BGH,
Beschl. v. 26.7.2007 - 4 StR 239/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 239/07
vom
26. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen uneidlicher Falschaussage
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 26. Juli 2007
gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354
Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 25. September 2006 in den Strafaussprüchen mit den
jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das
Amtsgericht - Strafrichter - Bochum zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen uneidlicher Falschaussage
jeweils zu Geldstrafen von 150 Tagessätzen zu je 100 Euro (A.
und T. ) bzw. zu je 90 Euro (Al. -B. ) und 85 Euro (N. ) verurteilt.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen,
mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügen. Die
Rechtsmittel haben zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen
erweisen sie sich als unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
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Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, da die Ablehnung eines
Aussagenotstandes nach § 157 StGB durchgreifenden rechtlichen
Bedenken begegnet.
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1. Nach den Feststellungen war im Jahr 2004 ein Strafverfahren u.a.
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gegen einen
Sportlehrer des Gymnasiums, an welchem auch die Angeklagten als Lehrer
tätig waren, beim Landgericht Bochum anhängig. Dem
Lehrer wurde u.a. vorgeworfen, Schülerinnen im Rahmen des
Sportunterrichts unangemessen berührt zu haben. In der
Hauptverhandlung vom 24. September 2004 wurden die Angeklagten vor der
Strafkammer des Landgerichts Bochum als Zeugen gehört. Obwohl
sich in den Schuljahren 1997/98 bzw. 2002/2003 11 bis
12jährige Schülerinnen sowie die Eltern einer
betroffenen Schülerin bei ihnen in ihren damaligen Funktionen
als Klassenlehrer (N. , A. und T. ) bzw. als Vertrauenslehrerin (Al.
-B. ) über sexuelle Belästigungen und verbale
Anzüglichkeiten ihres Kollegen während des
Sportunterrichts beschwert hatten, stellten die Angeklagten bei ihren
Zeugenvernehmungen auf entsprechende Befragung nach Belehrung
über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO
wider besseres Wissen die Kenntnis solcher Beschwerden in Abrede oder
gaben wahrheitswidrig an, sich daran nicht zu erinnern. Bereits vor
diesen richterlichen Vernehmungen hatten die Angeklagten
anlässlich einer Vorladung bei der oberen
Schulaufsichtsbehörde im Sommer 2004 ebenfalls der Wahrheit
zuwider erklärt, von sexuellen Übergriffen des
Sportlehrers nichts zu wissen.
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2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Angeklagten bei
ihren Zeugenvernehmungen vor dem Landgericht zwar deshalb die
Unwahrheit sagten, um die Gefahr dienstrechtlicher Konsequenzen von
sich abzuwenden. Eine Absicht, sich durch die Falschaussagen
darüber hinaus vor strafrechtlicher Verfolgung zu
schützen, hat es hingegen nicht festzustellen vermocht. Dies
ergebe sich aus dem Umstand, dass die Angeklagten trotz entsprechender
Belehrung von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht
hätten.
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Zudem habe eine strafrechtliche Verfolgung der Angeklagten zum
damaligen Zeitpunkt nicht im Raum gestanden.
Diese Begründung vermag die Ablehnung eines Aussagenotstandes
nach § 157 StGB nicht zu rechtfertigen.
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a) Für die Annahme einer Zwangslage nach § 157 StGB
ist allein das Vorstellungsbild des Täters, bei
wahrheitsgemäßer Aussage die Bestrafung wegen eines
vorausgegangenen Verhaltens befürchten zu müssen,
maßgeblich. Auf das objektive Vorhandensein einer solchen
Gefahr kommt es dabei nicht an. § 157 StGB ist deshalb selbst
dann anwendbar, wenn der Zeuge nur irrtümlich die Gefahr
gerichtlicher Bestrafung angenommen hat (vgl. BGHSt 8, 316, 317; BGH
bei Detter NStZ 1990, 222).
