BGH,
Beschl. v. 27.8.2003 - 1 StR 327/03
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 327/03
vom
27.08.2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27.08.2003
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hechingen vom 14. April 2003 im Maßregelausspruch mit den
zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zum
äußeren Ablauf des Tatgeschehens und zur subjektiven
Tatseite bleiben bestehen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte hatte 1998 bei einem schweren Verkehrsunfall ein
Schädel-Hirn-Trauma erlitten. In der Folge trat eine
hirnorganische Wesensveränderung ein, die sich in allgemein
schlecht gesteuertem Verhalten, erhöhter Reizbarkeit und
impulsiver Reaktionsbereitschaft äußert. Er neigt zu
emotionalen anstatt rationalen Reaktionen. Affekte klingen bei ihm nur
langsam ab. Zudem liegt eine schwere
Persönlichkeitsstörung mit sowohl depressiven als
auch paranoiden Elementen vor. "Wegen Eigen- und
Fremdgefährdung" war er nach dem Tatgeschehen vom 18. Oktober
2000 im Anschluß an eine stationäre Be-
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handlung im Krankenhaus Albstadt-Ebingen am 20. Oktober 2000 in die
Klinik für Psychiatrie Rottenmünster verlegt worden,
wo er sich bis 23. Oktober 2000 aufhielt. Derzeit befindet er sich im
Zentrum für Psychiatrie in Bad Schussenried.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten
Totschlags freigesprochen, wegen des zugrundeliegenden Tatgeschehens
jedoch seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
angeordnet. Zudem hat es ihn wegen Beleidigung, Bedrohung,
Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs in zwei Fällen,
davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu
einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25 €
verurteilt. Mit seiner Revision erstrebt der Angeklagte in erster Linie
die Aufhebung der verhängten Maßregel, insoweit hat
die Revision mit der Sachbeschwerde Erfolg. Im übrigen ist das
Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2
StPO.
Der näheren Erörterung bedarf nur der
Maßregelausspruch nebst dem zugrundeliegenden Tatgeschehen:
I.
Nach den dazu getroffenen Feststellungen zog die Ehefrau des
Angeklagten nach einem heftigen Streit am 15. Oktober 2000 aus der
gemeinsamen Wohnung aus. Sie beabsichtigte, den ihr gehörigen
aber gemeinsam genutzten Pkw Fiat Punto mitzunehmen, was der
Angeklagte, der im Besitz eines Fahrzeugschlüssels war,
verhinderte. An den darauffolgenden Tagen unternommene Versuche, das
Fahrzeug abzuholen, mißlangen, weil der Angeklagte sich
weigerte, den in der Garage befindlichen Pkw herauszugeben. Am 18.
Oktober 2000 beschlossen deshalb G. jun. und B. , beides Verwandte der
Ehefrau des Angeklagten, das Fahrzeug auch gegen
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seinen von ihnen erwarteten Widerstand abzuholen. Zu diesem Zweck
lauerten sie ihm auf, als er gegen 21.15 Uhr mit dem Fahrzeug nach
Hause kam. Als er sich nach seiner im Fußraum vor dem
Beifahrersitz befindlichen Trainingstasche bückte, trat B.
plötzlich an die geöffnete Fahrertür heran,
umklammerte den Angeklagten mit beiden Händen, nahm ihn "in
den Schwitzkasten" und versuchte, ihm den Fahrzeugschlüssel zu
entwinden. G. unterstützte B. von der Beifahrerseite aus. Der
Angeklagte wehrte sich heftig und fügte B. mit dem
Schlüssel zwei stark blutende Verletzungen im Gesicht zu. B.
seinerseits drückte ihm den Finger ins Auge. Der Angeklagte
trug eine Prellung des rechten Auges, Hämatome und eine
Jochbogenfraktur davon. Infolge der
Persönlichkeitsstörung und der hirnorganischen
Wesensveränderung hatte er die Vorstellung, B. und G. wollten
ihn umbringen. Tatsächlich ging es diesen nur um die
Beschaffung des Schlüssels, nicht aber darum, dem Angeklagten
eine körperliche Abreibung zu verpassen oder gar ihn zu
töten.
