BGH,
Beschl. v. 26.6.2008 - AK 10/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
__________
AK 10/08
vom
26. Juni 2008
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts sowie des Angeschuldigten und seines Verteidigers
am 26. Juni 2008 gemäß § 121, §
122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den
Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem
Oberlandesgericht Frankfurt am Main übertragen.
Gründe:
I.
Der Angeschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 23. November 2007 (1 BGs
508/2007) am 27. November 2007 festgenommen und befindet sich seit dem
28. November 2007 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 7.
März 2008 erließ der Ermittlungsrichter des
Bundesgerichtshofs einen erweiterten Haftbefehl (1 BGs 44/2008), der
dem Angeschuldigten am 13. März 2008 eröffnet wurde.
Unter dem 17. Mai 2008 hat der Generalbundesanwalt gegen ihn wegen des
Vorwurfs eines Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz
und zweier Verstöße gegen das
Außenwirtschaftsgesetz Anklage zum Oberlandesgericht
Frankfurt am Main erhoben.
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II.
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft
über sechs Monate hinaus liegen vor. Der Senat stützt
seine Entscheidung jedoch allein auf den dem Angeschuldigten zur Last
gelegten Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz.
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1. Der Angeschuldigte ist aufgrund des Ergebnisses der
durchgeführten Ermittlungen, namentlich der in der
Anklageschrift vom 17. Mai 2008 aufgeführten Beweismittel, im
Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO insoweit dringend
verdächtig, sich wie folgt strafbar gemacht zu haben:
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a) Er betrieb ein Einzelhandelsunternehmen in Frankfurt am Main und
betätigte sich als Handelsvertreter für in den Iran
zu liefernde Industriemaschinen, Zubehör und Rohmaterialien.
Im Rahmen dieser Tätigkeit unterhielt er Kontakte zu einem in
Teheran ansässigen Unternehmen, das sich mit der Beschaffung
von nuklearrelevanten und militärischen Gütern
für den Iran befasst und sich zur Umgehung der insoweit
geltenden Handelsbeschränkungen mehrerer Tarnfirmen mit Sitz
etwa in Dubai und den Vereinten Arabischen Emiraten bedient.
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Im April 2007 erhielt der Angeschuldigte eine Anfrage aus dem Iran auf
Lieferung zweier Hochgeschwindigkeitskameras, die zur Entwicklung von
Atomsprengköpfen benötigt werden. Er ging zutreffend
davon aus, dass die Kameras für das iranische
Atomwaffenprogramm bestimmt waren, und fragte bei dem russischen
Hersteller nach der Ware an, wobei er als Kaufinteressentin eine
Universität im Nahen Osten benannte. Kurze Zeit
später traf er mit dem Hersteller eine unwiderrufliche
Kaufvereinbarung und sandte an eine Tarnfirma des genannten iranischen
Unternehmens ein verbindliches Angebot. Daraufhin wurde einem seiner
iranischen Geldkonten eine Spesenvorauszahlung in Höhe
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von 3.297,50 € gutgeschrieben. Im Juni 2007 reiste der
Angeschuldigte nach Moskau, um dort die Einzelheiten des
Vertragsschlusses persönlich zu regeln. Während eines
Aufenthalts im Iran ab dem 20. August 2007 konnte er die letzten
Einzelheiten, insbesondere die Übermittlung einer geeigneten
Endverbleibserklärung an den Verkäufer, regeln. Die
Auslieferung der Kameras an den Endkunden im Iran erfolgte bis
spätestens 1. November 2007.
b) Demnach förderte der Angeschuldigte durch die
geglückte Lieferung der für die Produktion von
Atomwaffen durch den Iran wichtigen Kameras - mit hoher
Wahrscheinlichkeit gewerbsmäßig handelnd - die
Entwicklung von Atomwaffen im Iran (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m.
Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 17 Abs. 2 KWKG). Ein "Entwickeln" in
diesem Sinne setzt nicht voraus, dass die Tätigkeit auf die
Schaffung einer bislang mit ihren spezifischen Eigenschaften noch nicht
existenten Kriegswaffe abzielt (so aber LG Stuttgart NStZ 1997, 290 zu
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 KWKG). Eine derart enge Auslegung des
Tatbestandsmerkmals widerspricht - insbesondere vor dem Hintergrund der
verfassungsrechtlichen Verankerung der Kriegswaffenkontrolle in Art. 26
Abs. 2 GG - dem Regelungsziel des Kriegswaffenkontrollgesetzes (vgl.
hierzu Holthausen NJW 1991, 203) und wird dem Umstand nicht gerecht,
dass im Bereich der Kriegswaffenproduktion mittlerweile nicht das
"Erfinden" völlig neuer Waffen, sondern das Erlangen der
technologischen Voraussetzungen für eine Eigenproduktion
bereits bekannter Kriegswaffen im Vordergrund steht (vgl. OLG
Düsseldorf NStZ 2000, 378, 379; Holthausen NStZ 1997, 290;
ders. wistra 1998, 209; Pietsch NStZ 2001, 234).
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2. Da bereits der unter 1. dargelegte dringende Tatverdacht die
Anordnung der Haftfortdauer trägt (s. 3. - 5.), bedarf es
keines näheren Eingehens auf die Frage, ob der Angeschuldigte
auch der beiden ihm im Haftbefehl vom 7. März 2008 und der
Anklageschrift angelasteten Verstöße gegen das
Außen-
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wirtschaftsgesetz dringend verdächtig ist. Der Senat sieht
daher davon ab, sich mit den insoweit stellenden komplexen Rechtsfragen
im Haftprüfungsverfahren näher auseinanderzusetzen
und merkt lediglich Folgendes an:
a) Soweit es den Vorwurf des gewerbsmäßigen
ungenehmigten Erbringens von Maklerdienstleistungen in Bezug auf
Güter betrifft, die von Anhang II der Iranembargoverordnung
(EG) Nr. 423/2007 erfasst werden (§ 34 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. b,
Abs. 6 Nr. 2 AWG i. V. m. § 69 o Abs. 9, § 70 a Abs.
2 Nr. 9 AWV), geht der Generalbundesanwalt in seiner Anklageschrift
zutreffend davon aus, dass die Strafbarkeit nach den genannten
Vorschriften erst mit Einführung von § 69 o AWV durch
die 80. AWV-ÄnderungsVO vom 16. August 2007 begründet
wurde. Diese Verordnung ist am 21. August 2007 im Bundesanzeiger
veröffentlicht worden. Für die Bewertung des
dringenden Tatverdachts sind somit allein diejenigen
Tätigkeiten des Angeschuldigten maßgebend, die
dieser ab dem 22. August 2007 entfaltete (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl.
§ 2 Rdn. 3).
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Mit Blick darauf, dass der Angeschuldigte bereits am 20. August 2007,
mithin vor Inkrafttreten des § 69 o AWV, in den Iran reiste,
seine Bemühungen um die Neutronendetektoren des
US-amerikanischen Herstellers LND in der Folgezeit von dort aus
tätigte, ihm am 5. November 2007 mitgeteilt wurde, dass von
Seiten des Irans auf die Lieferung der Geräte verzichtet
werden sollte, und er nach seiner Rückkehr in die
Bundesrepublik Deutschland sich im Wesentlichen nur noch um die
Rückabwicklung der geschlossenen vertraglichen Vereinbarung
bemühte, wird daher insoweit zunächst die Frage der
Anwendbarkeit des materiellen deutschen Strafrechts in den Blick zu
nehmen sein. Hieran anschließend wird gegebenenfalls zu
prüfen sein, ob die vom Angeschuldigten ab dem 22. August 2007
hinsichtlich der Lieferung der Detektoren unternommenen
Bemühungen noch unter das Tatbestandsmerkmal des "Erbringens
von Maklerdiensteistungen" subsumiert werden können, obwohl -
soweit er-
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sichtlich - schon vor diesem Zeitpunkt die maßgeblichen
Vereinbarungen geschlossen und die vertraglich vereinbarten Zahlungen
geleistet worden waren. Alternativ wird die Anwendbarkeit anderer
ausfuhrrechtlicher Straftatbestände in Betracht zu ziehen sein
(vgl. Haftbefehl vom 7. März 2008).
