BGH,
Beschl. v. 26.7.2007 - 4 StR 240/07
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 240/07
vom
26. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen uneidlicher Falschaussage
- 2 -
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. Juli
2007 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, §
354 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 27. November 2006 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das
Amtsgericht - Strafrichter - Bochum zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen uneidlicher Falschaussage zu
einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 110 Euro
verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen
erweist es sich als unbegründet im Sinne des § 349
Abs. 2 StPO.
1
Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, da die Ablehnung eines
Aussagenotstandes nach § 157 StGB durchgreifenden rechtlichen
Bedenken begegnet.
2
- 3 -
1. Nach den Feststellungen war im Jahr 2004 ein Strafverfahren u.a.
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen gegen einen
Sportlehrer des Gymnasiums, an welchem der Angeklagte bis Ende Juli
2001 als Schulleiter tätig war, beim Landgericht Bochum
anhängig. Dem Lehrer wurde u.a. vorgeworfen,
Schülerinnen im Rahmen des Sportunterrichts unangemessen
berührt zu haben. In der Hauptverhandlung vom 24. September
2004 wurde der Angeklagte vor der Strafkammer des Landgerichts Bochum
als Zeuge gehört. Obwohl sich im Schuljahr 1997/98 11 bis
12jährige Schülerinnen sowie im Januar 2001 die
Mutter einer betroffenen Schülerin bei ihm über
sexuelle Belästigungen und verbale Anzüglichkeiten
seines Kollegen während des Sportunterrichts beschwert hatten,
stellte der Angeklagte bei seiner Zeugenvernehmung auf entsprechende
Befragung nach Belehrung über sein Auskunftsverweigerungsrecht
nach § 55 StPO wider besseres Wissen die Kenntnis solcher
Beschwerden in Abrede bzw. gab wahrheitswidrig an, sich daran nicht zu
erinnern.
3
2. Das Landgericht hat eine Absicht des Angeklagten, sich durch die
Falschaussage vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen,
nicht festzustellen vermocht. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass
der Angeklagte trotz entsprechender Belehrung von seinem
Auskunftsverweigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht habe. Zudem habe
eine strafrechtliche Verfolgung des Angeklagten zum damaligen Zeitpunkt
nicht im Raum gestanden.
4
Diese Begründung vermag die Ablehnung eines Aussagenotstandes
nach § 157 StGB nicht zu rechtfertigen.
5
a) Für die Annahme einer Zwangslage nach § 157 StGB
ist allein das Vorstellungsbild des Täters, bei
wahrheitsgemäßer Aussage die Bestrafung wegen eines
vorausgegangenen Verhaltens befürchten zu müssen,
maßgeb-
6
- 4 -
lich. Auf das objektive Vorhandensein einer solchen Gefahr kommt es
dabei nicht an. § 157 StGB ist deshalb selbst dann anwendbar,
wenn der Zeuge nur irrtümlich die Gefahr gerichtlicher
Bestrafung angenommen hat (vgl. BGHSt 8, 316, 317; BGH bei Detter NStZ
1990, 222).
Vor dem Hintergrund dieser rein subjektiven Zielrichtung der Vorschrift
ist es entgegen der Auffassung des Landgerichts keineswegs nahe
liegend, dass ein Zeuge, der sich im Falle einer
wahrheitsgemäßen Aussage begründet oder nur
irrtümlich strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sieht,
dieser Zwangslage dadurch zu entgehen versucht, dass er sich auf sein
Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StGB beruft. Vielmehr
kommt ebenso in Betracht, dass dieser Zeuge bei seiner Vernehmung von
der Vorstellung geleitet wird, schon durch das Gebrauchmachen vom
Auskunftsverweigerungsrecht sein früheres - aus seiner Sicht
strafrechtlich relevantes - Fehlverhalten einzugestehen, und deshalb
zum Mittel der Falschaussage greift. Dies gilt erst recht mit Blick auf
§ 56 StPO, wonach der Zeuge, der sich auf § 55 StPO
beruft, auf Verlangen verpflichtet ist, die Gründe
für die Aussageverweigerung anzugeben. In einer solchen
Zwangslage könnte sich auch der Angeklagte bei seiner Aussage
vor dem Landgericht befunden haben. Hiermit hat sich das Landgericht
nicht auseinandergesetzt.
7
b) Eine Erörterung dieses möglichen Beweggrundes
für die Falschaussage war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil
nicht nur objektiv, sondern - was allein maßgeblich ist -
auch aus Sicht des Angeklagten im Zeitpunkt seiner Vernehmung eine
Strafverfolgung wegen seines früheren Verhaltens
ausgeschlossen war. Hier liegt es nämlich keinesfalls fern,
dass, worauf die Revision zu Recht hinweist, der Angeklagte bei seiner
Vernehmung davon ausging, durch seine Untätigkeit weitere
Sexualdelikte seines Kollegen, insbesondere mögliche
8
- 5 -
Vergehen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach §
174 Abs. 1 Nr. 1 StGB, gefördert, sich mithin jedenfalls der
Beihilfe durch Unterlassen zu solchen Taten schuldig gemacht zu haben.
Als Schulleiter oblag dem Angeklagten eine Garantenpflicht zum Schutz
der ihm anvertrauten Schüler. Diese verpflichtete ihn, die
Schüler im Schulbetrieb vor gesundheitlichen Schäden
zu bewahren (vgl. BGH VersR 1955, 742, 743; OLG Köln NJW 1986,
1947, 1948). Der Angeklagte wäre als Schulleiter deshalb
gehalten gewesen, zumutbare Maßnahmen zur Verhinderung
weiterer sexueller Übergriffe seines Kollegen zu treffen (vgl.
BGHSt 43, 82, 87; BGH bei Holtz MDR 1982, 626; BGH MDR 1984, 274).
3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs.
3 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Amtsgericht -
Strafrichter - Bochum zurück, da dessen Strafgewalt hier
ausreicht. Sollte in der neuen Hauptverhandlung nicht geklärt
werden können, ob der Angeklagte bei seiner Falschaussage aus
dem Motiv der Abwehr strafrechtlicher Verfolgung gehandelt hat,
9
- 6 -
wird insoweit nach dem Zweifelsgrundsatz zu verfahren und zu seinen
Gunsten vom Vorliegen eines Aussagenotstands auszugehen sein (vgl. BGH
NStZ 1988, 497).
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible |