BGH,
Beschl. v. 26.10.2000 - 3 StR 6/00
StPO § 140 Abs. 2 Satz 1, EMRK Art. 6 Abs. 3 lit. c und e
Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK räumt dem der Gerichtssprache nicht
kundigen Angeklagten (Beschuldigten) unabhängig von seiner
finanziellen Lage für das gesamte Strafverfahren und damit
auch für vorbereitende Gespräche mit einem
Verteidiger einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines
Dolmetschers ein, auch wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung im
Sinne des § 140 StPO oder des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK
gegeben ist.
Einem Angeklagten ist daher nicht allein deswegen ein
Pflichtverteidiger beizuordnen, weil er die deutsche Sprache nicht
beherrscht und wegen seiner Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, die
Kosten für einen Dolmetscher aufzubringen.
BGH, Beschl. vom 26. Oktober 2000 - 3 StR 6/00 - Oberlandesgericht
Oldenburg Amtsgericht Delmenhorst
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 6/00
vom
26. Oktober 2000
in der Strafsache gegen
1.
2.
wegen Diebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Generalbundesanwaltes und der Beschwerdeführer am 26. Oktober
2000 gemäß § 121 Abs. 2 GVG beschlossen:
Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK räumt dem der Gerichtssprache nicht
kundigen Angeklagten (Beschuldigten) unabhängig von seiner
finanziellen Lage für das gesamte Strafverfahren und damit
auch für vorbereitende Gespräche mit einem
Verteidiger einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines
Dolmetschers ein, auch wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung im
Sinne des § 140 Abs. 2 StPO oder des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK
gegeben ist.
Einem Angeklagten ist daher nicht allein deswegen ein
Pflichtverteidiger beizuordnen, weil er die deutsche Sprache nicht
beherrscht und wegen seiner Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, die
Kosten für einen Dolmetscher aufzubringen.
Gründe:
I. Das Amtsgericht - Jugendrichter - Delmenhorst hat die Angeklagten
- der deutschen Sprache nicht mächtige, von Sozialhilfe in der
Form von Warengutscheinen und Taschengeld lebende Asylbewerber - wegen
"je eines gemeinschaftlichen Diebstahls und darüber hinaus
zweier einzeln begangener Diebstähle" jeweils zu einem
Dauerarrest von zwei Wochen verurteilt. Mit ihren Revisionen
rügen die Angeklagten übereinstimmend die Verletzung
formellen und materiellen Rechts. Namentlich machen sie mit der
Verfahrensrüge den absoluten Revisionsgrund des § 338
Nr. 5 StPO geltend, weil ihnen unter Verstoß gegen
§§ 68 Nr. 1 JGG, 140 Abs. 2 Satz 1 StPO bzw. Art. 6
Abs. 3 lit. c EMRK kein Verteidiger beigeordnet worden sei.
Das zur Entscheidung über die Revisionen berufene
Oberlandesgericht Oldenburg möchte die Rechtsmittel verwerfen.
Insbesondere hält es die Rüge der Angeklagten
für unbegründet, ihnen hätte allein schon
deswegen ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden müssen,
weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen.
Hieran sieht sich das Oberlandesgericht Oldenburg jedoch durch den
Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 20.
Dezember 1989 (RReg 4 St 245/89 = StV 1990, 103) gehindert. Dieses hat
dort entschieden, daß einem Angeklagten, der die deutsche
Sprache nicht beherrscht, unabhängig von der Bedeutung des
strafrechtlichen Vorwurfs jedenfalls dann ein Pflichtverteidiger
beigeordnet werden muß, wenn er mittellos ist und daher die
Kosten für einen Dolmetscher, ohne den er sich mit einem
Wahlverteidiger nicht hinreichend verständigen
könnte, nicht aufzubringen vermag.
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Sache deshalb
gemäß § 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung
folgender Rechtsfrage vorgelegt:
Ist einem Angeklagten, der die deutsche Sprache nicht beherrscht,
unabhängig von der Bedeutung des strafrechtlichen Vorwurfs
jedenfalls dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn er mittellos
ist und daher die Kosten für einen Dolmetscher nicht
aufzubringen vermag ?
