BGH,
Beschl. v. 27.4.2006 - 5 StR 79/06
5 StR 79/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
27.4.2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27.04.2006 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 2. Juni 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den
Feststellungen aufgehoben.
Ausgenommen sind die Feststellungen zum Tathergang und zum direkten
Tötungsvorsatz des Angeklagten, die aufrechterhalten bleiben;
insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2
StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger
Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der
Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
1. Der Angeklagte tötete seine - mit ihm „nach
muslimischem Ritus“ verheiratete (UA S. 10) - Ehefrau mit
direktem Vorsatz nach einem bis zur Bewusstlosigkeit des Opfers
durchgeführten Würgevorgang durch Ertränken
in der Badewanne. Der Tat war ein Streit der Eheleute über die
Einhaltung einer Verabredung der Ehefrau mit ihrer Cousine
vorausgegangen; währenddessen sollte der Angeklagte auf die
von seiner Frau bereits zu Bett gebrachten Kleinkinder aufpassen.
Hierzu war der Angeklagte nicht bereit; sein Plan, sich betrunken zu
stellen und damit seine Frau zu veranlassen, die
- 3 -
beiden Kinder nicht in seiner Obhut zu belassen, war gescheitert.
Bereits im Wohnzimmer war es zu einer tätlichen
Auseinandersetzung gekommen, bei welcher der Frau ein Ohrstecker
abgerissen wurde. Der Streit verlagerte sich sodann ins Badezimmer, wo
die Frau sich zum Ausgehen zurechtmachen wollte. Das Schwurgericht
meint, der Angeklagte habe sich in dieser Situation zur Tötung
seiner Frau entschlossen, um zu verhindern, dass sie ihren Willen
durchsetzen und die Verabredung einhalten könnte (UA S. 16).
Das eklatante Missverhältnis zwischen der Tötung und
seinem unbedingten Willen, die freie Willensentfaltung seiner Frau -
zumal im Zusammenhang mit einem alltäglichen Vorgang, dem
geplanten kurzen Besuch der Cousine - keinesfalls zu dulden und allein
seine Maßstäbe für ihr Tun und Lassen
durchzusetzen (UA S. 43/44), sei, auch im Blick auf die
Rücksichtslosigkeit gegenüber den Kindern, zutiefst
verachtenswert. Der bei Tatbegehung nicht tiefgreifend affektiv erregte
und nicht erheblich alkoholisierte Angeklagte habe seine Motive
beherrschen und willensmäßig steuern
können, wie auch sein umsichtiges Tat- und Nachtatverhalten
erweise. Dies ergebe sich auch im Blick auf frühere
Gewalthandlungen gegen die Frau und Todesdrohungen für den
Fall, dass sie ihn verlasse.
2. Die Verfahrensrüge greift aus den Gründen der
Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch. Die Feststellungen
des Schwurgerichts zur Tötungshandlung und zum direkten
Tötungsvorsatz beruhen auf einer rechtsfehlerfreien
Beweiswürdigung. Sie können bestehen bleiben.
Insoweit ist die Revision erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3. Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe hat
hingegen keinen Bestand. 5 a) Zutreffend hat das Schwurgericht
allerdings herkunftsbedingte Anschauungen des im Wesentlichen in
deutschen Heimen aufge-
- 4 -
wachsenen Angeklagten als für die Beurteilung des Mordmerkmals
unbeachtlich angesehen. Letztlich bestehen für sich auch noch
keine durchgreifenden Bedenken gegen die Würdigung des
Schwurgerichts zu einer nicht relevanten Alkoholisierung des
Angeklagten bei Begehung der Tat und zur auch sonst
uneingeschränkten Schuldfähigkeit, wenngleich sie im
Gegensatz zur Beurteilung durch den psychiatrischen
Sachverständigen steht, der freilich von etwas abweichenden
Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist. Allerdings ist nach den
Feststellungen zur persönlichen Entwicklung des Angeklagten
die Wendung, seine „charakterliche Deviation“ sei
„weit entfernt von einer relevanten
Persönlichkeitsstörung“ (UA S. 48),
überzeichnet. Dies zieht die Beurteilung der
Schuldfähigkeit indes noch nicht durchgreifend in Zweifel.
Gleiches gilt für die überaus mathematisierten
Überlegungen zum Grad der alkoholischen
Beeinträchtigung (UA S. 25 ff.). b) Bedenken erweckt - auch
vor dem Hintergrund einer lediglich wegen Totschlags erhobenen,
unverändert zugelassenen Anklage - die Erwägung des
Schwurgerichts, der Angeklagte habe „in nachgerade selten
komplexer und exemplarischer Weise die Kriterien der sonstigen
niedrigen Beweggründe erfüllt“ (UA S. 43).
Dies befremdet namentlich im Blick darauf, dass das Gericht - wie sich
aus einem Beschluss des Vorsitzenden ergibt, der dem Senat aufgrund des
Revisionsvorbringens zur Verfahrensrüge bekannt ist - nach
Ablauf eines weitgehenden Teils der Beweisaufnahme noch
ausdrücklich erwogen hat, dem Angeklagten für den
Fall eines umfassenden Geständnisses eine Strafobergrenze von
elf Jahren Freiheitsstrafe unter Zubilligung einer
Strafrahmenverschiebung gemäß §§
21, 49 Abs. 1 StGB zuzusagen. Ob das angenommene Mordmerkmal allein
schon wegen der genannten Formulierung zu beanstanden wäre,
bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls bleiben in der gebotenen
gesamtwürdigenden Prüfung, ob er seine
gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen
gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern
konnte (BGHSt 47, 128, 133; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige
Beweggründe 41 m.w.N.), einige wesentliche Teilaspekte
unbeachtet.
