BGH,
Beschl. v. 26.5.2000 - 4 StR 131/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 131/00
vom
26. Mai 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen fahrlässiger Tötung u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 26. Mai 2000
gemäß §§ 154 a Abs. 2 , 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kleve vom 24. November 1999
1. im Schuldspruch unter Beschränkung der Strafverfolgung auf
diese Gesetzesverletzungen dahin geändert, daß der
Angeklagte E. des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln,
des Diebstahls, des Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Fahren ohne
Fahrerlaubnis, der fahrlässigen Tötung in Tateinheit
mit fahrlässiger Gefährdung des
Straßenverkehrs, fahrlässiger
Körperverletzung und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, des
unerlaubten Entfernens vom Unfallort und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
schuldig ist;
2. mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit es den Angeklagten E. betrifft, in den Aussprüchen
über die das Tatgeschehen vom 5. Dezember 1998 betreffenden
Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe,
b) soweit es den Angeklagten Sch. betrifft, in den Aussprüchen
über die den Diebstahl am 5. Dezember 1998 betreffende
Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weiter gehende Revision des Angeklagten Sch. wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten E. "wegen unerlaubten Erwerbs von
Betäubungsmitteln, wegen Diebstahls im besonders schweren
Fall, wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in Tateinheit mit
fahrlässiger Tötung, fahrlässiger
Körperverletzung, fahrlässiger Gefährdung
des Straßenverkehrs und Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen
unerlaubten Entfernens vom Unfallort und wegen Fahrens ohne
Fahrerlaubnis" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren
verurteilt und "für immer" angeordnet, daß dem
Angeklagten keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Den Angeklagten
Sch. hat es "wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln
und wegen Diebstahls in zwei besonders schweren Fällen" unter
Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einer früheren
Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs
Monaten verurteilt.
I.
Revision des Angeklagten E.:
Der Angeklagte E. rügt mit seiner Revision die Verletzung
sachlichen Rechts. Er erstrebt eine Änderung des das
Tatgeschehen vom 5. Dezember 1998 betreffenden Schuldspruchs "wegen
Diebstahls im besonders schweren Fall in Tateinheit mit
fahrlässiger Tötung, fahrlässiger
Körperverletzung, fahrlässiger Gefährdung
des Straßenverkehrs und Fahren ohne Fahrerlaubnis" und die
Aufhebung der wegen der vorgenannten Tat, unerlaubten Entfernens vom
Unfallort und wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verhängten
Einzelfreiheitsstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe. Das wirksam
beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Revision beanstandet zu Recht die Annahme von Tateinheit
zwischen dem Diebstahl und den vom Angeklagten E. bei der
anschließenden Fahrt mit dem entwendeten Fahrzeug
verwirklichten Straftatbeständen.
a) Nach den Feststellungen drangen die Angeklagten, die sich ein
Fahrzeug für die Fahrt zu ihrem etwa sechs Kilometer
entfernten Hotel verschaffen und es später "irgendwo"
stehenlassen wollten, durch die mit Fußtritten
zerstörte Eingangstür in das
Werkstattgebäude eines Autohauses ein. Dort fand der
Angeklagte E. in einer Schreibtischschublade "eine russische
Kriegswaffe der Marke Tokarev, Modell 1930, Kaliber 762 wohl
7,62GRE> mm nebst Magazin und Patronen sowie eine Luftpistole.
Er nahm die Waffen an sich und übergab dem Angeklagten Sch.
die Luftpistole." Der Angeklagte E. stieg dann in einen im
Werkstattraum abgestellten PKW Jaguar ein, in dem der
Zündschlüssel steckte. Der Angeklagte Sch.
öffnete das Garagentor und stieg ebenfalls in den PKW ein. Der
Angeklagte E. fuhr mit hoher Geschwindigkeit aus der Werkstatt heraus
und auf der Bundesstraße 9 in Richtung Weeze. Infolge
Straßenglätte stellte sich das Fahrzeug kurz vor der
Autobahnauffahrt quer zur Fahrbahn. Obwohl er erkannt hatte,
daß die Straße aufgrund überfrierender
Nässe spiegelglatt war, setzte der Angeklagte E. die Fahrt
fort. Er fuhr mit einer Geschwindigkeit von etwa 120 km/h an einen vor
ihm fahrenden, mit neun Personen besetzten Taxibus heran, den er
überholen wollte. Als er erkannte, daß wegen
Gegenverkehrs ein Überholen nicht möglich war, war er
so nahe an den Taxibus herangefahren, "daß durch ein Bremsen
ein Auffahren nicht mehr verhindert werden konnte." Es kam zu einem
Unfall, bei dem zwei der Insassen des Busses getötet und die
übrigen Fahrgäste - zum Teil
lebensgefährlich - verletzt wurden.
b) Der Angeklagte E. hat sich danach, was das Landgericht
übersehen hat, des Diebstahls mit Waffen (§ 244 Abs.
1 Nr. 1 a StGB) und nicht lediglich eines "Diebstahls im besonders
schweren Fall" schuldig gemacht, da er die zuvor entwendete
Schußwaffe nebst Munition bei der Wegnahme des Autos
griffbereit bei sich hatte (vgl. BGH NStZ 1985, 547; BGHR BtMG
§ 30 a Abs. 2 Mitsichführen 2 m.w.N.). Dieser
Diebstahl war aber bereits beendet, als der Angeklagte den
Verkehrsunfall verursachte.
Ein Diebstahl ist dann abgeschlossen und damit beendet, wenn der
Täter den Gewahrsam an den entwendeten Gegenständen
gefestigt und gesichert hat (BGHSt 4, 132, 133; 20, 194, 196). Wann
eine ausreichende Sicherung der Beute erreicht ist, hängt von
den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGHSt 28, 224, 229;
BGHR StGB § 252 frische Tat 2, 3). Das wird zwar in der Regel
nicht der Fall sein, solange der Täter seine Absicht, sich
alsbald mit der Beute zu entfernen, noch nicht verwirklicht hat,
sondern sich z.B. auf dem Tatgrundstück, also im unmittelbaren
Herrschaftsbereich des Bestohlenen, befindet (BGHR StGB § 252
frische Tat 2), oder solange der Täter aus anderen
Gründen einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist, die
Beute durch Nacheile zu verlieren (vgl. BGHR StGB § 252
frische Tat 3). Hier war aber in dem Zeitpunkt, als es zu dem Unfall
kam, die neue Sachherrschaft bereits gefestigt, da sich die Angeklagten
mit dem entwendeten Fahrzeug vom Tatort weg in den Verkehr begeben
hatten. Auch wenn sie "nur wenige Kilometer" (UA 34) mit dem Jaguar
gefahren waren, als es zu dem Unfall kam, waren alle direkten
Eingriffsmöglichkeiten eines bereiten Eigentümers zu
diesem Zeitpunkt beendet. Die Angeklagten waren aus dem unmittelbaren
Herrschaftsbereich des Eigentümers entkommen. Damit war die
Beute gesichert (vgl. BGHR aaO). Daß die Angeklagten bei dem
Eindringen in das Werkstattgebäude beobachtet worden waren und
sie davon ausgingen, daß die Polizei benachrichtigt worden
war, rechtfertigt entgegen der Auffassung des Landgerichts und des
Generalbundesanwalts schon deshalb keine andere Beurteilung, weil die
Angeklagten gleichwohl ungehindert das Werkstattgelände
verlassen und - ohne verfolgt zu werden - die Bundesstraße in
Richtung Weeze befahren konnten (vgl. BGHR StGB § 242 Abs. 1
Wegnahme 7).
Die durch das Auffahren auf den Taxibus tateinheitlich verwirklichten
Straftatbestände der fahrlässigen Tötung,
fahrlässigen Körperverletzung, fahrlässigen
Straßenverkehrsgefährdung und des Fahrens ohne
Fahrerlaubnis stehen daher in Tatmehrheit zu dem - ebenfalls in
Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis begangenen - Diebstahl mit
Waffen.
Das jeweils tateinheitlich begangene Vergehen des Fahrens ohne
Fahrerlaubnis vermag als minder schweres Delikt das Verbrechen des
Diebstahls mit Waffen und die nach Beendigung des Diebstahls begangenen
Straftaten nicht zu verklammern. Dies gilt auch für das in der
Mitnahme der - nach den bisherigen Feststellungen waffenrechtlich nicht
sicher einzuordnenden - Kriegswaffe bei der Fahrt liegende
"Führen" dieser Schußwaffe. Das Führen der
Schußwaffe ist nicht dieselbe Handlung (§ 52 StGB)
wie das den späteren Unfall verursachende Führen des
Kraftfahrzeuges (vgl. BGH VRS 49, 177, 178; BGH, Urt. vom 23. Februar
1999 - 1 StR 640/98).
Der Senat nimmt daher die sich aus alledem ergebende Änderung
des Schuldspruchs selbst vor. § 265 StPO steht nicht entgegen,
da sich der Angeklagte, auch soweit es die Annahme eines Diebstahls mit
Waffen betrifft, nicht anders als geschehen hätte verteidigen
können.
Soweit hinsichtlich der Ausübung der tatsächlichen
Gewalt und des Führens der entwendeten Waffen
Straftatbestände des Waffengesetzes erfüllt sind,
wird die Strafverfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts
gemäß § 154 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auf
die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt.
b) Die gegen den Angeklagten E. wegen des Tatgeschehens am 5. Dezember
1998 verhängten drei Einzelfreiheitsstrafen und die
Gesamtstrafe haben keinen Bestand. Die den Strafrahmen des §
243 StGB entnommene Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren ist schon
wegen der Schuldspruchänderung aufzuheben, da insoweit zwei
Einzelfreiheitsstrafen festzusetzen sind. Die Einzelfreiheitsstrafen
wegen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (zwei Jahre) und wegen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis (ein Jahr) können nicht
bestehenbleiben, weil das Landgericht hinsichtlich der vom Angeklagten
am 5. Dezember 1998 begangenen Taten die Voraussetzungen des §
21 StGB nicht rechtsfehlerfrei verneint hat:
Nach den Feststellungen hatten die Angeklagten vor der Entwendung des
PKW - etwa in gleichen Mengen - alkoholische Getränke, die am
Vortage erworbenen 2 g Kokain sowie eine "Straße" Kokain zu
sich genommen, zu der sie in einer Diskothek eingeladen worden waren.
Das sachverständig beratene Landgericht hat eine erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten E.
infolge des Alkohol- und Kokainkonsums auch für den Fall
ausgeschlossen, daß zu seinen Gunsten von einer
Blutalkoholkonzentration von 2,6 % zu den Tatzeiten auszugehen
wäre. Dabei hat es - was bei einem nur rechnerisch ermittelten
Blutalkoholwert an sich nicht zu beanstanden ist (vgl. BGHR StGB
§ 21 Blutalkoholkonzentration 36) - der
Blutalkoholkonzentration nur geringe Beweisbedeutung beigemessen und
entscheidend auf die psychodiagnostischen Kriterien (zu deren Bedeutung
für die alkoholische Intoxikation vgl. BGHSt 43, 66, 68 f.)
abgestellt, nämlich das Leistungsverhalten des Angeklagten bei
der Begehung der Straftaten und sein "detailgenaues
Erinnerungsvermögen" (UA 31 bis 33).
Zwar hat das Landgericht nicht verkannt, daß in die
für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des
Angeklagten vorzunehmende Gesamtbetrachtung neben dessen
Leistungsverhalten und seiner nicht ausschließbaren
Blutalkoholkonzentration auch eine mögliche
Kombinationswirkung des Alkohols und des Kokains einzubeziehen ist
(vgl. BGH, Beschl. vom 14. Juni 1991 - 2 StR 179/91 - und vom 15.
März 2000 - 1 StR 35/00; Körner BtMG 4. Aufl.
