BGH,
Beschl. v. 27.4.2010 - 3 StR 106/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 106/10
vom
27. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der
Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 27. April 2010 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Oldenburg vom 22. Dezember 2009 im Strafausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur
Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sie sich
mit ihrer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts
gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch
Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des
§ 349 Abs. 2 StPO.
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Das Landgericht hat im Rahmen seiner Strafzumessung die (fakultative)
Strafrahmenmilderung gemäß § 23 Abs. 2 StGB
bejaht und den nach § 49
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Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB zugrunde
gelegt. Das Vorliegen eines Totschlags in (sonst) einem minder schweren
Fall gemäß § 213 StGB hat es unter
Abwägung der bestimmenden allgemeinen
Strafzumessungsgründe für sich gesehen mit
rechtsfehlerfreier Begründung verneint. Gleichwohl
hält der Strafausspruch rechtlicher
Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat
ersichtlich nicht bedacht, dass nach Ablehnung des Vorliegens eines
minder schweren Falles auf der Grundlage einer Abwägung aller
allgemeinen Strafzumessungsumstände bei der weitergehenden
Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt,
zunächst eventuell gegebene gesetzlich vertypte
Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen sind
(st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB 57. Aufl. § 50 Rdn. 4).
Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall
für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten
Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten
Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen.
Ferner hat das Landgericht im Rahmen seiner konkreten Strafzumessung zu
Lasten der Angeklagten berücksichtigt, dass das Opfer der
Angeklagten "objektiv betrachtet keinerlei Anlass für die Tat
geboten hatte" und damit einen nicht gegebenen Strafmilderungsgrund
strafschärfend herangezogen. Dies ist hier rechtsfehlerhaft
(vgl. BGHSt 34, 345, 350). Der Senat kann nicht ausschließen,
dass sich die dargestellten Rechtsfehler auf die Höhe der
verhängten Strafe ausgewirkt haben.
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Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und
Entscheidung. Der neue Tatrichter wird dabei Gelegenheit haben, die
näheren Umstände festzustellen, die in der
Vergangenheit zu einem Aufenthalt der Angeklagten in einer
jugendpsychiatrischen Einrichtung sowie ab Oktober 2007 zu ihrer - nach
den bisherigen Feststellungen bis zuletzt andauernden -
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Behandlung in der Karl-Jaspers-Klinik geführt haben. Gleiches
gilt für die Gründe der im September 2008 vom
Amtsgericht Oldenburg angeordneten Betreuung, in deren Rahmen die
Angeklagte am Morgen des Tattages in dieser Klinik, in der die Tat
begangen wurde, untergebracht worden ist. Die insoweit getroffenen
Feststellungen werden in die Prüfung der Frage einer erheblich
verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten bei Begehung der
Tat (§ 21 StGB) einzubeziehen sein. Dass die Angeklagte dabei
ohne Schuld im Sinne des § 20 StGB gehandelt hat, kann der
Senat unter den gegebenen Umständen ausschließen.
Becker von Lienen Sost-Scheible
Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet sich
im Urlaub und ist daher gehindert
zu unterschreiben.
Becker |