II. Die Vorlage ist zulässig. Das Oberlandesgericht Oldenburg
kann die Revisionen der Angeklagten nicht wie beabsichtigt verwerfen,
ohne von den die Entscheidung tragenden Erwägungen des
genannten Beschlusses des Bayerischen Obersten Landesgerichts
abzuweichen. Seine Auffassung, die aufgeworfene Rechtsfrage sei
entscheidungserheblich, weil die Revisionen der Angeklagten aus anderen
Gründen weder mit der Sach- noch mit der
Verfahrensrüge Erfolg haben könnten, ist rechtlich
vertretbar. Sie ist daher bei der Prüfung der
Vorlegungsvoraussetzungen durch den Senat zugrunde zu legen (vgl. BGHSt
22, 94, 100; 33, 183, 186; 34, 101, 103 ff.).
1. Dies gilt insbesondere für die Ansicht des vorlegenden
Gerichts, den jugendlichen, strafrechtlich noch nicht in Erscheinung
getretenen Angeklagten habe wegen der denkbaren straf- und
ausländerrechtlichen Rechtsfolgen, die im Hinblick auf die
vorgeworfenen Taten in Betracht kamen, ein Pflichtverteidiger nicht
schon unter dem Aspekt der Schwere der Tat im Sinne des § 140
Abs. 2 Satz 1 StPO beigeordnet werden müssen.
Ebenso ist seine Auffassung rechtlich vertretbar, daß weder
wegen der Taten an sich (Ladendiebstähle) noch wegen der
Beweislage (weitgehende Geständigkeit der Angeklagten; ein
Zeuge zu vernehmen) oder wegen Besonderheiten des Verfahrens
(gleichzeitige Verhandlung gegen zwei Angeklagte; Hinzuverbindung eines
weiteren Verfahrens gegen den Angeklagten Mahdi A. in der
Hauptverhandlung unter Verzicht auf sämtliche Fristen) die
Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Beiordnung von Verteidigern
gebot. Bestehen beim Angeklagten sprachbedingte
Verständigungsschwierigkeiten, so kann dies zwar dazu
führen, daß die Bestellung eines Verteidigers unter
dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage eher
geboten sein kann, als dies sonst der Fall ist (BVerfGE 64, 135, 150
m.w.Nachw.). Ausnahmslos trifft dies indessen nicht zu.
2. Die vom vorlegenden Gericht dem Senat zur Entscheidung unterbreitete
Rechtsfrage ist auf die besondere Fallgestaltung beschränkt,
daß die des Deutschen nicht mächtigen Angeklagten
nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um die
Kosten für einen Dolmetscher (gemeint: zur
Verständigung mit einem Wahlverteidiger außerhalb
der Hauptverhandlung) aufzubringen. Hierauf kommt es für die
Entscheidung des Oberlandesgerichts jedoch nur dann an, wenn nicht -
unabhängig von der Tatschwere und der Schwierigkeit der Sach-
oder Rechtslage - allein schon die Sprachunkundigkeit eines Angeklagten
stets seine Fähigkeit, sich selbst gegen den Tatvorwurf zu
verteidigen, ausschließt (§ 140 Abs. 2 Satz 3 Alt. 3
StPO) und es daher in einem derartigen Fall, wenn ein Wahlverteidiger
nicht mandatiert wurde, unabhängig von den finanziellen
Verhältnissen des Angeklagten stets zur Beiordnung eines
Pflichtverteidigers kommen muß (so teilweise das Schrifttum:
Lüderssen in LR, 24. Aufl. § 140 Rdn. 80 f.; Molketin
AnwBl 1980, 442, 448; nicht eindeutig Strate StV 1981, 46 ff. und
Oellerich StV 1981, 434, 438 f.). Auch dies hat das vorlegende Gericht
indessen in vertretbarer Weise verneint.
Seine Auffassung, die Schwierigkeiten, die sich einem sprachunkundigen
Angeklagten im Strafverfahren stellen, könnten im Einzelfall
allein schon durch die Teilnahme eines Dolmetschers an der
Hauptverhandlung ausgeglichen werden, und ein derartiger Fall sei in
vorliegender Sache gegeben, ist nachvollziehbar. Denn insbesondere im
Bereich der Kleinkriminalität sind etwa bei
geständigem Angeklagten oder einfacher Beweislage ohne
weiteres Fallkonstellationen denkbar, in denen den
Verteidigungsbedürfnissen des sprach-
unkundigen Angeklagten allein schon durch die
Übersetzungsleistungen eines Dolmetschers in der
Hauptverhandlung in vollem Umfang genügt werden kann (Basdorf
in Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer S. 19, 31).
Die Ansicht des vorlegenden Gerichts weicht in diesem Punkt daher auch
nicht von der Rechtsprechung der übrigen Obergerichte ab. Denn
soweit dort nicht die finanzielle Unfähigkeit des Angeklagten,
einen für die Verständigung mit einem
(Wahl-)Verteidiger außerhalb der Hauptverhandlung notwendigen
Dolmetscher zu entlohnen, als allein entscheidender Umstand
für die Notwendigkeit der Beiordnung eines Pflichtverteidigers
angesehen wurde (vgl. KG StV 1985, 184, 185; 1986, 239; anders aber KG
NStZ 1990, 402 ff.; OLG Zweibrücken StV 1988, 379; BayObLG StV
1990, 103), waren stets weitere Umstände neben den
Verständigungsschwierigkeiten des Angeklagten
maßgeblich dafür, daß im Einzelfall die
Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 Satz 1
StPO als geboten angesehen wurde.
3. Die Vorlegungsfrage bedarf der Präzisierung.
Während die Sprach-
unkundigkeit des Angeklagten nach Ansicht des vorlegenden Gerichts
für sich allein die Notwendigkeit der Beiordnung eines
Pflichtverteidigers nicht zu begründen vermag, fordert sie
nach Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, wie sich aus
dem Gesamtzusammenhang seiner Entscheidung ergibt, unabhängig
von den sonstigen Umständen des Einzelfalles stets die
Bestellung eines Verteidigers. Es kommt daher auf die
Maßgeblichkeit oder Unmaßgeblichkeit der Bedeutung
des strafrechtlichen Vorwurfs nicht an. Aus diesem Grund formuliert der
Senat die zu beantwortende Frage wie folgt:
Ist einem Angeklagten allein deswegen ein Pflichtverteidiger
beizuordnen, weil er die deutsche Sprache nicht beherrscht und wegen
seiner Mittellosigkeit die Kosten für einen Dolmetscher nicht
aufzubringen vermag ?
III. Diese Frage ist zu verneinen.
1. Wie bereits dargelegt, beruhen die unterschiedlichen Rechtsmei-
nungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des vorlegenden
Gerichts im Kern nicht auf einer abweichenden Auslegung der in
§ 140 Abs. 2 Satz 1 StPO normierten tatbestandlichen
Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung.
Aus den Gründen des Beschlusses des Bayerischen Obersten
Landesgerichts vom 20. Dezember 1989 (StV 1990, 103) und insbesondere
der dort als Beleg zitierten Entscheidung des Kammergerichts in StV
1985, 184 f. (aufgegeben durch KG NStZ 1990, 402) ergibt sich vielmehr,
daß das Bayerische Oberste Landesgericht unabhängig
von den in § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO umschriebenen
Voraussetzungen die Bestellung eines Pflichtverteidigers in analoger
Anwendung dieser Vorschrift für geboten erachtete, um dem
dortigen Angeklagten ein faires, rechtsstaatliches Verfahren zu
gewährleisten. Dem liegt ersichtlich die Auffassung zugrunde,
daß das durch Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK
gewährleistete Recht eines der Gerichtssprache nicht kundigen
Angeklagten, die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu
verlangen, auch für vorbereitende Gespräche mit einem
Wahlverteidiger gelte; da aber das deutsche Kostenrecht lediglich
für den gerichtlich bestellten Anwalt über §
97 Abs. 2 Satz 1 und 2, § 126 BRAGO die Erstattung der
notwendigen Auslagen ermögliche, die für die
erforderliche Zuziehung eines Dolmetschers zu Gesprächen
zwischen dem Verteidiger und dem Angeklagten außerhalb der
Hauptverhandlung anfallen, sei die Bestellung eines Verteidigers
geboten, um dem Angeklagten die durch Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK
garantierte Unentgeltlichkeit auch dieser Dolmetschertätigkeit
zu sichern (so auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl.
§ 140 Rdn. 32 und Art. 6 EMRK Rdn. 25; Laufhütte in
KK-StPO, 4. Aufl. § 140 Rdn. 25; Pfeiffer, StPO 2. Aufl.
§ 140 Rdn. 7).
Demgegenüber ist das vorlegende Gericht der Ansicht,
daß der Anspruch des sprachunkundigen Angeklagten auf
unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers zu vorbereitenden
Gesprächen mit einem Verteidiger nicht weiter gehe als sein
Anspruch auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Sei eine solche nach
§ 140 StPO nicht geboten und damit auch nicht im Sinne des
Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK im Interesse der Rechtspflege erforderlich,
bedürfe es der unentgeltlichen Zurverfügungstellung
eines Dolmetschers für vorbereitende Gespräche mit
einem Verteidiger auch dann nicht, wenn der Angeklagte mittellos sei
(so auch OLG Düsseldorf NJW 1989, 677 f. = StV 1992, 363 f. m.
Anm. Wolf; OLG Hamm NStZ 1990, 143, 144; StV 1995, 64, 65; OLG
Köln NJW 1991, 2223, 2224; OLG Koblenz MDR 1994, 1137; Basdorf
in GS für Karlheinz Meyer S. 30 ff.).
2. Entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts räumt Art.
6 Abs. 3 lit. e EMRK dem der Gerichtssprache nicht mächtigen
Angeklagten (Beschuldigten) unabhängig von seiner finanziellen
Lage für das gesamte Strafverfahren und damit auch
für vorbereitende Gespräche mit einem Verteidiger
einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers ein,
auch wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des
§ 140 StPO oder des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK gegeben ist (a);
indessen ist es zur Gewähr-
leistung der Unentgeltlichkeit nicht erforderlich, dem Angeklagten
einen Pflichtverteidiger beizuordnen (b).
a) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat
in seinem Urteil vom 23. Oktober 1978 (NJW 1979, 1091) nicht nur
festgestellt, daß das in Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK
gewährleistete Recht auf unentgeltliche Beiziehung eines
Dolmetschers für jedermann, der die Verhandlungssprache des
Gerichts nicht spricht oder versteht, den Anspruch auf unentgeltlichen
Beistand eines Dolmetschers einschließt, ohne daß
im Nachhinein Zahlung der dadurch verursachten Kosten von ihm verlangt
werden darf. Er hat darüber hinaus auch dargelegt,
daß sich dieser Anspruch nicht nur auf den in der
Hauptverhandlung tätigen Dolmetscher beziehe, sondern
für das gesamte Verfahren gelte und sicherstelle,
daß dem sprachunkundigen Angeklagten sämtliche
Schriftstücke und mündliche Erklärungen in
dem gegen ihn geführten Verfahren übersetzt werden,
auf deren Verständnis er angewiesen ist, um ein faires
Verfahren zu haben (aaO S. 1092).
Den vom Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen ist der
allgemeine Gedanke zu entnehmen, daß nach den
Maßstäben der EMRK der Anspruch des der
Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten auf ein faires,
rechtsstaatliches Verfahren es gebietet, ihm nicht nur alle ihm
gegenüber vorgenommenen, maßgeblichen schriftlichen
und mündlichen Verfahrensakte kostenlos in einer ihm
verständlichen Sprache bekannt zu geben, sondern es ihm auch
zu ermöglichen, alle von ihm in Ausübung seiner
strafprozessualen Rechte abgegebenen mündlichen und
schriftlichen Erklärungen unentgeltlich in die Gerichtssprache
übertragen zu lassen, soweit dies zur Wahrnehmung dieser
Rechte erforderlich ist. Dies folgt aus dem Zweck des Art. 6 Abs. 3
lit. e EMRK, zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens im
Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK alle Nachteile auszuschließen,
denen ein Angeklagter, der die Gerichtssprache nicht versteht oder sich
nicht in ihr ausdrücken kann, im Vergleich zu einem dieser
Sprache kundigen Angeklagten ausgesetzt ist (Vogler EuGRZ 1979, 640,
643; Meyer ZStW 93, 507, 521; s. auch Art. 14 EMRK, Art. 3 Abs. 3 GG).
Er hat daher auch keine Kosten zu tragen, die auf einen der
Gerichtssprache mächtigen Angeklagten nicht zukommen
können; denn diese Mehrbelastung würde nicht nur zu
einer Ungleichbehandlung bei der staatlichen Rechtsgewährung
führen (Vogler ZStW 89, 761, 790; EuGRZ aaO), sondern
wäre auch geeignet, das Verteidigungsverhalten des
sprachunkundigen Angeklagten im Hinblick auf eventuelle Kostenfolgen
nachteilig zu beeinträchtigen (EKMR NJW 1978, 477; Vogler
EuGRZ aaO).
Danach hat der sprachunkundige Angeklagte gemäß Art.
6 Abs. 3 lit. e EMRK Anspruch darauf, daß alle seine
schriftlichen und mündlichen Verfahrenserklärungen,
die strafprozessual vorgesehen sind, für ihn unentgeltlich in
die Gerichtssprache übersetzt werden, insbesondere wenn das
nationale Recht, wie etwa § 184 GVG, die Wirksamkeit der
Erklärung davon abhängig macht, daß sie in
der Gerichtssprache abgegeben wird (vgl. dazu BGHSt 30, 182).
Verfahrenserklärungen des Angeklagten sind nach deutschem
Strafprozeßrecht aber nicht nur im Rahmen mündlicher
Vernehmungen und Verhandlungen vorgesehen, für die schon vom
Gericht oder den Ermittlungsbehörden ein Dolmetscher
zuzuziehen ist, wenn der Angeklagte die deutsche Sprache nicht
beherrscht (§ 185 Abs. 1 Satz 1 GVG). Vielmehr hat der
Beschuldigte auch außerhalb mündlicher Verhandlungen
oder sonstiger Termine das Recht, aus eigenem Entschluß
schriftlich und mündlich verfahrensrelevante
Erklärungen abzugeben. So hat er nach Zustellung der Anklage
die Möglichkeit, die Vornahme einzelner Beweiserhebungen zu
beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des
Hauptverfahrens vorzubringen (§ 201 Abs. 1 StPO). Er kann
bereits vor der Hauptverhandlung Beweisanträge stellen
(§ 219 Abs. 1 Satz 1 StPO). Wird er verurteilt, hat er die
Befugnis, schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle
Berufung einzulegen (§ 314 Abs. 1 StPO), und kann das
Rechtsmittel auch begründen (§ 317 StPO).
Ähnliches gilt für das Rechtsmittel der Revision mit
der Einschränkung, daß die
Revisionsbegründung von ihm nur zu Protokoll der
Geschäftsstelle begründet werden kann, wenn er
insoweit keinen Rechtsanwalt zuzieht (§§ 341 Abs. 1,
344 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO). Für all diese gesetzlich
vorgesehenen Erklärungen garantiert Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK
die unentgeltliche Übertragung in die Gerichtssprache, wenn
der Beschuldigte diese nicht beherrscht.
Zu den strafprozessualen Rechten des Angeklagten zählt
insbesondere seine Befugnis, sich in jeder Verfahrenslage des Beistands
eines Verteidigers zu bedienen (§ 137 Abs. 1 Satz 1 StPO, Art.
6 Abs. 3 lit. c EMRK). Ein des Deutschen nicht mächtiger
Angeklagter kann dieses Recht in effektiver Weise nur wahrnehmen, wenn
ihm eine Verständigung mit dem Verteidiger möglich
ist. Abgesehen von dem besonderen Fall, daß der Verteidiger
die Muttersprache des Angeklagten beherrscht, ist hierzu die Zuziehung
eines Dolmetschers erforderlich. Mit den hierfür anfallenden
Kosten darf der Angeklagte gemäß Art. 6 Abs. 3 lit.
e EMRK ebenfalls nicht belastet werden. Denn auch das Gespräch
zwischen Angeklagtem und Verteidiger zur Vorbereitung der Verteidigung
besteht aus Erklärungen, die im Rahmen des Strafverfahrens
abgegeben werden. Soweit demgegenüber die Ansicht vertreten
wird, Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK beschränke die
Unentgeltlichkeit der Dolmetscherleistung auf
"Prozeßhandlungen des Beschuldigten oder gegenüber
dem Beschuldigten" (Wolf StV 1992, 364, 367) oder auf die (durch
Ermittlungsbehörden oder Gerichte) angeordnete Anwesenheit
eines Dolmetschers (etwa OLG Düsseldorf NJW 1980, 2655; NStZ
1986, 128; LG Berlin AnwBl 1980, 30), wird dies weder der Stellung des
Angeklagten als Verfahrenssubjekt noch der des mit der Verteidigung
beauftragten Rechtsanwaltes als unabhängigem Organ der
Rechtspflege (§ 1 BRAO) gerecht. Ebensowenig wie dem
Beschuldigten für Termine bei der Staatsanwaltschaft
Dolmetscherkosten überbürdet werden dürfen
(vgl. die Regelungen in § 464 c StPO und Nr. 9005
Kostenverzeichnis zum GKG), darf er mit den Kosten belastet werden, die
für die notwendige Zuziehung eines Dolmetschers zu
Gesprächen mit dem Verteidiger anfallen, und zwar
unabhängig von seiner finanziellen Lage (EKMR NJW 1978, 477).
b) Zur umfassenden Gewährleistung des Anspruchs des der
Gerichtssprache nicht kundigen Angeklagten aus Art. 6 Abs. 3 lit. e
EMRK ist es nicht erforderlich, ihm einen Pflichtverteidiger zu
bestellen. Die Auffassung, die Beiordnung sei notwendig, weil nach
§ 97 Abs. 2 Satz 1 und 2, § 126 BRAGO eine Erstattung
der Dolmetscherkosten nur für Gespräche zwischen
Angeklagtem und Pflichtverteidiger gesetzlich vorgesehen sei, greift zu
kurz.
Sie vermag schon nicht zu erklären, wie der sprachunkundige
Angeklagte von den Kosten freigestellt werden soll, die für
die Übersetzung solcher Verfahrenserklärungen
anfallen, die er unabhängig von der Zuziehung eines
Verteidigers außerhalb mündlicher Verhandlungen oder
sonstiger anberaumter Termine eigenständig abgeben kann (s.
oben), und müßte daher insoweit einen
Konventionsverstoß in Kauf nehmen, solange der Gesetzgeber
nicht eingreift (vgl. Gollwitzer Art. 6 EMRK Rdn. 244).
Sie übersieht aber auch den Gesichtspunkt der Einheitlichkeit
der Rechtsordnung. Die EMRK steht innerstaatlich im Rang eines einfa-
chen Bundesgesetzes (Kleinknecht/Meyer-Goßner, vor Art. 1
EMRK Rdn. 3 m.w.Nachw.). Wenn sie in Art. 6 Abs. 3 lit. e dem
Angeklagten die unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers in dem
dargestellten Umfang garantiert, kann die Erfüllung dieser
Garantie nicht davon abhängen, daß daneben im
anderweitigen Bundesrecht einfachgesetzliche kostenrechtliche
Bestimmungen vorhanden sind, die die Freistellung des Angeklagten von
den Dolmetscherkosten oder deren Erstattung ausdrücklich
regeln (vgl. Gollwitzer aaO). Vielmehr ist der entsprechende Anspruch
des Angeklagten direkt aus Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK abzuleiten und
durch eine konventionskonforme - ergänzende - Auslegung der
bestehenden Kostennormen auszufüllen. Denn es ist nicht
anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar
bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der
Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher
Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfGE 74, 358, 370).
Wie die Lücken des Kostenrechts bis zu einem
Tätigwerden des Gesetzgebers im einzelnen auszufüllen
sind, braucht der Senat für die Beantwortung der
Vorlegungsfrage nicht zu entscheiden. In Betracht kommt etwa die
entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 4 GKG (so KG NStZ 1990,
402, 404), der §§ 3, 17 ZSEG (vgl. OLG Köln
StraFo 1999, 69, 70), aber auch des § 126 BRAGO, um die
Kostenfreistellung bzw. -erstattung auf die erforderlichen Kosten zu
beschränken.
Nach alledem ist es weder genügend noch erforderlich, auf eine
innerstaatliche Kostenvorschrift zurückzugreifen, die
für den besonderen Fall der Pflichtverteidigung die Erstattung
von Dolmetscherkosten ausschließlich für
Verteidigergespräche ermöglicht, und, um deren
tatbestandlichen Voraussetzungen zu genügen, einen
Pflichtverteidiger zu bestellen, obwohl ein Fall notwendiger
Verteidigung nicht vorliegt.
3. Die Vorlegungsfrage ist daher wie aus der Entscheidungsformel
ersichtlich zu beantworten.
Die Entscheidung entspricht im Ergebnis dem Antrag des
Generalbundesanwaltes.
Kutzer Rissing-van Saan Pfister von Lienen Becker StPO § 140
Abs. 2 Satz 1, EMRK Art. 6 Abs. 3 lit. c und e
Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK räumt dem der Gerichtssprache nicht
kundigen Angeklagten (Beschuldigten) unabhängig von seiner
finanziellen Lage für das gesamte Strafverfahren und damit
auch für vorbereitende Gespräche mit einem
Verteidiger einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines
Dolmetschers ein, auch wenn kein Fall der notwendigen Verteidigung im
Sinne des § 140 StPO oder des Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK
gegeben ist.
Einem Angeklagten ist daher nicht allein deswegen ein
Pflichtverteidiger beizuordnen, weil er die deutsche Sprache nicht
beherrscht und wegen seiner Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, die
Kosten für einen Dolmetscher aufzubringen.
BGH, Beschl. vom 26. Oktober 2000 - 3 StR 6/00 - Oberlandesgericht
Oldenburg
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