BGH,
Beschl. v. 26.7.2005 - 5 StR 230/05
5 StR 230/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
26.07.2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26.07.2005
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 15. Dezember 2004 nach § 349
Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
G r ü n d e
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung in Tateinheit
mit Sachbeschädigung, wegen Nötigung und wegen
versuchten Mordes in
Tateinheit mit versuchter Brandstiftung mit Todesfolge und in weiterer
Tateinheit
mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben
Jahren
und vier Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine
Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten
ist im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet,
soweit sie sich gegen
den Schuld- und Strafausspruch richtet. Demgegenüber hat die
Maßregelanordnung
keinen Bestand, weil die Voraussetzungen der Unterbringung
gemäß
§ 63 StGB nicht ausreichend dargetan worden sind.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts reichte die Ehefrau des
Angeklagten Ende März 2004 die Scheidung ein. Der Angeklagte,
der eine
Trennung nicht hinnehmen wollte, bedrängte die
Nebenklägerin, von einer
Scheidung Abstand zu nehmen. Da er in diesem Zusammenhang auch Drohungen
ausstieß, verließ die Nebenklägerin die
gemeinsame Wohnung und
zog zu ihren Eltern. Dort versuchte der Angeklagte im Mai 2004, mit
Gewalt
einzudringen, weil er vermutete, daß seine Ehefrau in der
Wohnung mit einem
anderen Mann zusammen wäre. Erst als die
Nebenklägerin drohte, die
Polizei zu alarmieren, gab er sein Vorhaben auf.
Im Anschluß begab er sich zu der Gartenlaube seiner
Schwiegereltern,
wo er seinen Schwiegervater mit vorgehaltenem Messer dazu zwang,
für ihn eine telefonische Verbindung mit der
Nebenklägerin herzustellen.
Während des Telefonats mit seiner Ehefrau hielt er seine
Schwiegereltern
weiterhin mit dem Messer in Schach. Als er merkte, daß die
Polizei benachrichtigt
worden war, ließ er sich das Messer abnehmen und brach weinend
zusammen.
Etwa eine Woche später stieg er nachts in die Wohnung seiner
Schwägerin ein, da die Nebenklägerin dort
übernachtete. Er bedrohte seine
Ehefrau mit einem Messer und schüttete aus einem mitgebrachten
Kanister
eineinhalb Liter Benzin in Richtung auf die Nebenklägerin und
ihre Schwester
aus. Dabei erklärte er, er würde das Benzin
entzünden, wenn seine Ehefrau
nicht mit ihm käme. Zunächst gelang es beiden Frauen,
dem Angeklagten
das bereits angezündete Feuerzeug - der Angeklagte
führte insgesamt drei
Feuerzeuge mit sich - abzunehmen. Ein erneuter Versuch, das Benzin mit
einem zweiten Feuerzeug in Brand zu setzen, scheiterte daran,
daß ein
durch die Hilferufe der Frauen alarmierter benachbarter Polizeibeamter
den
Angeklagten überwältigen konnte.
2. Hinsichtlich der ersten beiden Tatkomplexe hat das
sachverständig
beratene Landgericht eine erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit
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des Angeklagten nicht auszuschließen vermocht. Es ist jedoch
bei der dritten
Tat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen
Sachverständigen trotz einer
insoweit mißverständlichen Wendung im Urteil davon
ausgegangen, daß
in diesem Fall die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
erheblich eingeschränkt
gewesen sei.
Als Grundlage für die Anwendung des § 21 StGB hat die
Strafkammer
eine dauerhaft bestehende Fehlentwicklung der Persönlichkeit
des Angeklagten
angenommen, die eine schwere seelische Abartigkeit darstelle. In allen
drei Fällen habe sich der Angeklagte aufgrund der akuten
Trennungslage in
einem situationsübergreifenden Zustand der Dekompensation
dieser Fehlentwicklung
befunden. Im dritten Fall komme hinzu, daß der Angeklagte bei
dieser Tat - möglicherweise auch nur demonstrativ - suizidal
gewesen sei,
weshalb hier von dem Vorliegen einer erheblichen Einschränkung
der Steuerungsfähigkeit
auszugehen sei. Zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten
in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht
ausgeführt,
daß diese Persönlichkeitsfehlentwicklung die Gefahr
in sich berge, daß
es bei jedem Verlust einer engen Bezugsperson zu erneuter Dekompensation
mit entsprechenden Verhaltensweisen und damit zu weiteren
schwerwiegenden
Straftaten kommen könne.
II.
Diese Feststellungen und Bewertungen sind nicht geeignet, die Anordnung
der Unterbringung gemäß § 63 StGB zu
rechtfertigen.
1. Diese setzt zunächst die positive Feststellung eines
länger andauernden,
nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine
erhebliche
Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB begründet,
und ferner, daß der Täter in diesem Zustand eine
rechtswidrige Tat
begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21
StGB rechtfertigenden
dauerhaften Defekt zurückzuführen ist (st. Rspr., BGH
NStZ 1999, 128,
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129 m.w.N.). Dabei können auch nicht pathologisch bedingte
Störungen Anlaß
für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein, wenn sie
in ihrem Gewicht
den krankhaften seelischen Störungen entsprechen (BGHSt 34,
22, 28). Die
Diagnose einer wie auch immer gearteten
Persönlichkeitsstörung läßt
zunächst
für sich genommen eine Aussage über die Frage der
Schuldfähigkeit
des Täters nicht zu (vgl. BGHSt 42, 385, 388 m. Anm.
Kröber/Dannhorn
NStZ 1998, 80, 81; Jähnke in LK 11. Aufl. § 20 Rdn.
67 f.). Vielmehr bedarf
es einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und
ihrer Entwicklung, um
feststellen zu können, ob die
Persönlichkeitsstörung des Täters sein Leben
vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen wie eine
krankhafte seelische
Störung - auch im Hinblick auf seine Fähigkeit zu
normgemäßen Verhalten -
stört, belastet oder einengt (vgl. BGHSt 37, 397, 401; BGH
NStZ 2000, 585).
Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht.
2. Bereits die Bewertung der vom Landgericht beschriebenen
Persönlichkeitsfehlentwicklung
läßt besorgen, daß Eigenschaften und
Verhaltensweisen,
die durchaus auch bei schuldfähigen Menschen vorkommen
können,
ohne weiteres als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich
beeinträchtigenden
seelischen Abartigkeit angesehen werden. So führt die
Strafkammer
zur Begründung der Persönlichkeitsstörung
des Angeklagten aus, daß
dieser Versagungen kaum zu überwinden vermöge, zu
selbstschonendem
Verhalten neige und diese Tendenzen durch die enge Bindung zu einer
Bezugsperson
(hier Ehefrau) zu kompensieren suche. Dabei setze er Zwangsmechanismen,
aber auch histrionische Mittel ein, was im Normalfall auch
ohne größere Komplikationen gelinge. Falls der
Verlust der Bezugsperson
drohe oder bereits erfolgt sei, komme es zu depressiven Verstimmungen
bis
hin zu (auch) demonstrativen, ein Hilfesuchen signalisierenden
Selbsttötungsversuchen.
3. Daß das Landgericht auf der Grundlage dieser
Erwägungen das
Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB nicht
ausschließen bzw. bei
dem dritten Tatkomplex die Voraussetzungen als gegeben erachtet hat, be-
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schwert den Angeklagten nicht. Doch ist damit der für die
Anordnung der Unterbringung
nach § 63 StGB erforderliche positive Nachweis eines
länger
andauernden Defektes nicht erbracht. Die dazu getroffenen Feststellungen
besagen insoweit nur, daß der Angeklagte aufgrund seiner
schwierigen Persönlichkeitsstruktur
in konflikthaften Grenzsituationen in einen Zustand geraten
kann, der die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit
im Sinne
des § 21 StGB rechtfertigt. Psychische
Auffälligkeiten, welche die Voraussetzungen
einer schweren seelischen Abartigkeit nicht erreichen, in bestimmten
Konfliktsituationen bei besonderer psychischer Belastung die
Voraussetzungen
aber erfüllen und zur erheblichen Einschränkung der
Steuerungsfähigkeit
führen, reichen für eine Unterbringung nach
§ 63 StGB regelmäßig nicht
aus (vgl. BGHSt 42, 385, 390; BGH, Beschluß vom 1. September
1998
- 4 StR 367/98).
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Gerhardt Schaal |