278/00
vom
26. Juli 2000
in der Strafsache gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des
Generalbundesanwalts und nach Anhörung des
Beschwerdeführers am 26. Juli 2000 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Mühlhausen vom 27. März 2000 im Rechtsfolgenausspruch
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern in 11 Fällen zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und
seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Angeklagte rügt mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch
beschränkten Revision die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
hat keinen Bestand.
Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, der
Angeklagte habe alle Taten im Zustand erheblich verminderter
Schuldfähigkeit begangen, da er an einer
Persönlichkeitsstörung, die die Kriterien einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der
§§ 20, 21 StGB erfülle, leide. Diese
Bewertung leitet es aus folgenden Merkmalen und Wesenszügen
des Angeklagten her:
Es handele sich um eine Person mit einem niedrigen
Selbstwertgefühl, mit einer stark ausgeprägten Angst
vor einem Versagen im Berufs- und Familienleben (die bereits im
Grenzbereich einer neurotischen Störung anzusiedeln sei), mit
einem permanenten Gefühl der Überforderung und mit
einer stark ausgeprägten inneren Verletzlichkeit. Hinzu komme
eine psychosexuelle Retardierung mit einer deutlichen Neigung zu
sexuellen Handlungen an Kindern unter 14 Jahren, wie sie sich bereits
in Straftaten in den Jahren 1975 und 1984/1985 gezeigt habe, es handele
sich aber nicht um eine Pädophilie im engeren Sinne. Sein
äußerst geringes Selbstwertgefühl versuche
er kurzfristig durch den sexuellen Verkehr mit schwächeren
Personen, nämlich Kindern, zu kompensieren. In der Gesamtschau
ergäben die festgestellten Faktoren eine
Persönlichkeitsstörung, die, obwohl sie sich einer
klaren Einordnung etwa in das Schema des DSM IV entziehe, trotzdem die
Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit
(§ 21 StGB) erfülle.
Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung
nicht stand.
Die Diagnose "Persönlichkeitsstörung"
läßt für sich genommen eine Aussage
über die Frage der Schuldfähigkeit des
Täters nicht zu. Es bedarf einer Gesamtschau, ob die
Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben
vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören,
belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen. Art
und Schweregrad der Störung müssen auf der Grundlage
einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und
dessen Entwicklung bewertet werden, wobei auch Vorgeschichte,
unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das
Verhalten nach der Tat von Bedeutung sind (st. Rspr. vgl. BGHSt 37,
397, 401; BGH NStZ 1997, 485; BGH, Beschl. v. 18. Januar 2000 - 4 StR
583/99, v. 3. Mai 2000 - 2 StR 629/99 und v. 9. Mai 2000 - 4 StR
59/00). In Betracht zu ziehen ist auch, ob es sich bei der
"Persönlichkeitsstörung" letztlich nicht nur um
Eigenschaften und Verhaltensweisen handelt, die sich innerhalb der
Bandbreite voll schuldfähiger Menschen bewegen und
übliche Ursachen für strafbares Verhalten sind (vgl.
BGHSt 42, 385, 388).
Die Persönlichkeit des Angeklagten weist zwar psychische
Auffälligkeiten auf, die sich auch in seinen Straftaten
widerspiegeln. Der Sachverständige vermochte diese
Auffälligkeiten aber nicht einmal in das Schema DSM IV
einzuordnen. Störungen, deren Wertung als "schwer" i.S. der
§§ 20, 21 StGB auf der Hand liegt, sind bei dem
Angeklagten daher offensichtlich nicht gegeben. Der
Sachverständige meint deshalb auch, eine solche
Würdigung folge aus einer Gesamtbetrachtung des Zustandes des
Angeklagten. Das ist indessen nicht mit Tatsachen belegt. Wenn aus
psychiatrischer Sicht lediglich ein diffuses, nicht näher
bestimmbares Beschwerdebild vorliegt, bedarf es zur Würdigung
des Gewichts solcher Auffälligkeiten in besonderem
Maße der Feststellung ihrer Auswirkungen auf das Leben des
Täters und auf die Tat; diese Feststellungen sind im Urteil
mitzuteilen. Dieses teilt hierzu neben finanziellen und ehelichen
Alltagsproblemen des Angeklagten aber lediglich die - teilweise lange
zurückliegenden - einschlägigen Straftaten mit, die
es nicht als Ausdruck einer sexuellen Deviation betrachtet. Damit
verbleibt aber im wesentlichen nur der Umstand, daß der
Angeklagte rückfällig geworden ist. Das ist,
für sich genommen, nicht geeignet, eine schwere seelische
Abartigkeit darzutun.
2. Da die Voraussetzungen einer erheblich verminderten
Schuldfähigkeit nicht ausreichend festgestellt sind, kann die
Unterbringungsanordnung keinen Bestand haben. Dieser Rechtsfehler
führt hier auch zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
Die rechtsfehlerhafte Annahme von § 21 StGB beschwert zwar im
Bereich der eigentlichen Strafzumessung einen Angeklagten
grundsätzlich nicht (vgl. Beschluß des Senats vom
10. Juni 1998 - 2 StR 215/98; BGH, Urt. v. 6. Januar 1998 - 5 StR
446/97, insoweit in BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 32 -
Triebstörung nicht abgedruckt).
Die zu den Voraussetzungen des § 21 StGB neu zu treffenden
Feststellungen betreffen hier aber sowohl den Straf- wie auch den
weiteren Rechtsfolgenausspruch. Der Senat hielt deshalb die Aufhebung
der - sehr milden - Einzelstrafen und der an sich in ihrer
Höhe dem Gesamtgeschehen gerecht werdenden
Gesamtfreiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen
für angebracht. Der neue Tatrichter hat damit die
Möglichkeit, die zu verhängenden Einzelstrafen und
die Gesamtfreiheitsstrafe umfassend aufeinander abzustimmen.
Jähnke Detter Bode
RiBGH Rothfuß ist
infolge Urlaubs ver-
hindert, seine Unter-
schrift beizufügen.
Jähnke Hebenstreit |