Nachdem im Verlauf der einige Minuten dauernden Auseinandersetzung der
Fahrzeugschlüssel abgebrochen war, ließen B. und G.
von dem Angeklagten ab, weil sie erkannten, daß ein weiteres
Ringen um den Besitz des Schlüssels sinnlos geworden war. G.
ging nunmehr zum Heck des Fahrzeuges und begann damit, das Kennzeichen
zu entfernen, um das Fahrzeug bei der Kfz-Zulassungsstelle abzumelden,
damit der Angeklagte es nicht mehr nutzen konnte. Obwohl B. und G.
"ersichtlich keine Anstalten mehr machten, gegen den Angeklagten
tätlich zu werden, befand er sich aufgrund der vorangegangenen
Auseinandersetzung noch immer in höchster Erregung und glaubte
weiter, er befinde sich in Lebensgefahr und müsse sich deshalb
zur Wehr setzen". Er holte deshalb ein Beil und versuchte damit auf G.
einzuschlagen, der in gebückter Haltung mit der Entfernung des
Kennzeichens beschäftigt war. Dieser bemerkte jedoch den Ange-
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klagten, richtete sich auf und floh in Richtung Garagentor. Der
Angeklagte setzte nach und schlug ihm mit der stumpfen Seite des Beils
wuchtig auf den Kopf. Dabei nahm er die Möglichkeit
tödlicher Verletzungsfolgen billigend in Kauf. G. erlitt eine
sofort stark blutende Kopfwunde und eine Schädelfraktur.
Gemeinsam mit B. gelang ihm die Flucht, bevor der Angeklagte ihnen
nachzusetzen vermochte. Die Verletzungen G. s waren potentiell
lebensgefährlich, konkrete Lebensgefahr bestand für
ihn aber nicht.
Der Angeklagte war zur Tatzeit fähig, das Unrecht seiner Tat
einzusehen; seine Steuerungsfähigkeit war indessen erheblich
vermindert (§ 21 StGB).
II.
Die Strafkammer hat in dem rechtsfehlerfrei festgestellten Geschehen im
Ergebnis zutreffend eine rechtswidrige Anlaßtat im Sinne von
§ 63 StGB gesehen.
1. Sie hat das Vorliegen einer Notwehrlage sowie ein
Überschreiten derselben gemäß § 33
StGB verneint, jedoch einen krankheitsbedingt unvermeidbaren
Verbotsirrtum nach § 17 StGB angenommen, weshalb der
Angeklagte schuldlos gehandelt habe.
2. Die Annahme der Strafkammer, es habe für den Angeklagten
keine Notwehrlage im Sinne des § 32 StGB mehr bestanden, als
er mit dem Beil zuschlug, trägt nicht.
Die Angriffe B. s und G. s auf die körperliche Unversehrtheit
des Angeklagten im Fahrzeug waren rechtswidrig. Sie dauerten so lange
an, wie er eine Wiederholung unmittelbar befürchten
mußte (vgl. BGHR
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StGB § 32 Abs. 2 Angriff 3). Nachdem der
Fahrzeugschlüssel abgebrochen war, ließen B. und G.
