BGH,
Beschl. v. 26.3.2002 - 2 StR 59/02
2 StR 59/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
26. März 2002
in der Strafsache gegen
wegen räuberischen Diebstahls u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26.
März 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Meiningen vom 29. Oktober 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen
Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der (Gesamt-)Freiheitsstrafe von einem
Jahr und zwei Monaten verurteilt. Vom Vorwurf des Diebstahls hat es den
Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Zudem hat
das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und für die Erteilung
einer Fahrerlaubnis eine Sperre von zwei Jahren festgesetzt. Die mit
der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten
führt zur Aufhebung dieses Urteils.
Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des geständigen
Angeklagten bei den festgestellten drei rechtswidrigen Taten
hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
Das Landgericht hat folgende Taten festgestellt:
1. Am 31. August 2000 wollte der Angeklagte an einem Geldautomaten 30
DM abheben. Als dies nicht funktionierte, fragte er am Schalter der
Sparkasse und wurde an die Hauptstelle verwiesen. Hierüber war
der Angeklagte sehr erbost. Er hatte kein Geld, um zur Hauptstelle zu
fahren und war hungrig. In einem Zustand hochgradiger Erregung
entschloß er sich, 30 DM aus der Kasse eines benachbarten
Getränkemarkts zu entnehmen und den Betrag später
zurückzugeben. Als er das Geld aus der Kasse genommen hatte,
erklärte er der hinzukommenden Verkäuferin, er wolle
die 30 DM leihen. Um ihn am fliehen zu hindern, hielt ihn die
Verkäuferin fest. Der Angeklagte stieß sie in der
Absicht, das Geld zu behalten, zurück, so daß sie
verletzt wurde. Ein Jahr später gab der Angeklagte das Geld
zurück.
2. Am 20. September 2000 war der Angeklagte zu einem Arztbesuch im
psychiatrischen Fachkrankenhaus. Abschließend fragte er den
Arzt, ob die Sparkasse geöffnet sei, da er Geld für
die Heimfahrt benötige. Der Arzt bejahte dies. Die Sparkasse
war jedoch geschlossen. Der Angeklagte fühlte sich deshalb von
dem Arzt betrogen und war sehr zornig. Als er einen VW-Passat stehen
sah, fühlte er sich berechtigt, mit diesem wegzufahren. In der
Folgezeit betrachtete er das Fahrzeug als sein Auto.
3. Am 6. Dezember 2000 fuhr der Angeklagte mit dem entwendeten Fahrzeug
auf öffentlichen Straßen.
Zur psychischen Befindlichkeit des Angeklagten teilt das
sachverständig beratene Landgericht mit, bei dem Angeklagten
bestehe eine organische Persönlichkeitsveränderung,
die auf Hirnverletzungen zurückgehe, die er 1992 bei einem
Verkehrsunfall erlitten habe. Die gröbsten
Auffälligkeiten fänden sich im Bereich der
Impulssteuerung und Affektivität. Der Angeklagte
fühle sich oft aus nichtigem Anlaß provoziert. Zudem
hafte er an bestimmten Einstellungen, die von außen nicht
korrigierbar seien. Er meine, ohne Fahrerlaubnis sei das Leben nicht
lebenswert. Er sei sehr stark auf das Autofahren fixiert.
Gegenüber dem Sachverständigen habe er
geäußert, wenn er nicht Auto fahren dürfe,
sei der Staat selbst daran schuld, daß er sich eines Tages
ein Auto nehme und Leute töte. Die bereits vor dem Unfall
bestehende Dissozialität werde durch die hirnorganische
Veränderung akzentuiert.
Im Fall 1 (räuberischer Diebstahl) sei die
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten durch die als krankhafte
seelische Störung einzuordnende
Persönlichkeitsveränderung im Zusammenhang mit der
(hochgradigen) Erregung des Angeklagten erheblich vermindert gewesen
(§ 21 StGB).