b) Zum Vorwurf der verbotenen Vermittlung von
Rüstungsgütern (§ 34 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. b,
§ 33 Abs. 1 AWG i. V. m. § 69 o Abs. 2, § 70
a Abs. 2 Nr. 3 AWV) wird in rechtlicher Hinsicht zu klären
sein, ob der Angeschuldigte tatsächlich
"Vermittlungsgeschäfte" im Sinne des § 4 c Nr. 6,
§ 69 o Abs. 2 AWV vorgenommen hat. Denn er schloss
für seine eigene Firma einen Kaufvertrag über 20
nachtsichttaugliche Ferngläser mit dem Schweizer Hersteller
und übersandte seinerseits ein verbindliches Angebot an den
vorgegebenen (Schein-)Abnehmer in Dubai. Mithin waren seine
Tätigkeiten nicht auf den Abschluss von Verträgen
zwischen Dritten gerichtet; vielmehr trat er in gewisser Weise als
Zwischenhändler auf. Gegebenenfalls wird in Betracht zu ziehen
sein, ob der Angeschuldigte die tatbestandlichen Voraussetzungen durch
die Vornahme eines untersagten "Handelsgeschäfts" in Bezug auf
ein in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste (Anlage AL) zur
Außenwirtschaftsverordnung erfasstes Gut erfüllt
haben könnte.
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Außerdem wird zu prüfen sein, ob die Tat nicht
eventuell schon vor dem 22. August 2007 beendet war. Hierzu besteht
deswegen Anlass, weil der Angeschuldigte, nachdem eine ausreichende
Endverbleibserklärung nicht beschafft werden konnte und das
Geschäft aus diesem Grund in dem ursprünglich
vereinbarten Umfang scheiterte, im Oktober 2007 lediglich noch
versuchte, die Auslieferung von fünf Ferngläsern und
damit eine teilweise Erfüllung der vor dem 22. August 2007
geschlossenen Vereinbarung zu erreichen. Es stellt sich daher die
Frage, ob dies noch Teil der materiellen Tatbeendigung ist. Im Falle
einer Tatbeendigung vor dem 22. August 2007 würde sich die
Strafbarkeit des
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Angeschuldigten nach der alten Rechtslage richten, mithin nach
§ 34 Abs. 2, § 33 Abs. 1 AWG i. V. m. § 70
Abs. 1 Nr. 6, § 40 AWV. Voraussetzung wäre dann unter
anderem, dass die Handlung des Angeschuldigten geeignet war, die
äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland,
das friedliche Zusammenleben der Völker oder die
auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland
erheblich zu gefährden (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AWG).
3. Zu dem bestehenden Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2
Nr. 2 StPO) verweist der Senat auf die in dem Haftbefehl des
Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2008
enthaltenen zutreffenden Ausführungen, die weiterhin gelten.
Der Angeschuldigte hat intensive familiäre Beziehungen in den
Iran, wo er ein Wohnanwesen besitzt und Kontoverbindungen
unterhält. In eine Reihe weiterer Länder pflegt er
vielfältige familiäre, freundschaftliche und
geschäftliche Kontakte. Diese persönlichen Bindungen
des Angeschuldigten im Ausland und seine dort befindlichen
Vermögenswerte lassen es wahrscheinlicher erscheinen, dass er
- in Freiheit belassen - sich dem Strafverfahren entziehen wird, als
dass er sich ihm stellt.
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Aus diesen Gründen kann der Zweck der Untersuchungshaft auch
nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren
Vollzug erreicht werden (§ 116 StPO).
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4. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der
Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121
Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere
Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und
rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Nach der Festnahme
des Angeschuldigten waren umfangreiche weitere Ermittlungen zu
führen. Unter anderem waren elektronische Dateien zu sichten
und auszuwerten, Sachverständigengutachten einzuholen und zu
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werten sowie die Protokolle von abgehörten
Telefongesprächen in die deutsche Sprache zu
übersetzen. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Ausführungen in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 23.
Mai 2008 Bezug genommen. Mit der zwischenzeitlichen Erhebung der
Anklage ist das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen
Beschleunigung geführt worden.
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den
Angeschuldigten erhobenen Tatvorwurf des
gewerbsmäßigen Förderns der Entwicklung von
Atomwaffen, der mit einer Strafdrohung von mindestens zwei Jahren
Freiheitsstrafe bedroht ist (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 KWKG), nicht
außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
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Becker Miebach Schäfer |