- 5 -
aa) Die Annahme, das Opfer habe sich erst nach Beginn des mit direktem
Tötungsvorsatz begonnenen Würgevorgangs durch einen
Schlag mit einem Gegenstand an den Kopf des Angeklagten zu wehren
gesucht (vgl. dazu UA S. 16, 20), ist nicht mit Tatsachen belegt. Die
Beweiswürdigung des Schwurgerichts zu diesem
Geschehensabschnitt ist lediglich rechtsfehlerfrei, soweit es annimmt,
dass der dem Ertränken vorangegangene heftige
Würgevorgang sich im Badezimmer ereignete und angesichts der
beträchtlichen Dauer von wenigstens einer Minute -
schließlich - bereits mit direktem Tötungsvorsatz
erfolgte. Unerörtert bleibt dabei aber die nicht fern liegende
Möglichkeit, dass der Gegenangriff des Opfers bereits zu einer
Zeit erfolgte, als der Angeklagte noch keinen Tötungsvorsatz
gefasst hatte, gar schon vor Beginn des Würgens. Dann
könnte dieser Gegenangriff, wenngleich er sicher
gerechtfertigt war, den aus Wut gefassten spontanen
Tötungsentschluss mit beeinflusst haben. Eine derart affektive
Motivation der Tötung hätte bei der Frage der
subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen
Beweggründe mitbedacht werden müssen, wie
Rechtsanwalt B in seiner Revisionsbegründung im Ansatz
zutreffend, wenngleich mit zu weit gehenden Folgerungen,
ausführt.
Im Übrigen wäre es auch angezeigt gewesen, auf die
eklatante Kurzsichtigkeit und Kopflosigkeit der spontanen
Tötungshandlung des Angeklagten Bedacht zu nehmen, der, wie
schon die Feststellungen zu seinem bisherigen Werdegang erweisen,
über eine ganz ungewöhnlich niedrige
Frustrationstoleranz verfügt. Das kann die Annahme
gedanklicher Beherrschung und willensmäßiger
Steuerung seiner tatlenkenden
gefühlsmäßigen Regungen angesichts der
Besonderheiten seines Persönlichkeitsbildes weiter in Frage
stellen.
bb) Insbesondere weist Rechtsanwalt L in seiner Gegenerklärung
zutreffend auf Folgendes hin: Das Schwurgericht hat bei der
maßgeblichen Mitbewertung des Nachtatgeschehens im Rahmen der
Beurteilung der psychischen Verfassung des Angeklagten auch seine
bedacht-
- 6 -
same Versorgung der Kinder unmittelbar nach der Tat
berücksichtigt. Die Feststellung dieses Nachtatverhaltens hat
es - soweit ersichtlich - allein auf die „insoweit glaubhafte
Einlassung“ des Angeklagten gestützt (UA S. 47),
dessen Angaben im Zusammenhang mit dem Tathergang es hingegen im
Übrigen ganz weitgehend als widerlegt angesehen hat. Diese
Teilglaubhaftigkeit der Einlassung ist im Urteil nicht näher
begründet; namentlich ist nicht erkennbar erwogen worden, ob
der Angeklagte etwa eine Versorgung der durch das Kampfgeschehen
aufgeschreckten, weinenden und schreienden Kinder allein zur
Untermauerung seiner rechtsfehlerfrei widerlegten erlogenen
„Unfallversion“ unrichtig behauptet haben
könnte, für die er seine Abwesenheit aus dem
Badezimmer während des Ertrinkens der Frau
verständlich zu machen suchte. Gegen ein Hinzutreten der
Kinder könnten gerade auch die als zuverlässig
erachteten Wahrnehmungen einer Nachbarin (UA S. 31) sprechen, die,
obgleich sie später sogar leises Wimmern eines Kindes
bemerkte, zur fraglichen Zeit gerade keine Geräusche
gehört hatte. c) Der danach unzulängliche Beleg der
subjektiven Voraussetzungen des einzigen angenommenen Mordmerkmals der
niedrigen Beweggründe entzieht dem Schuldspruch die Grundlage.
3. Das neue Tatgericht ist verpflichtet, zur Motivation und zur
psychischen Situation des Angeklagten bei der - feststehenden - direkt
vorsätzlichen Tötung seiner Frau bis hin zur Frage
einer relevanten Beeinträchtigung seiner
Schuldfähigkeit eigene neue Feststellungen, wiederum mit Hilfe
eines psychiatrischen Sachverständigen, zu treffen. Sollten
danach etwa sowohl die subjektiven Voraussetzungen niedriger
Beweggründe zu verneinen als auch eine erhebliche Verminderung
der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht
auszuschließen sein, hätte das neue Tatgericht
Folgendes zu beachten: Bei einem hiernach konsequenten Schuldspruch
lediglich wegen Totschlags könnte - zumal angesichts der
Schwere der fraglos hochgradig verwerflichen Tat - eine im
tatrichterlichen Ermessen stehende Verschiebung des Strafrahmens aus
§ 212 Abs. 1 StGB nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
- 7 -
abzulehnen sein. Dies läge besonders nahe, wenn die
tatsächlichen Umstände, auf die eine Verminderung der
Schuldfähigkeit zurückginge, im Wesentlichen mit
denjenigen deckungsgleich wären, die zur Verneinung eines
Mordes aus niedrigen Beweggründen aufgrund subjektiver
Gegebenheiten führten (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2
Niedrige Beweggründe 44).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Schaal |