zwar von ihm ab. Unbeschadet des Umstandes, daß der
Angeklagte das Ziel ihres Angriffs krankheitsbedingt falsch
einschätzte, liegt aber bereits nahe, daß diese
erneut zum körperlichen Angriff übergegangen
wären, wenn er nunmehr versucht hätte, sie am
Entfernen der Kfz-Kennzeichen zu hindern. Dies gilt um so mehr, als sie
ihm - zahlenmäßig überlegen - aufgelauert
und ihn ohne Vorwarnung und Aufforderung, den Schlüssel
herauszugeben, in der Dunkelheit angegriffen hatten. Darauf, ob dieser
Angriff auf die körperliche Unversehrtheit im Zeitpunkt der
"Verteidigung" mit dem Beil beendet war, wie die Kammer annimmt, kommt
es aber nicht entscheidend an. Denn jedenfalls der Angriff auf den
Besitz am Fahrzeug dauerte fort. Das Notwehrrecht des Angeklagten gegen
diesen Angriff war nicht deshalb eingeschränkt, weil er sich
seinerseits gegen den Willen seiner Ehefrau als Mitbesitzerin den
Alleinbesitz verschafft hatte. Denn die von G. und B. beabsichtigte
völlige Einziehung seines Besitzes, brauchte er schon deshalb
nicht zu dulden, weil diese über die Herstellung des
rechtmäßigen Zustandes - Mitbesitz der Ehegatten
nach § 866 BGB - hinausging und damit gleichfalls rechtswidrig
war. Auf die Streitfrage, ob sich die in ihrem Mitbesitz an dem Pkw
gestörte Ehefrau des Angeklagten auf die Vorschriften
über den Besitzschutz berufen konnte, oder diese durch die
Spezialregelung des § 1361a BGB verdrängt werden
(vgl. Palandt-Bassenge, BGB 62. Aufl. § 861 Rdn. 3; OLG
Karlsruhe NJW-RR 2001, 939; OLG Köln FamRZ 1997, 1276; zur
Zugehörigkeit eines Pkw zum Hausrat: vgl.
Palandt-Brudermüller, BGB 62. Aufl. § 1361a Rdn. 5
m.Nachw.), kommt es danach nicht an.
3. Die Verneinung einer Notwehrlage durch die Strafkammer
gefährdet die Annahme einer Anlaßtat im Sinne des
§ 63 StGB indessen nicht, weil die Tat zum Nachteil G. s aus
anderen Gründen rechtswidrig war. Das Landgericht ist
zutreffend davon ausgegangen, daß die Verteidigung durch ei-
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nen Schlag mit dem Beil auch nicht erforderlich war. Die
Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung ist nach der jeweiligen
Kampfeslage zu beurteilen (BGH, Beschluß vom 24. Juli 2001 -
4 StR 256/01, BGH StV 1999, 145, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff
2; Erforderlichkeit 13). Selbst wenn der Angeklagte für den
Fall, daß er Widerstand geleistet hätte, mit
erneuten körperlichen Attacken rechnen mußte, hatte
der Angriff nach der Auseinandersetzung im Fahrzeug an
Intensität jedenfalls erkennbar nachgelassen und galt nunmehr
in erster Linie seinem Besitz. Unter diesen Umständen war der
lebensgefährliche und mit bedingtem Tötungsvorsatz
geführte sofortige Schlag mit dem Beil - jedenfalls ohne
vorherige Drohung - nicht mehr zulässig (vgl. BGH, Urteil vom
13. März 2003 - 3 StR 458/02; BGH, Beschluß vom 24.
Juli 2001 - 4 StR 256/01), zumal G. , nachdem der Angeklagte ihn
zunächst verfehlt hatte, bereits die Flucht ergriff.
Die Überschreitung der erforderlichen Verteidigungshandlung
beruhte auf Furcht, Verwirrung und Schrecken des Angeklagten
(§ 33 StGB). Er wähnte sich in Lebensgefahr, weil er
meinte, G. und B. wollten ihn töten. Er hatte Todesangst.
