BGH,
Beschl. v. 27.4.2010 - 3 StR 79/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 79/10
vom
27. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.
a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
dessen Antrag - am 27. April 2010 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Kleve vom 25. November 2009, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch
aufgehoben; jedoch bleiben die bisherigen Feststellungen
aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit
Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Seine auf die fehlerhafte Anwendung formellen und materiellen Rechts
gestützte Revision hat mit der Sachrüge zum
Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet
im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat
die gegen den Angeklagten verhängte Strafe dem Strafrahmen des
§ 30 Abs. 1 BtMG entnommen und bei deren konkreter Bemessung
seine Angaben zu weiteren Tatbeteiligten und Taten als
"Aufklärungsbemühen" strafmildernd
berücksichtigt. Dagegen hat es die Anwendung von § 31
BtMG nicht für möglich gehalten. Dies hält
rechtlicher Prüfung nicht stand.
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a) Nach den Urteilsfeststellungen wurden der Angeklagte und der nicht
revidierende Mitangeklagte am 11. Juli 2009 nach der Einfuhr von etwa 7
kg Kokain aus den Niederlanden in die Bundesrepublik festgenommen. Bei
ihren polizeilichen Vernehmungen vom 12. Juli 2009 machte
zunächst nur der Nichtrevident geständige Angaben zur
Tat. Der Angeklagte äußerte sich erstmals am 19.
November 2009 - nach Eröffnung des Hauptverfahrens durch das
Landgericht Kleve mit Beschluss vom 15. Oktober 2009 (§ 207
StPO) - zu dem Hintermann der Tat sowie zu weiteren Taten und
Tatbeteiligten.
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Das Landgericht ist der Ansicht, dass eine Strafmilderung nach
§ 31 BtMG aufgrund dieser Angaben nicht möglich sei,
da der späte Zeitpunkt der Aussage erst nach
Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß
§ 31 Satz 2 BtMG, § 46 b Abs. 3 StGB (jeweils in der
Fassung des 43. StrÄndG vom 29. Juli 2009, BGBl I 2288, in
Kraft seit 1. September 2009) dazu führe, dass § 31
Satz 1 BtMG keine Anwendung finde.
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b) Dem kann nicht gefolgt werden. Auf die Angaben des Angeklagten vom
19. November 2009 zu Betäubungsmitteleinfuhren im Zeitraum
Juni/Juli 2009 ist § 31 BtMG in der zur Tatzeit geltenden
Fassung, d. h. ohne Präklusionsregelung, anwendbar (BGH,
Beschl. vom 18. März 2010 - 3 StR 65/10).
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Art. 316 d EGStGB bestimmt, dass § 46 b StGB und § 31
BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren
anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die
Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Diese
negativ formulierte Überleitungsvorschrift stellt eine -
verfassungsrechtlich unbedenkliche (BVerfGE 81, 132, 136 f.; BGHSt 42,
112, 120; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl.
§ 2 Rdn. 16) - Derogation des
Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) dar, die
die Gerichte in bereits rechtshängigen Verfahren von der
gegebenenfalls schwierigen Bewertung entbinden soll, ob die alte oder
neue Fassung des § 31 BtMG nach den Umständen des
konkreten Einzelfalls das mildere Gesetz sei (BTDrucks. 16/6268 S. 17:
etwa im Hinblick auf die Frage einer Milderung nach § 49 Abs.
1 oder 2 StGB oder eines Absehens von Strafe).
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Sie bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften
- und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46 b
Abs. 3 StGB - ohne weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die
Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009
beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren
anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen
grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht
Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das
neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten
günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB).
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Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, nach der § 46 b
Abs. 3 StGB i. V. m. § 31 Satz 2 BtMG nF auch dann Anwendung
finden soll, wenn dies zur Versagung einer nach alter Rechtslage
gegebenen Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG
führt und damit eine für den Angeklagten nachteilige
Änderung des zur Tatzeit geltenden materiellen Rechts
darstellt, findet in der Geset-
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zesbegründung keine Stütze. Diese geht erkennbar nur
von der Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§
2 Abs. 3 StGB) aus. Auch die dortige Formulierung, dass § 46 b
StGB in Strafverfahren "anwendbar" sei, in denen bei Inkrafttreten der
Neuregelung am 1. September 2009 noch kein Eröffnungsbeschluss
ergangen ist (BTDrucks. aaO), kann keinen Anwendungsautomatismus in
Bezug auf die neuen Vorschriften begründen. Zwar wird die mit
dem 43. StrÄndG eingeführte Kronzeugenregelung in
Kriminalitätsbereichen, in denen es bislang keine
entsprechenden bereichsspezifischen Vorschriften gab, die mildere
Regelung darstellen und daher gemäß § 2
Abs. 3 StGB in nach dem 1. September 2009 eröffneten Verfahren
regelmäßig Anwendung finden. Dies ist jedoch in
Bereichen, in denen schon bisher sog. "kleine Kronzeugenregelungen"
galten (§ 31 BtMG aF, § 261 Abs. 10 StGB aF), nicht
der Fall. Hier ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die neue oder die
alte Regelung der Rechtsfolgen einer Aufklärungs- bzw.
Präventionshilfe in ihrer Gesamtheit die für den
Angeklagten günstigere Gesetzeslage darstellt.
Einer Auslegung des Art. 316 d EGStGB dahin, dass in den ab dem 1.
September 2009 eröffneten Verfahren stets § 31 BtMG
nF anzuwenden ist, kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil dies
eine Änderung der mit Verfassungsrang (Fischer, StGB 57. Aufl.
§ 2 Rdn. 2; Eser aaO Rdn. 1) versehenen Vorschrift des
§ 2 Abs. 1 StGB und damit einen Verstoß gegen das im
Strafrecht absolut geltende Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs.
2 GG) darstellen würde. Zu den vom Rückwirkungsverbot
erfassten Normen gehören auch jene Regeln, die über
die Art und Weise der Rechtsfolgen der Erfüllung eines
Straftatbestandes entscheiden und damit auch die Vorschriften
über die Strafzumessung (vgl. BVerfGE 105, 135, 156 f.;
Schulze-Fielitz in H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar 2. Aufl. Art. 103
Abs. 2 Rdn. 24). Dass § 31 BtMG tatbestandlich an das
Nachtatverhalten und einen etwaigen Aufklärungserfolg
anknüpft,
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mithin an Sachverhalte, die (teilweise) in die Zeit nach Inkrafttreten
des 43. StrÄndG fallen, ändert daran nichts. Mit der
gesetzlichen Bestimmung der Strafbarkeit ist der gesamte sachliche
Rechtszustand gemeint, von dem die Zulässigkeit und die
Modalitäten der Ahndung einer Straftat abhängen
(Fischer aaO § 1 Rdn. 15; Eser aaO § 2 Rdn. 20;
Rudolphi in SK-StGB § 2 Rdn. 8; Schmitz in
MünchKomm-StGB § 2 Rdn. 10; Schulze-Fielitz aaO Rdn.
23 ff., 50).
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch
können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im
Rahmen der neuen Strafzumessung sind ergänzende
Feststellungen, insbesondere zur Frage eines
Aufklärungserfolges, möglich, sofern sie den bisher
getroffenen nicht widersprechen.
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Becker von Lienen Hubert
Schäfer RiBGH Mayer befindet sich
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
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