BGH,
Beschl. v. 27.4.2010 - 3 StR 54/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 54/10
vom
27. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches
Betätigungsverbot
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 27. April
2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Stuttgart vom 10. November 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Verstoßes gegen
ein Vereinigungsverbot nach dem Vereinsgesetz" zu einer Freiheitsstrafe
von fünf Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt. Weiter hat es bestimmt, dass wegen
"überlanger Verfahrensdauer" ein Monat der Strafe als
verbüßt gilt. Die hiergegen gerichtete, auf
materiell- und verfahrensrechtliche Beanstandungen gestützte
Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
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Nach den Feststellungen betätigte sich der Angeklagte
spätestens seit dem 30. Juni 2006 bis Ende März 2007
als "Aktivist" der DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Chephesi),
die durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 6.
August 1998, bestandskräftig seit dem 1. Februar 2000,
verboten worden war. In dieser Eigenschaft führte er
Aufträge des ihm übergeordneten
DHKP-C-Funktionärs Y. aus, dem Gebietsverantwortlichen
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für Süddeutschland, traf mit diesem Veranstaltungs-
und Terminsabsprachen, kümmerte sich um Kontakte mit Personen
des öffentlichen Lebens, organisierte Veranstaltungsteilnehmer
und war für den Kontakt zur Presse zuständig.
Außerdem half er dem weiteren DHKP-C-Aktivisten G. beim
Vertrieb der DHKP-C-Wochenzeitschrift
"Yürüyüs". Nach der Inhaftierung von G. und
der Durchsuchung der Druckerei, in der die Zeitschrift gedruckt wurde,
suchte er den Inhaber der Druckerei auf und versuchte, ihn zu
überreden, die Zeitschrift weiter zu drucken.
1. Die Annahme des Landgerichts, dieses Verhalten sei rechtlich als
Unterstützen des organisatorischen Zusammenhalts eines Vereins
entgegen einem vollziehbaren Verbot (§ 20 Abs. 1 Nr. 3
VereinsG) zu würdigen, hält sachlichrechtlicher
Überprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen
betätigte sich der Angeklagte vielmehr als Mitglied in einem
verbotenen Verein (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VereinsG).
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Den Tatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VereinsG
erfüllt, wer als Mitglied eine aktive, auf Dauer gerichtete
Tätigkeit zur Förderung der Ziele des verbotenen
Vereins entfaltet. Die Betätigung als Mitglied setzt eine
Übereinstimmung zwischen dem Täter und dem Verein
dahingehend voraus, dass der Täter dem Kreis des Vereins
zugehört und in dieser Eigenschaft tätig wird; die
Betätigung auf der Grundlage eines nur einseitigen
Willensentschlusses genügt nicht. Eine förmliche
Beitrittserklärung ist indes nicht erforderlich.
Demgegenüber unterstützt einen verbotenen Verein im
Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG, wer, ohne Mitglied zu
sein, Hilfe in einer Form leistet, die auf den organisatorischen
Zusammenhalt der Vereinigung bezogen ist und der eine messbare
organisatorische Bedeutung zukommt (BGHSt 18, 296, 299 f.; BGH NJW
2005, 2164, 2166; NStZ 2006, 355, 356; Wache in Erbs/Kohlhaas, Straf-
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rechtliche Nebengesetze VereinsG § 20 Rdn. 11 f.; 15 ff.;
Heinrich in Münch-Komm-StGB § 20 VereinsG Rdn. 62 f,
74 ff.).
Nach diesen Maßstäben betätigte sich der
vom Landgericht unspezifisch als "Aktivist" bezeichnete Angeklagte als
Mitglied der DHKP-C. Er stand in einem dauerhaften, engen
persönlichen Kontakt mit einem
Führungsfunktionär. Mit den von ihm
ausgeführten Tätigkeiten nahm er im gegenseitigen
Einverständnis wesentliche Belange der DHKP-C wahr. Dieses
Verhalten belegt, dass er dem Verein zugehörte und nicht nur
von außen dessen organisatorischen Zusammenhalt
förderte; seine Stellung ging über die eines
bloßen Sympathisanten weit hinaus (vgl. BGH NStZ-RR 2004,
201, 202).
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2. Der Senat sieht sich an einer Umstellung des Schuldspruchs in
entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO gehindert, weil
die Strafklage für die Tat nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 3.
Alt. VereinsG möglicherweise für die Zeit bis zum 12.
Januar 2007 verbraucht ist.
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Der Angeklagte wurde durch rechtskräftiges Urteil des
Landgerichts Karlsruhe von diesem Tage u. a. vom Vorwurf der
Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Verbot freigesprochen. Ihm
war zur Last gelegt worden, den organisatorischen Zusammenhalt der
DHKP-C dadurch gefördert und bestärkt zu haben, dass
er in der Zeit vom 1. bis zum 5. August 2004 an einer Veranstaltung auf
dem Campingplatz in E. teilnahm, die das Ziel hatte, Mitglieder und
Sympathisanten zu schulen und neue Mitglieder und Unterstützer
zu gewinnen.
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War der Angeklagte bereits zur damaligen Zeit Mitglied der DHKP-C und
beteiligte er sich weiterhin ohne Unterbrechung mitgliedschaftlich an
dieser, ist die Strafklage für die Zeit bis zu der
Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe
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verbraucht. Bei § 20 Abs. 1 Nr. 1 VereinsG handelt es sich um
ein insoweit den §§ 129 ff. StGB vergleichbares
Organisationsdelikt, bei dem mehrere den Tatbestand erfüllende
Einzelakte zu einer rechtlichen Einheit verbunden werden (BGHSt 43,
312, 314 f.; BGH NStZ 2001, 436, 438; NStZ-RR 2004, 201, 202;
Rissing-van Saan in LK vor § 52 Rdn. 24; Wache aaO Rdn. 39;
Heinrich aaO Rdn. 121), es sei denn, der Täter unterbricht
seine mitgliedschaftliche Beteiligung mit der Folge, dass für
einen bestimmten Zeitraum die Voraussetzungen der Vorschrift nicht
festgestellt werden können, und beginnt sie sodann wieder neu
(BGHSt 46, 349, 356 ff.; Krauß in LK 12. Aufl. § 129
Rdn. 189). Ist das Verhalten des Angeklagten insgesamt als eine
einheitliche Handlung im sachlichrechtlichen Sinn zu werten, so liegt
auch eine einheitliche prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO
vor (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 264 Rdn. 6 ff.
m. w. N.). In diesem Fall begründet das Urteil des
Landgerichts Karlsruhe vom 12. Januar 2007 ein Verfahrenshindernis
für die Verfolgung der mitgliedschaftlichen
Betätigung des Angeklagten bis zu diesem Zeitpunkt. Das neue
Tatgericht ist deshalb gehalten, zur Betätigung des
Angeklagten für die DHKP-C auch vor dem hiesigen Tatzeitraum
Feststellungen zu treffen.
3. Da das Landgericht den Angeklagten lediglich wegen eines
Verstoßes gegen das Vereinsgesetz verurteilt und nur dieser
Revision eingelegt hat, sieht der Senat auch in diesem Verfahren noch
davon ab, sich näher damit zu befassen, ob der Angeklagte sich
nach den §§ 129 a, 129 b StGB strafbar gemacht haben
könnte. Er hat bereits ausgeführt, dass es nahe
liegt, die DHKP-C materiell-rechtlich insgesamt als
ausländische terroristische Vereinigung anzusehen (vgl. etwa
auch die uneingeschränkte Listung der DHKP-C als
terroristische Vereinigung seit dem Ratsbeschluss 2002/334/EG vom 2.
Mai 2002 (Abl. L 116 S. 33) und zuletzt in der
Durchführungsverordnung Nr. 1285/2009 des Rates vom 22.
Dezember 2009 (Abl. L 346 S. 39) zur Durchführung von Art. 2
Abs. 3
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der VO (EG) 2580/2001 vom 27. Dezember 2001) -, und nicht nur
anzunehmen, lediglich innerhalb dieser Organisation habe sich eine
terroristische Vereinigung gebildet, der neben bestimmten
Funktionären und den mit der Ausführung der
Anschläge betrauten Kadern in der Türkei nur solche
Kader als Mitglieder angehören, die im europäischen
Ausland in herausgehobenen Funktionen für die DHKP-C
tätig sind und denen es obliegt, u. a. durch Spendensammlungen
die für den bewaffneten Kampf erforderlichen finanziellen
Mittel zu beschaffen - so genannte Rückfront (BGH, Beschl. vom
29. Mai 2009 - AK 8 bis 10/09).
Becker von Lienen Sost-Scheible
Schäfer RiBGH Mayer befindet sich
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
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