BGH,
Beschl. v. 26.6.2002 - 1 StR 145/02
1 StR 145/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
26. Juni 2002
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat am 26. Juni 2002
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten S. und A. wird das Urteil des
Landgerichts Traunstein vom 26. Oktober 2001, soweit es diese
Angeklagten betrifft, im Rechtsfolgenausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen dieser Angeklagten gegen das
vorbezeichnete Urteil werden als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gefährlicher
Körperverletzung sowie wegen vorsätzlicher
Körperverletzung schuldig gesprochen und die Angeklagte S.
deshalb zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, den
Angeklagten A. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs
Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen dieser
Angeklagten sind zum Schuldspruch unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO, führen jedoch zur Aufhebung der
Rechtsfolgenaussprüche.
1. Der Rechtsfolgenausspruch gegen beide Angeklagte kann aus
sachlich-rechtlichen Gründen keinen Bestand haben. Das
Landgericht versagt dem Angeklagten A. eine Strafrahmenmilderung nach
den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und der Angeklagten S. eine
entsprechend begründbare Milderung der Jugendstrafe (vgl. dazu
BGH StV 1989, 545), weil deren Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit
nicht erheblich vermindert gewesen sei. Dafür gibt die
Strafkammer jedoch keine tragfähige und nachvollziehbare
Begründung. Das erweist sich hier angesichts der
festgestellten Blutalkoholkonzentrationen der Angeklagten zur Tatzeit
als Erörterungsmangel und als Lücke in der
Beweiswürdigung.
Aufgrund der tatzeitnahe genossenen alkoholischen Getränke hat
das Landgericht - sachverständig beraten - für die
Angeklagte S. eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,86 Promille,
für den Angeklagten A. eine solche von 3,25 Promille zur
Tatzeit festgestellt (UA S. 16). In seiner Würdigung zur
Schuldfähigkeit führt es lediglich an, die
Angeklagten seien zur Tatzeit für ihr strafrechtlich
relevantes Verhalten voll verantwortlich gewesen. Nach dem
"überzeugenden, nachvollziehbaren, schlüssigen und
widerspruchsfreien Gutachten" des vernommenen Sachverständigen
habe zur Tatzeit keine Einschränkung der
Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB
vorgelegen, und zwar auch nicht "wegen deren Alkoholisierung" (UA S.
26). Weitere Ausführungen mit sachlichem Gehalt sind dem
Urteil zu dieser Frage nicht zu entnehmen.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist anerkannt,
daß das Vorliegen einer krankhaften seelischen
Störung infolge übermäßigen
Alkoholkonsums regelmäßig bei einem Blutalkoholwert
von 2,0 Promille aufwärts der Erörterung im Urteil
bedarf. Bei schwerwiegenden Gewalttaten, die sich gegen Leib oder Leben
des Opfers richten, ist dies mit Blick auf die Überschreitung
einer höheren Hemmschwelle ab einem Blutalkoholwert von 2,2
Promille zur Tatzeit anzunehmen. Das gilt auch für die
gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben
gefährdenden Behandlung (siehe nur BGHSt 43, 66, 69). Dieser
Erörterungspflicht hat das Landgericht nicht genügt.
Auch die im übrigen festgestellten Umstände belegen
unter dem Gesichtspunkt sog. psychodiagnostischer Kriterien einen
Ausschluß erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit
nicht sicher; vielmehr wäre auch insoweit eine entsprechende
Würdigung geboten gewesen. Die bloße Mitteilung des
Ergebnisses des Sachverständigengutachtens hierzu vermag eine
nachvollziehbare Erörterung durch den Tatrichter nicht zu
ersetzen. Die Frage muß deshalb neu verhandelt und
entschieden werden.
Da angesichts der Feststellungen im übrigen und im Blick auf
das Tatverhalten sicher auszuschließen ist, daß die
Angeklagten zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sein
könnten, unterliegt lediglich der Rechtsfolgenausspruch der
Aufhebung. Eine Erstreckung der Entscheidung auf die nicht
revisionsführenden Mitangeklagten R. und Ar. kommt hier nicht
in Betracht (vgl. § 357 StPO). R. hatte lediglich eine
maximale Blutalkoholkonzentration von 1,54 Promille zur Tatzeit. Bei
Ar. belief sich diese zwar auf 2,35 Promille. Der Senat
schließt jedoch aus, daß der ihn betreffende
Rechtsfolgenausspruch auf dem bezeichneten Erörterungsmangel
beruhen kann. Das Landgericht hat gegen ihn lediglich drei
Freizeitarreste ausgesprochen und ihm die Weisung erteilt, an einem
sozialen Trainingskurs teilzunehmen.
2. Der Senat weist überdies darauf hin, daß das
Urteil auch unter einem von der Revision des Angeklagten A.
beanstandeten Verfahrensmangel leidet. Die Strafkammer hat
versäumt, den von der Verteidigung dieses Angeklagten
gestellten Hilfsbeweisantrag auf Einholung eines weiteren medizinischen
Sachverständigengutachtens zur Frage einer etwaigen
Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zu
bescheiden (vgl. dazu die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom
25. April 2002, S. 4 unter Ziffer II. 1.).
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