Im Fall 2 (Diebstahl) sei der Angeklagte schuldunfähig gewesen
(§ 20 StGB), weil nicht auszuschließen sei,
daß er zur Tatzeit nicht in der Lage gewesen sei, das Unrecht
der Tat einzusehen. Bedingt durch die
Persönlichkeitsveränderung in Verbindung mit der
hochgradigen Erregung wegen der falschen Auskunft des Arztes habe der
Angeklagte sich für berechtigt gehalten, das Fahrzeug zu
entwenden.
Im Fall 3 (Fahren ohne Fahrerlaubnis) habe keine Ausnahmesituation
bestanden. Weder die Einsichts-, noch die Steuerungsfähigkeit
sei erheblich vermindert gewesen.
Zu Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß das
Landgericht schon nicht hinreichend darlegt, welcher Art die
Hirnverletzungen sind, die der Angeklagte 1992 erlitten hat und in
welcher Beziehung sie zu der beim Angeklagten diagnostizierten
"organischen Persönlichkeitsveränderung" stehen. Dem
Urteil ist weder ein hinreichend konkreter Befund, noch eine klare
medizinische Diagnose zu entnehmen. Dies gilt auch für die
bereits vor dem Unfall bestehende Dissozialität. Eine
Bewertung der organischen Persönlichkeitsveränderung
als krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20
StGB ist daher nicht nachzuvollziehen. Das gilt auch für die
unterschiedliche Beurteilung der Schuldfähigkeit bei den drei
rechtswidrigen Taten von voller Schuldfähigkeit über
erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bis zur fehlenden
Unrechtseinsicht. Das Urteil geht davon aus, daß die
Persönlichkeitsveränderung für sich allein
nicht zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit
oder gar deren Ausschluß führt, sondern nur dann,
wenn zur Tatzeit - wie in den Fällen 1 und 2 - eine
hochgradige Erregung hinzukommt. Danach bleibt aber offen, warum in den
Fällen 1 und 2 jeweils eine hochgradige Erregung angenommen,
gleichwohl die Schuldfähigkeit aber unterschiedlich beurteilt
wird. Dies läßt besorgen, daß sich der in
diesen Unklarheiten liegende Rechtsfehler auch auf den Fall 3
ausgewirkt hat, in dem das Landgericht den Angeklagten für
voll schuldfähig erachtet hat. Da nach den bisherigen unklaren
Feststellungen zur psychischen Befindlichkeit des Angeklagten auch im
Fall 3 die Voraussetzungen des § 20 StGB nicht von vornherein
völlig auszuschließen sind, kann der Schuldspruch
insgesamt nicht bestehen bleiben.
Auch die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus ist nicht rechtsfehlerfrei begründet. Das
angefochtene Urteil läßt die von § 63 StGB
geforderte Gesamtwürdigung des Täters und seiner
Taten vermissen. Die vom Landgericht getroffene Prognoseentscheidung
ist lückenhaft. Das Landgericht stützt sie unter
anderem auf die Vorstrafen. Aus dem Urteil ergibt sich aber nicht,
daß die den früheren Verurteilungen
zugrundeliegenden Taten bei erheblich verminderter
Schuldfähigkeit begangen wurden. Außerdem werden
insoweit keinerlei Sachverhalte mitgeteilt, so daß nicht
nachvollziehbar ist, welches Gewicht diesen Taten zukommt und ob sie im
Sinne des § 63 StGB erheblich sind. Zu den beiden Taten,
derentwegen die Staatsanwaltschaft Meiningen ein Ermittlungsverfahren
wegen Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellt hat,
läßt sich anhand der Urteilsgründe nicht
nachvollziehen, ob insoweit die Voraussetzungen des § 20 StGB
zu Recht angenommen wurden. Schließlich ist bei den im
vorliegenden Verfahren neu zu beurteilenden Taten zu
berücksichtigen, daß lediglich die Taten 2 und 3 im
Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr stehen und
nur die Tat 2 als Anlaßtat im Zustand der
Schuldunfähigkeit begangen wurde, während der
Angeklagte bei Begehung der Tat 3 in seiner Schuldfähigkeit
nicht beeinträchtigt war. Insgesamt hat das Landgericht daher
nicht hinreichend dargelegt, daß von dem Angeklagten infolge
seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er
deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Jähnke Detter Bode
Otten Elf |