§ 29 Rdn. 824 m.w.N.). Es hat aber eine solche
Kombinationswirkung in Übereinstimmung mit dem hierzu
gehörten Sachverständigen verneint. Dieser habe
"überzeugend ausgeführt, daß die Wirkungen
des Kokains und des Alkohols sich quasi aufheben, weil Kokain eine
euphorische Wirkung, Alkohol jedoch eine stark beruhigende Wirkung
zeige" (UA 32). Damit ist jedoch die Annahme des Landgerichts, eine
alkohol- und kokainbedingte erhebliche Verminderung der
Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei
auszuschließen, nicht ausreichend belegt.
Für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit ist nicht
entscheidend, ob und in welchem Umfang die motorischen
Fähigkeiten des Angeklagten beeinträchtigt waren und
ob sich insoweit die Wirkungen des Alkohols und des Kokains "quasi"
aufgehoben haben. Maßgeblich ist vielmehr, ob das
Hemmungsvermögen des Angeklagten rauschbedingt erheblich
vermindert war. Kokain ist ein berauschendes Mittel (vgl. Fischer in
Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 64 Rdn. 3 a; Anlage
zu § 24 a StVG), dessen Genuß - ebenso wie der von
Alkohol - zu einem Rauschzustand und einer dadurch bedingten Enthemmung
führen kann (vgl. Cramer in Schönke/
Schröder StGB 25. Aufl. § 323 a Rdn. 7; Fischer aaO;
Jähnke LK 11. Aufl. § 20 Rdn. 51).
Demgemäß geht die Rechtsprechung davon aus,
daß bei dem kombiniertem Genuß von Alkohol und
Kokain der Kokaingenuß das Hemmungsvermögen
zusätzlich mindern kann (vgl. BGH aaO; BGH NStZ-RR 1996, 289,
290 a. E.). Deshalb hätte konkret festgestellt werden
müssen, in welchem Umfang der Kokaingenuß der
Alkoholverträglichkeit des Angeklagten beeinflußt
haben kann (vgl. BGH, Beschl. vom 15. März 2000 - 1 StR 35/00).
Naturwissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, die der Annahme einer
solchen Kombinationswirkung der enthemmenden Wirkung von Alkohol und
Kokain entgegenstehen, liegen nicht vor. Vielmehr können nach
den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen die Wechselwirkungen
bei einer Mischintoxikation infolge Alkohol- und Kokaingenusses
unterschiedlich ausfallen. Der kombinierte Genuß dieser
berauschenden Mittel kann nämlich dazu führen,
daß die alkoholbedingte Dämpfung des Antriebsniveaus
vermindert wird, während zugleich eine alkoholbedingte
Enthemmung verstärkt wird (vgl. Foerster in Venzlaff/Foerster,
Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl. S. 167 f.). Die vom Landgericht
ohne nähere Erörterung übernommenen
Ausführungen des Sachverständigen "zur Wechselwirkung
Kokain und Alkohol" reichen daher zur Darlegung der vollen
Schuldfähigkeit des Angeklagten E. nicht aus.
Zur Ermittlung der maximalen Blutalkoholkonzentration in
Fällen, in denen keine Blutprobe vorliegt, verweist der Senat
auf BGH NStZ 2000, 24.
II.
Revision des Angeklagten Sch.:
Der Angeklagte Sch. rügt mit seiner Revision die Verletzung
formellen und sachlichen Rechts. Sein Rechtsmittel ist
unbegründet i.S.d. § 349 Abs. 2 StPO soweit es sich
gegen den Schuldspruch und gegen die den unerlaubten Erwerb von
Betäubungsmitteln und den am 4. Dezember 1998 begangenen
Diebstahl betreffenden Einzelfreiheitsstrafen richtet. Dagegen haben
die den Diebstahl des PKW betreffende Einzelfreiheitsstrafe von einem
Jahr sowie die Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand.
Das Landgericht hat auch bei dem Angeklagten Sch. hinsichtlich des am
5. Dezember 1998 begangenen Diebstahls die Voraussetzungen des
§ 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Aus den
gleichen Gründen wie bei dem Angeklagten E. ist nicht
ausreichend belegt, daß die Kombinationswirkung des
genossenen Alkohols und Kokains nicht zu einer erheblichen Verminderung
der Steuerungsfähigkeit geführt hat.
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