Damit liegen die Voraussetzungen des § 33 StGB vor. Eine
Strafbefreiung nach § 33 StGB ist auch dann noch
möglich, wenn die Intensität des Angriffs bereits
nachgelassen hat (BGHR StGB § 33 Nothilfe 1). Das
schließt die Unterbringung des Angeklagten aber nicht aus,
weil seine Furcht gerade Folge seines seelischen Zustandes im Sinne der
§§ 20, 21 StGB war (vgl. BGH NStZ 1991, 528; Hanack
in LK 11. Aufl. § 63 Rdn. 32). Ein geistesgesunder
Täter an Stelle des Angeklagten hätte erkannt,
daß die Verteidigung durch einen potentiell
tödlichen Schlag mit dem Beil die Grenzen des Erforderlichen
überschritt, nachdem die Intensität des Angriffs
nachgelassen und sich die Kampfeslage geändert hatte. Die
falsche Einschätzung durch den Angeklagten hatte nach den
rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ihre Ursa-
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che in der zur Tatzeit bestehenden hirnorganischen
Wesensveränderung und der
Persönlichkeitsstörung.
III.
Die andere rechtliche Bewertung der Anlaßtat zieht hier die
Aufhebung des Maßregelausspruchs nach sich.
Eine Änderung der rechtlichen Bewertung der Anlaßtat
durch das Revisi-onsgericht führt zwar dann nicht zur
Aufhebung einer Unterbringungsanordnung, wenn trotzdem noch eine Tat
vorliegt, die in ihrer konkreten Ausgestaltung ohne weiteres Grundlage
einer Unterbringung sein kann (vgl. BGH, Beschluß vom 10.
September 2002 - 1 StR 337/02 m.Nachw.). Der Senat kann unter den hier
gegebenen Umständen aber nicht sicher ausschließen,
daß die Strafkammer zu einer anderen Beurteilung der
krankheitsbedingten Gefährlichkeit gelangt wäre, wenn
sie von einer fortbestehenden Notwehrlage ausgegangen wäre.
Eine unter den Voraussetzungen des § 33 StGB begangene Tat ist
grundsätzlich nicht symptomatisch für eine
krankheitsbedingte Gefährlichkeit (vgl. BGH NStZ 1991, 528).
Dem entspricht die Einschätzung des Sachverständigen,
eine solch schwere Tat wie gegenüber G. lasse sich nur mit der
besonderen Fallkonstellation erklären und sei deshalb in der
Zukunft eher unwahrscheinlich. Davon abgesehen bestehen aber durchaus
gewichtige Anhaltspunkte, die auf eine Gefährlichkeit des
Angeklagten auch für die Allgemeinheit schließen
lassen und die Anordnung der Unterbringung auch durch den neuen
Tatrichter rechtfertigen können. Die übrigen
abgeurteilten Taten waren zwar durchweg nicht schwerwiegend. Da der
Angeklagte aufgrund seines Krankheitszustandes aber schnell in
Erregungszustände gerät, die er nicht mehr
beherrschen kann und auch bei geringfügigen Anlässen
stark impulsiv reagiert, liegt die Annahme nicht fern, daß
eine belanglose Konfliktsituation im Alltag es-
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kalieren und es infolgedessen zu gewaltsamen Übergriffen durch
den Angeklagten kommen kann.
Dies abschließend zu bewerten, bleibt dem neuen Tatrichter
vorbehalten. Dieser wird auch Gelegenheit haben, die Gründe
sowohl für die Entlassung des Angeklagten aus der
psychiatrischen Behandlung am 23. Oktober 2000 als auch für
seinen derzeitigen Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus
näher aufzuklären und dabei gewonnene Erkenntnisse in
seine Entscheidung über die Unterbringung nach § 63
StGB einzubeziehen. Auch die bislang unterbliebene Erörterung
des § 67b StGB wird nachzuholen sein.
Im Hinblick auf das Verbot der Schlechterstellung bedarf eine etwaige
Strafbarkeit des Angeklagten wegen des Geschehens vom 18. Oktober 2000
bei hier nur eingeschränkter Schuldfähigkeit unter
dem Gesichtspunkt des § 33 StGB in der neuen Hauptverhandlung
keiner Erörterung mehr (vgl. BGH, Beschluß vom 24.
Juli 2001 - 4 StR 268/01).
Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit |