BGH,
Beschl. v. 26.10.2005 - GSSt 1/05
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
GSSt 1/05
vom
26.10.2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
- 2 -
Der Große Senat für Strafsachen des
Bundesgerichtshofs hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, die Vorsitzende Richterin am
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien, den Vorsitzenden Richter am
Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Tolksdorf, die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Nack
sowie die Richter am Bundesgerichtshof Häger, Maatz, Basdorf,
Winkler,
Dr. Wahl und Dr. Bode am 26.10.2005 beschlossen:
Für die Annahme vollendeten Handeltreibens reicht es aus, dass
der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum
gewinnbringenden
Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte
Verhandlungen mit dem potentiellen Verkäufer eintritt.
Gründe:
I.
1. Das Landgericht hat in zwei Verfahren unter anderem Fälle
erfolgloser
Bemühungen um den Erwerb von zum gewinnbringenden Weiterverkauf
bestimmten Betäubungsmitteln als vollendetes Handeltreiben
abgeurteilt:
a) In dem Verfahren gegen den Angeklagten K. (3 StR 61/02):
aa) Der Angeklagte wurde von einem Freund angerufen, der ihm anbot,
10.000 Ecstasy-Tabletten dreier verschiedener Sorten zum Preis von
9.000 DM zu "besorgen". Der Angeklagte erklärte ihm, er solle
die Tabletten
- 3 -
"besorgen". Dabei hatte der Angeklagte aber Zweifel, ob sein Freund
hierzu
in der Lage sein würde. Zu einer Lieferung von Tabletten kam
es nicht.
bb) Der Angeklagte ging davon aus, dass ein "A. ", den er kennen
gelernt hatte, ihm 10.000 Ecstasy-Tabletten zum beabsichtigten Ankauf
würde
verschaffen können. Er beauftragte deshalb einen Freund, die
Telefonnummer
des "A. " herauszufinden.
b) In dem Verfahren gegen den Angeklagten Ke. (3 StR 243/02):
aa) Der Angeklagte wollte in den Niederlanden 50 g Kokain erwerben,
um es teilweise gewinnbringend in Deutschland weiterzuverkaufen. Er
telefonierte
deshalb mit mehreren Betäubungsmittelhändlern in den
Niederlanden
und traf sich mit einigen von ihnen, konnte jedoch bei keinem Kokain
kaufen.
bb) Der Angeklagte wollte erneut 50 g Kokain erwerben. "Diesmal sagte
der kontaktierte Dealer zu". Der Angeklagte fuhr deshalb in die
Niederlande.
Mit dem Dealer wurde er aber nicht handelseinig, weshalb das geplante
Geschäft nicht zustande kam.
cc) Der Angeklagte wollte von dem
Betäubungsmittelhändler in den
Niederlanden, mit dem er schon im vorstehenden Fall ergebnislos
verhandelt
hatte und von dem er in einem weiteren Fall 50 g Kokain gekauft hatte,
nunmehr
70 g Kokain kaufen. Bei den telefonischen Verhandlungen wies der
Angeklagte
darauf hin, dass die Qualität der letzten Lieferung schlecht
gewesen
sei. Der Verkäufer sagte zu, "andere Ware als beim letzten
Mal" zu haben,
woraufhin der Angeklagte zum Verkäufer reiste. Dort befand der
Angeklagte
die Qualität des angebotenen Kokains für nicht
ausreichend. Er kaufte stattdessen
40 g Amphetamin mit einem Wirkstoffanteil von weniger als 10 g
Amphetaminbase,
das er nach Deutschland verbrachte und weiterverkaufte. Ob-
4 -
gleich das erworbene Amphetamin die Grenze zur nicht geringen Menge
nicht
überschritt, hat das Landgericht den Angeklagten wegen
vollendeten Handeltreibens
mit einer nicht geringen Menge verurteilt, weil er Bemühungen
entfaltet
hatte, eine nicht geringe Menge von Kokain zu erwerben.
2. Die Angeklagten rügen mit ihren Revisionen die Verletzung
sachlichen
Rechts. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, im Fall I. 1. a) bb) das
Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO einzustellen, und in den
übrigen Fällen die
Verurteilung wegen vollendeten Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge zu bestätigen.
Der 3. Strafsenat hält in allen Fällen den
Schuldspruch für rechtsfehlerhaft.
Während im Fall I. 1. a) bb) die bloßen
Vorsondierungen in Übereinstimmung
mit bisherigen Rechtsprechungsansätzen dem Vorbereitungsstadium
zugerechnet werden könnten, stehe in den übrigen
Fällen der beabsichtigten
Entscheidung die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
entgegen,
nach der für die Annahme vollendeten Handeltreibens bereits
ernsthafte
Verhandlungen über den Ankauf von zum gewinnbringenden
Weiterverkauf
bestimmten Betäubungsmitteln ausreichen, sofern nur das
Stadium allgemeiner
Anfragen verlassen ist. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Anfragebeschluss
des 3. Strafsenats vom 10. Juli 2003 (StV 2003, 501) verwiesen.
In diesem Beschluss hat der 3. Strafsenat Bedenken gegen die bisherige
weite Auslegung des Begriffs des Handeltreibens in der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs geäußert und eine
Einschränkung für erforderlich
gehalten. Er hat dazu vorgeschlagen, diese weite Definition durch einen
Katalog
handelstypischer Tätigkeiten zu ersetzen, der an der
gesetzlichen Definition
des Waffenhandels in § 7 Abs. 1 Nr. 2 WaffG nF und an den
Tätigkeitsbeschreibungen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BtMG orientiert ist. In
ihren Antworten haben die anderen Strafsenate eine solche
Kataloglösung
- 5 -
worten haben die anderen Strafsenate eine solche Kataloglösung
abgelehnt.
Der 4. Strafsenat hat stattdessen eine Definition vorgeschlagen, wonach
mit
Betäubungsmitteln Handel treibt, wer mit einem anderen
Einigung über ihre
Lieferung erzielt in der Absicht, aus ihrem Umsatz Gewinn zu erzielen.
Der 1.,
der 2. und der 5. Strafsenat haben erklärt, an der bisherigen
Definition festhalten
zu wollen.
In der Divergenzfrage, ob ernsthafte, wenn auch erfolglose
Ankaufsbemühungen
für die Annahme vollendeten Handeltreibens ausreichen, hat
der 4. Strafsenat der Anfrage zugestimmt. Dagegen haben der 1., der 2.
und
der 5. Strafsenat mitgeteilt, dass sie an ihrer bisherigen
Rechtsprechung festhalten
wollen. Der 2. Strafsenat hat hinzugefügt, dass der Erfassung
typischer
Vorbereitungs- und Versuchshandlungen als vollendetes Handeltreiben
durch
eine restriktive Handhabung bei der Anwendung des Begriffs in
Grenzfällen
Rechnung getragen werden kann.
3. Der 3. Strafsenat hat - unter Aufrechterhaltung seiner Bedenken - im
Hinblick auf das Ergebnis des Anfrageverfahrens davon abgesehen, sein
Ziel
einer Neubestimmung der Definition des Handeltreibens
weiterzuverfolgen. Er
hält jedoch an seiner Rechtsansicht fest, dass für
die Annahme vollendeten
Handeltreibens ernsthafte Verhandlungen über einen Ankauf dann
nicht ausreichen,
wenn keine Einigung über die Lieferung erzielt wird. Er hat
dem Großen
Senat für Strafsachen deshalb folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Reicht es für die Annahme vollendeten Handeltreibens aus, wenn
der Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum
gewinnbringenden
Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte
Verhandlungen eintritt, aber keine Einigung mit dem Lieferanten
erzielt?
- 6 -
4. Der Generalbundesanwalt möchte an der bisherigen
Rechtsprechung
festhalten und hat beantragt zu beschließen:
Für die Annahme vollendeten Handeltreibens reicht es aus, wenn
der
Täter bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden
Weiterverkauf
bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen
eintritt,
aber keine Einigung mit dem Lieferanten erzielt.
II.
Die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage nach § 132 Abs. 2
GVG
sind gegeben, da der 3. Strafsenat mit seiner beabsichtigten
Entscheidung
von der Rechtsprechung des 1., des 2. und des 5. Strafsenats abweichen
würde (vgl. nur BGH NJW 1986, 2896 - 1. Strafsenat; BGH
NStZ-RR 1996, 48
- 2 Strafsenat; BGHSt 29, 239 - 5. Strafsenat).
III.
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die
vorgelegte Rechtsfrage
wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist
Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG jede
eigennützige
auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete
Tätigkeit (BGHSt 6, 246;
25, 290; 28, 308; 29, 239; 30, 359; BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr.
1 Handeltreiben
28, 29, 31, 41, 50; BGH NStZ 2000, 207).
Von dieser Definition gehen auch alle Kommentatoren des
Betäubungsmittelgesetzes
aus (Körner, BtMG 5. Aufl. § 29 Rdn. 199; Weber, BtMG
2. Aufl. § 29 Rdn. 142; Franke/Wienroeder, BtMG 2. Aufl.
§ 29 Rdn. 64; Hü-
7 -
gel/Junge/Lander/Winkler, Deutsches Betäubungsmittelrecht 8.
Aufl. § 29
Rdn. 4.1.1; Joachimski/Haumer, BtMG 7. Aufl. § 3 Rdn. 7;
Pelchen in
Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 155. ErgLfg. BtMG
§ 29 Rdn. 5;
ebenso Endriß/Malek, Betäubungsmittelstrafrecht 2.
Aufl. Rdn. 120, kritisch
jedoch Fn. 430 zu Rdn. 190). Ebenso steht diese Definition im Einklang
mit
dem Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates der Europäischen
Union vom
25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über
die Tatbestandsmerkmale
strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen
Drogenhandels (ABl der Europäischen Union L 335/8 vom 11.
November
2004).
2. Der 3. Strafsenat möchte von diesem Begriff des
Handeltreibens diejenigen
Fälle ausnehmen, in denen der Täter bei einem
beabsichtigten Ankauf
von zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten
Betäubungsmitteln
in ernsthafte Verhandlungen eintritt, aber keine Einigung mit dem
Lieferanten
erzielt.
Zur Begründung führt der 3. Strafsenat insbesondere
Folgendes aus:
Für eine derart eingeschränkte Anwendung des Begriffs
des Handeltreibens
spreche zunächst, dass der Gesetzgeber in § 29 Abs. 2
BtMG die Strafbarkeit
des Versuchs nicht für alle, sondern nur für einen
Teil der in § 29 Abs. 1
Satz 1 BtMG genannten Tätigkeiten bestimmt habe. Dabei habe er
die Tatbestandsvarianten
des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sämtlich, somit auch das Handeltreiben,
erfasst. Damit sei für das Handeltreiben nicht nur vorgesehen,
dass
ein Versuch überhaupt bestraft werden kann, sondern wegen der
Geltung
des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches auch im Bereich des
Betäubungsmittelstrafrechts
gleichzeitig die Möglichkeit einer Strafmilderung nach
§ 23 Abs. 2 StGB und einer Strafbefreiung wegen
Rücktritts nach § 24 StGB
- 8 -
eröffnet worden. Die fakultative Strafmilderung wegen Versuchs
ermögliche
es, Handlungen im Vorfeld, die im Hinblick auf den mit dem
Straftatbestand
bezweckten Rechtsgüterschutz eine geringere
Gefährlichkeit aufweisen, unter
eine dementsprechend niedrigere Strafdrohung zu stellen. Nach dem das
Strafrecht wesentlich bestimmenden Schuldgrundsatz seien - gemessen an
der Idee der Gerechtigkeit - Tatbestand und Rechtsfolge sachgerecht
aufeinander
abzustimmen (vgl. BVerfGE 50, 205, 214 f.). Diesem Grundsatz
werde nur eine Auslegung gerecht, die es erlaube, unterschiedlich
gewichtige
Verhaltensweisen nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB
einer abgestuften
Strafdrohung zu unterwerfen. Dies gelte in besonderem Maße
für Fälle qualifizierten
Handeltreibens nach §§ 29a, 30, 30a BtMG mit
erhöhten Mindeststrafen.
Für die Strafbefreiung wegen freiwilligen Rücktritts
nach § 24 StGB
gelte Entsprechendes. Die uneingeschränkte Anwendung der
Definition des
Handeltreibens habe jedoch dazu geführt, dass
Aktivitäten, die an sich typische
Versuchshandlungen darstellten, als vollendetes Handeltreiben bewertet
und damit der vollen Strafdrohung der Straftatbestände des
Betäubungsmittelgesetzes
für Handeltreiben unterworfen würden. Ebenso werde
der Anreiz, durch einen freiwilligen Rücktritt vom Versuch
Strafbefreiung zu
erlangen, vereitelt.
Der 3. Strafsenat trägt damit auch der im Schrifttum erhobenen
Kritik
Rechnung. Diese geht im Wesentlichen dahin, die Auslegung durch die
Rechtsprechung überschreite aus kriminalpolitischen
Erwägungen die Grenzen
des Wortlauts der Vorschrift, begrenze den Kreis
tatbestandsmäßiger
Handlungen unzureichend und behandele den Tatbestand des Handeltreibens
zu Unrecht als unechtes Unternehmensdelikt, wodurch die an sich vom
Gesetz vorgesehene Differenzierung von Vorbereitung, Versuch und Vollen-
9 -
dung verschwimme und die Möglichkeit eines Rücktritts
für den Täter beseitigt
werde (Roxin StV 1992, 517; Nestler in Kreuzer, Handbuch des
Betäubungsmittelstrafrechts
§ 11 Rdn. 357 ff.; Paeffgen in FS 50 Jahre BGH Bd. IV
S. 695, 722 ff.; Strate ZRP 1987, 314; Endriß/Kinzig NJW
2001, 3217; Harzer
StV 1996, 336; Krack JuS 1995, 585; Paul StV 1998, 623; vgl. auch die
zustimmenden
Anmerkungen zum Anfragebeschluss Roxin StV 2003, 619 und
Gaede StraFo 2003, 392 sowie zum Vorlegungsbeschluss Gaede
HRRS 2005, 205; ferner zum Anfragebeschluss Weber NStZ 2004, 66 und
Niehaus JR 2005, 192; ausführlich zum Meinungsstand Ebert, Das
Handeltreiben
mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 I 1 Nr. 1
BtMG, Diss. Augsburg
1997; Schwitters, Die Vorverlagerung der Strafbarkeit beim unerlaubten
Handeltreiben im Betäubungsmittelstrafrecht, Diss. Konstanz
1998).
3. Der Große Senat für Strafsachen gibt im Ergebnis
den der Vorlegung
entgegenstehenden Argumenten den Vorzug.
a) Zunächst sprechen eine über sieben Jahrzehnte von
der Rechtsprechung
kontinuierlich praktizierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals
Handeltreiben,
ferner in jüngerer Zeit vom Gesetzgeber vorgenommene
Änderungen
im Betäubungsmittelstrafrecht und die Rezeption des Begriffs
Handeltreiben,
die in anderen Materien des Nebenstrafrechts stattgefunden hat,
für ein
Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung.
aa) Der Begriff des Handeltreibens im Sinne des
Betäubungsmittelrechts
wird von der Rechtsprechung seit der Zeit der Weimarer Republik in
gleichbleibender Weise verstanden. Zuvor hatte bereits das Reichsgericht
diesen in wirtschaftsrechtlichen Vorschriften - namentlich in der Zeit
des Ers-
10 -
ten Weltkriegs und der Nachkriegszeit - enthaltenen Begriff als "jede
eigennützige,
auf den Güterumsatz gerichtete Tätigkeit"
interpretiert (vgl. RGSt 51,
379; 53, 310, 313, 316; 58, 159). Dementsprechend hat das Reichsgericht
(DJZ 1932, 808) das Handeltreiben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr.
1 Opiumgesetz
vom 10. Dezember 1929 (RGBl I 215) als "eigensüchtige, auf den
Umsatz
von Rauschgift gerichtete Tätigkeit, gleichviel in welcher
Form und unter
welchem Namen sie ausgeübt wird", definiert und bemerkt, dass
der Begriff
"weitest auszulegen" sei (näher zu dieser Entwicklung
Anfragebeschluss des
3. Strafsenats StV 2003, 501, 502).
Der Bundesgerichtshof hat dieses Verständnis des
Handeltreibens bei
der Auslegung des gleichen Tatbestandsmerkmals im Sinne des
Betäubungsmittelgesetzes
von Anfang an zugrunde gelegt und im Laufe der Jahrzehnte
in einer Rechtsprechung von besonderem Umfang gefestigt.
bb) Der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland hat bei allen
seinen Entscheidungen den tradierten Begriff des Handeltreibens vor
Augen
gehabt. Das gilt schon für die Ablösung des
Opiumgesetzes durch das Betäubungsmittelgesetz
(BGBl I 1972 S. 1), zudem für alle danach erfolgten
Änderungen
der Strafvorschriften des Betäubungsmittelgesetzes. Bei keiner
dieser
Gelegenheiten hat der Gesetzgeber Veranlassung gesehen, etwa den Begriff
des Handeltreibens in seiner durch die Rechtsprechung erlangten Gestalt
in
Frage zu stellen (vgl. Weber NStZ 2004, 66, 67).
Vielmehr hat der Gesetzgeber sogar neue Straftatbestände
geschaffen,
die unterhalb der Schwelle des Handeltreibens liegen. Mit der Vorschrift
des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 BtMG (entsprechend schon
§ 11 Abs. 1 Nr. 8
- 11 -
BtMG 1972), die das Verschaffen oder Gewähren einer
Gelegenheit zum
unbefugten Erwerb oder zur unbefugten Abgabe von
Betäubungsmitteln und
ähnliche Verhaltensweisen pönalisiert, sind
Handlungen, die im Vorfeld des
Handeltreibens liegen, zu selbständigen
Straftatbeständen aufgewertet worden
(Franke/Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 192;
Joachimski/Haumer,
BtMG 7. Aufl. § 29 Rdn. 205). Dem Gesetzentwurf der
Bundesregierung, der
zu der genannten Regelung in § 11 Abs. 1 Nr. 8 BtMG 1972
geführt hat, lag
die Erwägung zugrunde, dass derjenige, der einem anderen
Gelegenheit
zum illegalen Rauschgifthandel verschafft oder gewährt, die
gleiche Strafe
verdiene wie derjenige, der selbst illegalen Handel betreibt (BTDrucks.
VI/1877 S. 9). Angesichts solcher gesetzgeberischen Ausformung von Taten
im Vorfeld des Handeltreibens zu eigenen Straftatbeständen -
namentlich
unter Betonung der Gleichwertigkeit mit dem Handeltreiben - liefe eine
Einengung
dieses Begriffs den Absichten des Gesetzgebers deutlich zuwider.
cc) Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in jüngerer
Zeit bei der Regelung
oder Neuregelung mehrerer Materien, in denen es gleichermaßen
gilt,
Gefährdungen besonders hoher Rechtsgüter schon im
frühen Gefahrenfeld
mit wirksamen Strafvorschriften entgegenzutreten, eine Begriffsanleihe
in der
Weise vorgenommen, dass er das seit langem dem
Betäubungsmittelstrafrecht
eigene und vom Bundesgerichtshof kontinuierlich ausgelegte
Tatbestandsmerkmal
Handeltreiben in den neuen Regelungen verwendet hat.
(1) So ist durch das Gesetz zur Verbesserung der Überwachung
des
Außenwirtschaftsverkehrs und zum Verbot von Atomwaffen,
biologischen und
chemischen Waffen vom 5. November 1990 (BGBl I 2429) das Handeltreiben
als neues Tatbestandsmerkmal in das Kriegswaffenkontrollgesetz
eingefügt
- 12 -
worden (§ 17 Abs. 1 Nr. 1, § 18 Nr. 1, § 19
Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1
KWKG). Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hierzu hat auf den Begriff
des Handeltreibens im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG
Bezug genommen
(BTDrucks. 11/4609 S. 9). Dementsprechend wird im Schrifttum angenommen,
dass sich das neue Tatbestandsmerkmal Handeltreiben an den
entsprechenden Begriff des Betäubungsmittelrechts in der
Gestalt, die er dort
durch die Rechtsprechung erfahren hat, anlehnt (Steindorf, Waffenrecht
7. Aufl. § 19 KWKG Rdn. 3 und Steindorf in Erbs/Kohlhaas,
Strafrechtliche
Nebengesetze 145. ErgLfg. § 19 KWKG Rdn. 3; vgl. auch
Holthausen
NJW 1991, 203, 204 und Weber NStZ 2004, 66).
(2) Auch das im Arzneimittelrecht enthaltene Tatbestandsmerkmal
Handeltreiben
(§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG) ist als deckungsgleich mit dem
entsprechenden
Begriff des Betäubungsmittelrechts zu verstehen (BGH NStZ 2004,
457, 458; Körner, BtMG/AMG 5. Aufl. AMG Vorbem. Rdn. 97;
Pelchen in
Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze 142. ErgLfg. § 95
AMG Rdn. 9).
(3) Schließlich hat der Gesetzgeber auch bei der Schaffung
des Transplantationsgesetzes
mit der Verwendung des Begriffs Handeltreiben in § 17
Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 18 Abs. 1 TPG auf das Handeltreiben
im Sinne des
Betäubungsmittelgesetzes und die Auslegung
zurückgegriffen, die dieses
Merkmal durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erlangt hat (so
ausdrücklich der Gesetzentwurf BTDrucks. 13/4355 S. 29 f.). In
dem Gesetzentwurf
heißt es gar: "Verhandlungen vor Vertragsabschluss,
Verkaufsangebote,
selbst ernsthafte, wenngleich misslungene Ankaufsbemühungen in
Weiterveräußerungsabsicht
sind auf Umsatz gerichtet und stellen vollendetes
Handeltreiben dar" (aaO S. 30); "Absatz 2 stellt den Versuch unter
Strafe. Da
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die Rechtsprechung den Begriff des Handeltreibens weit auslegt, wird
allerdings
in der Regel bereits ein vollendetes Delikt anzunehmen sein" (aaO
S. 31). Danach gehen die Kommentatoren des Transplantationsgesetzes
davon
aus, dass der dortige Begriff Handeltreiben dem des
Betäubungsmittelgesetzes
entspricht (Pelchen in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze
130. ErgLfg. § 18 TPG Rdn. 2;
Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG §§ 17,
18 Rdn. 16; Nickel/Schmidt-Priesigke/Sengler, TPG § 17 Rdn. 4;
Rixen in Höfling,
TPG § 17 Rdn. 17, 20, kritisch jedoch Rdn. 8 ff.; kritisch
auch König,
Strafbarer Organhandel, 1999, S. 150 ff.). Auch das Bundessozialgericht
(JZ
2004, 464 m. Anm. Schroth) knüpft an diese - von ihm als
"Entlehnung" bezeichnete
(aaO S. 465) - Entwicklung an. Soweit es jedoch im Hinblick auf die
Besonderheiten der Organspende den Begriff des Handeltreibens
für den Bereich
des Transplantationsgesetzes durch eine zusätzliche Kautel
eingeengt
hat, bleibt dies für die Grenzziehung zwischen versuchtem und
vollendetem
Handeltreiben ohne Bedeutung.
b) Allen vorstehend sub a) beschriebenen Entwicklungen liegen gewichtige
kriminalpolitische Gesichtspunkte zugrunde.
Der Kriminalitätsbereich des gewinnbringenden Umgangs mit
Betäubungsmitteln
ist durch Besonderheiten gekennzeichnet, die ihn von der "allgemeinen"
Kriminalität strukturell weitgehend unterscheiden. Dazu
gehören
regelmäßig Konspiration, Tarnung und ein
organisiertes hierarchisches System,
das das Risiko der Entdeckung des einzelnen Täters gezielt vom
kompetenten
Täter höherer Ebene auf die zunehmend
schwächeren Täter der unteren
Ebenen verlagert (Körner, BtMG 5. Aufl. § 29 Rdn. 546
ff.; Weber, BtMG
2. Aufl. § 29 Rdn. 144 ff.). Daraus folgt, dass
häufig nur Teilakte des Gesamt-
14 -
geschehens festgestellt werden können. Deshalb hat der
Gesetzgeber durch
die Pönalisierung des Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln einen Tatbestand
(samt daran anknüpfender Qualifikationen) geschaffen, der nach
der
Rechtsprechung, an die der Gesetzgeber in der Folgezeit
angeknüpft hat,
schon beim Vorliegen relativ geringer Voraussetzungen erfüllt
ist. Er hat damit
- auch angesichts der besonderen Beweisschwierigkeiten bei etwaigen
höheren
Tatbestandsanforderungen - die Vollendungsschwelle niedrig angesetzt.
Notwendigerweise bleibt bei solcher Tatbestandsgestaltung für
die Annahme
eines Versuchs und mithin für einen Rücktritt vom
Versuch wenig Raum.
Nach alledem ist das Tatbestandsmerkmal Handeltreiben weit auszulegen
(BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 36; Weber aaO
§ 29
Rdn. 144 ff., 295 und NStZ 2004, 66, 67; vgl. auch Franke/Wienroeder,
BtMG
2. Aufl. § 29 Rdn. 83 a.E.). Im Hinblick auf die "weit nach
vorne" gelegte
Vollendungsschwelle wird das Handeltreiben im Schrifttum vielfach als
(unechtes)
Unternehmensdelikt bezeichnet (Körner aaO § 29 Rdn.
246, 327;
Weber aaO § 29 Rdn. 280; Franke/Wienroeder aaO;
Joachimski/Haumer,
BtMG 7. Aufl. § 29 Rdn. 27;
Hügel/Junge/Lander/Winkler, Deutsches
Betäubungsmittelrecht
8. Aufl. § 29 Rdn. 4.1.1.; Endriß/Malek,
Betäubungsmittelstrafrecht
2. Aufl. Rdn. 127).
c) Demgegenüber greifen die für eine
einschränkende Auslegung vorgebrachten
Argumente im Ergebnis nicht durch.
aa) Dies gilt zunächst für das zentrale Argument der
Vorlegung. Danach
soll aus der Anordnung der Strafbarkeit des Versuchs in § 29
Abs. 2
BtMG eine restriktive Auslegung des Tatbestandsmerkmals Handeltreiben
- 15 -
abgeleitet werden, damit - auch betreffend diese Handlungsform - ein
Anwendungsfeld
von gewisser Weite für den Versuch und mithin für den
Rücktritt
vom Versuch eröffnet werde.
(1) Das Argument überzeugt schon in seinem strukturellen Ansatz
nicht. Die Anordnung der Strafbarkeit des Versuchs in § 29
Abs. 2 BtMG trägt
mit einer allein technischen Regelung dem Rechnung, dass der Versuch
eines
Vergehens nur dann strafbar ist, wenn das Gesetz dies
ausdrücklich bestimmt
(§ 23 Abs. 1 StGB). Körner (aaO § 29 Rdn.
319) bezeichnet die Vorschrift
des § 29 Abs. 2 BtMG in diesem Sinne als "Auffangtatbestand".
Aus
dieser Regelung kann jedoch nicht hergeleitet werden, dass es ein
Kriminalitätsfeld
von gewissem Umfang geben müsse, in dem lediglich Versuch
vorliegt,
gar mit der Konsequenz, dass ein einzelnes Merkmal des
Anknüpfungstatbestands
eng ausgelegt werden müsse, damit für den Versuch ein
Anwendungsbereich
von gewisser Weite verbleibe. Ein derartiges Argumentationsmuster
findet sich im gesamten Strafrecht zu keinem Vergehen, dessen Versuch
strafbar ist.
(2) Zudem wird mit der Argumentation aus § 29 Abs. 2 BtMG die
mit
dieser Vorschrift getroffene Gesamtregelung außer Acht
gelassen, nämlich
angesichts eines einheitlichen Regelungskomplexes, der 14
Tatbestandsvarianten
in gleicher Weise behandelt, der Blick auf eine einzige dieser Varianten
- das Handeltreiben - eingeengt, mag diese auch die in der Praxis
bedeutsamste
Handlungsform sein. Die Grundvorschrift des
Betäubungsmittelstrafrechts,
§ 29 Abs. 1 Satz 1 BtMG, pönalisiert zahlreiches
Verhalten, das in Bezug
zu Betäubungsmitteln steht, als Vergehen. Für 14
dieser Möglichkeiten
der Tatbestandserfüllung ist in § 29 Abs. 2 BtMG die
Strafbarkeit des Ver-
16 -
suchs vorgesehen, nämlich für Anbau und Herstellung
von Betäubungsmitteln,
Handeltreiben mit ihnen, Einfuhr, Ausfuhr,
Veräußerung, Abgabe, In-
Verkehr-Bringen, Erwerb, Sich-Verschaffen (§ 29 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 BtMG),
erlaubnislose Herstellung einer ausgenommenen Zubereitung (Nr. 2 aaO),
Durchfuhr (Nr. 5 aaO), Verabreichung und zum unmittelbaren Verbrauch
geschehendes
Überlassen (Nr. 6 Buchstabe b aaO). Blendet man von diesen 14
Tatbestandsvarianten zunächst das Handeltreiben aus, so ergibt
sich, dass
allen übrigen 13 Handlungsformen in der Praxis durchaus die
Möglichkeit der
Begehung in Form des Versuchs eigen ist (vgl. - jeweils zu den 13
einzelnen
Handlungsformen - Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 53, 93, 127,
441 ff., 567
ff., 605 ff., 648 ff., 686 ff., 729 ff., 785 ff., 814, 924 ff., 1000
ff.).
(3) Freilich bleibt, wenn man die Betrachtung auf das Handeltreiben als
eine derjenigen 14 Tatbestandsvarianten beschränkt,
für die in § 29 Abs. 2
BtMG die Strafbarkeit des Versuchs vorgesehen ist, nur ein
äußerst enges
Anwendungsfeld.
So hat der Bundesgerichtshof in seltenen Fällen versuchtes
Handeltreiben
angenommen oder für möglich erachtet,
nämlich im Fall fehlgeschlagener
Bemühungen, als Rauschgiftkurier zu agieren (BGHR BtMG
§ 29
Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 1; vgl. auch BGHR BtMG § 29
Beihilfe 2), und im
Fall der Geldübergabe zur Durchführung eines
gescheiterten Rauschgiftgeschäfts
(BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 22).
bb) Das Verfassungsrecht, namentlich der Bestimmtheitsgrundsatz
nach § 103 Abs. 2 GG gebietet nicht, die mit der Vorlegung
intendierte restriktive
Auslegung vorzunehmen.
- 17 -
(1) Das Bundesverfassungsgericht (jeweils 2. Kammer des Zweiten
Senats, Beschl. vom 25. Februar 1993 - 2 BvR 2229/92 und Beschl. vom
24. Oktober 1999 - 2 BvR 1906/99) hat in zwei Fällen
Verfassungsbeschwerden,
mit denen geltend gemacht worden war, dass die tradierte Auslegung
des Begriffs Handeltreiben gegen den Bestimmtheitsgrundsatz
verstoße,
mangels Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen. Es hat
- unter Bezugnahme auf den Beschluss BVerfGE 28, 175, 183 -
ausgeführt,
der in Art. 103 Abs. 2 GG niedergelegte Bestimmtheitsgrundsatz zwinge
nicht
dazu, im Strafrecht auf die Verwendung auslegungsfähiger
Begriffe zu verzichten.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht seiner Prüfung folgende
Umschreibung des Handeltreibens zugrunde gelegt: "Unter den Begriff des
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
fällt nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jede eigennützige
Bemühung, die
darauf gerichtet ist, den Umsatz mit Betäubungsmitteln zu
ermöglichen oder
zu fördern, selbst wenn es sich dabei nur um eine vermittelnde
Tätigkeit handelt
(vgl. BGHSt 29, 239; 31, 145, 147; 34, 124, 125; BGHR BtMG §
29 Abs. 1
Nr. 1 Handeltreiben 29). Eine gesicherte Lieferquelle ist ebenso wenig
Voraussetzung
für die Vollendung des Tatbestands wie die
Verfügungsgewalt
des Täters über die Betäubungsmittel. Der
Tatbestand ist ebenfalls erfüllt,
wenn es noch nicht zur Anbahnung bestimmter Geschäfte oder gar
zum Abschluss
eines Vertrags und dessen Erfüllung gekommen ist.
Handeltreiben ist
kein Erfolgsdelikt. Die Tat ist deshalb auch dann rechtlich vollendet,
wenn der
erstrebte Umsatz von Betäubungsmitteln - etwa weil auf der
Käuferseite zum
Schein Polizeibeamte auftreten - nicht erreicht wird" (BVerfG aaO,
Beschl.
vom 24. Oktober 1999; fast gleichlautend Beschl. vom 25. Februar 1993).
- 18 -
(2) Die Vorlegung knüpft an die Entscheidung BVerfGE 50, 205
an,
wonach gemäß dem das Strafrecht wesentlich
bestimmenden Schuldgrundsatz
- gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - Tatbestand und Rechtsfolge
sachgerecht aufeinander abgestimmt sein müssen (BVerfG aaO S.
214 f.
m.w.N.).
Dass in diesem Sinne das Regelungssystem der §§ 29
bis 30a BtMG
für die Gesamtheit der Fälle vollendeten
Handeltreibens eine sachgerechte
Abstimmung von Tatbestand und Rechtsfolge enthält, ergibt sich
schon aus
folgendem Bild: Vergehen nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BtMG werden
mit Freiheitsstrafe
bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Angesichts
der danach
bestehenden Mindeststrafe - Geldstrafe in Höhe von
fünf Tagessätzen
(§ 40 Abs. 1 Satz 2 StGB) - ist es immer möglich, im
Rahmen der Strafzumessung
schuldgerecht dem Umstand wirksam Rechnung zu tragen, dass eine
Tat aus dem unteren, gar untersten Bereich des Handeltreibens vorliegt,
namentlich
weil eine Gefahr von tatsächlichem
Betäubungsmittelumsatz fern
liegt (vgl. Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 295). Dass die
vollendete Tat im
Einzelfall dem Versuch nahe steht, wird die Annahme eines besonders
schweren Falles nach § 29 Abs. 3 Satz 1 BtMG, für den
eine Mindeststrafe
von einem Jahr Freiheitsstrafe vorgesehen ist, meist
ausschließen (vgl. Joachimski/
Haumer, BtMG 7. Aufl. § 29 Rdn. 27). Die Erfüllung
eines der beiden
Regelbeispiele nach § 29 Abs. 3 Satz 2 BtMG ist in den hier in
Rede stehenden
Fällen ohnehin kaum denkbar. Bei den - ein Verbrechen
begründenden -
Qualifikationen, die an das Handeltreiben anknüpfen
(§ 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30
Abs. 1 Nr. 1, § 30a Abs. 1 und 2 BtMG), ist jeweils
für minder schwere Fälle
ein herabgesetzter Strafrahmen vorgesehen, dessen Untergrenze bei drei
Monaten Freiheitsstrafe (§ 29a Abs. 2, § 30 Abs. 2
BtMG) oder bei sechs Mo-
19 -
naten Freiheitsstrafe (§ 30a Abs. 3 BtMG) liegt, was eine
schuldangemessene
Berücksichtigung jedweden Umstandes ermöglicht, der
im Einzelfall die Tat
als im unteren Bereich des Handeltreibens liegend kennzeichnet.
Häufig wird
die Annahme eines minder schweren Falles geboten sein.
cc) Bei der Beurteilung der Reichweite des Tatbestandsmerkmals
Handeltreiben
ist zudem auf zwei Gesichtspunkte Bedacht zu nehmen, die in der
Praxis zu einer deutlichen Einschränkung des
Anwendungsbereichs dieses
Merkmals führen. Dies betrifft zum einen die Fälle
der Vorbereitung und zum
anderen die Fälle der Beihilfe.
(1) Handlungen, die lediglich typische Vorbereitungen darstellen, weil
sie weit im Vorfeld des beabsichtigten Güterumsatzes liegen,
erfüllen noch
nicht einmal die Voraussetzungen eines Versuchs des Handeltreibens. Das
gilt etwa für die Präparierung eines Fahrzeugs
für unbestimmte künftige
Schmuggelfahrten (BGH NStZ 2001, 323), den Transport von Streckmitteln
für
noch nicht konkretisierte Betäubungsmittelgeschäfte
(BGHR BtMG § 29
Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 37, 43) und die Darlehensgewährung
zur etwaigen
Durchführung eines
Betäubungsmittelgeschäftes sowie das Bemühen
um ein
Visum zur Ermöglichung künftiger
Kuriertätigkeit (BGHR BtMG § 29 Abs. 1
Nr. 1 Handeltreiben 22). Auch allgemeine, ergebnislose Anfragen nach
Betäubungsmitteln
und entsprechende Erkundungsfahrten sind bloße
Vorbereitungshandlungen
(BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 7; BGH
NStZ-RR 1996, 48; BGH NStZ 1996, 507, 508). Wenngleich diese
Grenzziehung
zwischen strafloser Vorbereitung einerseits und strafbarem Versuch des
Handeltreibens bzw. vollendetem Handeltreiben andererseits in der
Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs bislang nur kasuistisch erfolgt ist, liegt ihr
- 20 -
häufig als wesentliches Abgrenzungskriterium zugrunde, dass in
den Fällen
der Vorbereitung noch jede Konkretisierung der in Aussicht genommenen
Tat
fehlt (vgl. insbes. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben
22, 37, 43;
BGH NStZ 2001, 323, 324; vgl. auch Körner, BtMG 5. Aufl.
§ 29 Rdn. 242,
306 ff.; Weber aaO § 29 Rdn. 280 ff.; Franke/Wienroeder, BtMG
2. Aufl. § 29
Rdn. 83).
(2) Ein großer Teil derjenigen Fälle, die im
vorliegenden Zusammenhang
als problematisch diskutiert werden, findet seine Lösung eher
an der
Grenzlinie zwischen Beihilfe und (Mit-)Täterschaft als in der
Differenzierung
zwischen versuchtem und vollendetem Handeltreiben. So führt
die Anwendung
der Regelungen über die Beihilfe - einschließlich
der obligatorischen
Strafrahmenverschiebung (§ 27 Abs. 2 Satz 2 StGB) - zur
Herauslösung zahlreicher
Fälle aus dem mit Skepsis betrachteten Feld
täterschaftlichen vollendeten
Handeltreibens. Dies schlägt sich in einer Vielzahl von
Entscheidungen
nieder, in denen der Bundesgerichtshof das Vorliegen
(mit-)täterschaftlichen
Handeltreibens verneint und auf Beihilfe zum Handeltreiben erkannt oder
hingewiesen
hat (vgl. nur BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 6, 9,
14,
21, 24, 29, 36, 39, 42, 47, 56, 57, 58, 59; BGH StV 1985, 14; BGH,
Beschl.
vom 15.07.2005 - 2 StR 226/05; BGH, Urt. v. 3.08.2005 - 2 StR
360/04; vgl. auch Winkler NStZ 2005, 315).
Hirsch Tepperwien Tolksdorf
Rissing-van Saan Nack Häger Maatz
Basdorf Winkler Wahl Bode
- 21 -
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________
BtMG § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Für die Annahme vollendeten Handeltreibens reicht es aus, dass
der Täter
bei einem beabsichtigten Ankauf von zum gewinnbringenden Weiterverkauf
bestimmten Betäubungsmitteln in ernsthafte Verhandlungen mit
dem potentiellen
Verkäufer eintritt.
BGH, Beschl. vom 26.10.2005 - GSSt 1/05 - LG Mönchengladbach |