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Vor dem Hintergrund dieser rein subjektiven Zielrichtung der Vorschrift
ist es entgegen der Auffassung des Landgerichts keineswegs nahe
liegend, dass ein Zeuge, der sich im Falle einer
wahrheitsgemäßen Aussage begründet oder nur
irrtümlich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sieht,
dieser Zwangslage dadurch zu entgehen versucht, dass er sich auf sein
Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StGB beruft. Vielmehr
kommt ebenso in Betracht, dass dieser Zeuge bei seiner Vernehmung von
der Vorstellung geleitet wird, schon durch das Gebrauchmachen vom
Auskunftsverweigerungsrecht sein früheres - aus seiner Sicht
strafrechtlich relevantes - Fehlverhalten einzugestehen, und deshalb
zum Mittel der Falschaussage greift. Dies gilt erst recht mit Blick auf
§ 56 StPO, wonach der Zeuge, der sich auf § 55 StPO
beruft, auf Verlangen verpflichtet ist, die Gründe
für die Aussageverweigerung anzugeben. In einer solchen
Zwangslage könnten sich auch die Angeklagten bei ihrer Aussage
vor
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dem Landgericht befunden haben. Hiermit hat sich das Landgericht nicht
auseinandergesetzt.
b) Eine Erörterung dieses möglichen Beweggrundes
für die Falschaussagen war nicht etwa deshalb entbehrlich,
weil nicht nur objektiv, sondern - was allein maßgeblich ist
- auch aus Sicht der Angeklagten im Zeitpunkt ihrer Vernehmung eine
Strafverfolgung wegen ihres früheren Verhaltens ausgeschlossen
war. Hier liegt es nämlich keinesfalls fern, dass, worauf die
Revision zu Recht hinweist, die Angeklagten bei ihren Vernehmungen
davon ausgingen, durch ihre Untätigkeit weitere Sexualdelikte
ihres Kollegen, insbesondere mögliche Vergehen des sexuellen
Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB,
gefördert, sich mithin der Beihilfe durch Unterlassen zu
solchen Taten schuldig gemacht zu haben. Als Klassen- bzw.
Vertrauenslehrern oblag den Angeklagten eine Garantenpflicht zum Schutz
der ihnen anvertrauten Schüler. Diese verpflichtete sie, die
ihnen anvertrauten Schüler im Schulbetrieb vor
gesundheitlichen Schäden zu bewahren (vgl. BGH VersR 1955,
742, 743; OLG Köln NJW 1986, 1947, 1948). Die Angeklagten
wären deshalb gehalten gewesen, zumutbare Maßnahmen
zur Verhinderung weiterer sexueller Übergriffe ihres Kollegen
- nahe liegend etwa durch Unterrichtung des Schulleiters - zu treffen
(vgl. BGHSt 43, 82, 87; BGH bei Holtz MDR 1982, 626; BGH MDR 1984, 274).
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Nicht auszuschließen ist darüber hinaus, dass die
Angeklagten auch glaubten, sich (zudem) der versuchten Strafvereitelung
schuldig gemacht zu haben. Dies käme etwa dann in Betracht,
wenn sie meinten, die Schulaufsichtsbehörde hätte
ihre dort getätigten falschen Angaben an die
Strafverfolgungsbehörden zu dem gegen den Kollegen
geführten Strafverfahren weitergeleitet.
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3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs.
3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Amtsgericht -
Strafrichter - Bochum zurück, da dessen Strafgewalt hier
ausreicht. Sollte in der neuen Hauptverhandlung nicht geklärt
werden können, ob die Angeklagten bei ihren Falschaussagen
auch aus dem Motiv der Abwehr strafrechtlicher Verfolgung gehandelt
haben, wird insoweit nach dem Zweifelsgrundsatz zu verfahren und zu
Gunsten der Angeklagten vom Vorliegen eines Aussagenotstands auszugehen
sein (vgl. BGH NStZ 1988, 497).
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Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible |